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Großoffensive gegen IS

Irakische Armee und schiitische Milizen greifen Islamistenmiliz in Tikrit an. BBC berichtet über Beteiligung iranischer Einheiten

Von Christian Selz *

Mit etwa 30.000 Soldaten, unterstützt von Kampfjets und Hubschraubern hat die irakische Armee am Montag morgen eine Großoffensive auf Tikrit begonnen. Die 170 Kilometer nördlich von Bagdad gelegene Stadt wird seit Juni vergangenen Jahres von der Dschihadistenorganisation »Islamischer Staat« (IS) kontrolliert. An dem Angriff auf die Islamisten beteiligten sich nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP auch Polizeikräfte und »freiwillige Kämpfer«. Wie die New York Times andeutete, hatten die USA die Offensive dagegen noch herauszögern wollen. Ob US-Einheiten dennoch an Luftangriffen auf Tikrit beteiligt waren, blieb am Montag unklar. Irakischen Medien zufolge rückten die Truppen bereits im Verlauf des Tages in den Ort Al-Dur südlich von Tikrit vor. Der IS veröffentlichte im Internet jedoch Bilder, die das widerlegen sollten.

Tikrit, der Geburtsort des 2006 hingerichteten Expräsidenten Saddam Hussein, liegt an der Hauptverbindungsroute zwischen Bagdad und der Millionenstadt Mossul im ölreichen Norden des Landes. Die Metropole hatte der IS im Juni ebenfalls eingenommen, nachdem die irakischen Streitkräfte und kurdische Peschmerga-Truppen sie der Terrormiliz nahezu kampflos überlassen hatten. Der jetzige Vorstoß auf Tikrit gilt als Voraussetzung für die Rückeroberung des Nordens. Vor der US-geführten Invasion 2003 hatte Tikrit 260.000 Einwohner und ist nach Mossul die zweitgrößte vom IS gehaltene Stadt, auch wenn der Großteil der Bevölkerung inzwischen geflohen sein soll.

Wie die britische Tageszeitung Guardian am Montag berichtete, rief der irakische Premierminister Haider Al-Abadi zu »größtmöglicher Sorge beim Schutz von zivilem Leben und Eigentum« auf. Al-Abadi hatte die Offensive am Sonntag in der zwischen Bagdad und Tikrit gelegenen Stadt Samarra angekündigt, wo der IS tags zuvor bei zwei Selbstmordanschlägen mindestens 14 Menschen getötet hatte. Seinem Aufruf waren Berichte vorausgegangen, wonach an der Offensive beteiligte schiitische Milizen sunnitische Zivilisten exekutiert haben sollen. Schiitische Kämpfer berichteten der britischen BBC derweil, der IS habe eine unbekannte Zahl von Jugendlichen als Geiseln genommen und drohe, diese zu töten, sollten die Einheiten der Regierungsoffensive in Tikrit einrücken.

Die Bevölkerung von Tikrit ist mehrheitlich sunnitisch. Etliche von lokalen Eliten kontrollierte Milizen hatten dort an der Seite des IS gekämpft und der Terrororganisation so maßgeblich die Einnahme der Gebiete ermöglicht. Al-Abadi versucht nun, die marginalisierten Sunniten wieder für seine Zentralregierung zu gewinnen. Die New York Times berichtete am Montag unter Berufung auf »irakische Offizielle«, dass an der Regierungsoffensive gegen den IS auch 700 bis 1.000 »sunnitische Stammeskämpfer« beteiligt seien. Al-Abadi hatte die sunnitischen Kämpfer in Tikrit am Sonntag aufgerufen, sich vom IS loszusagen und ihnen Straffreiheit angeboten, sollten sie diese »letzte Chance« nutzen.

Den größten Teil der von AFP als »freiwillige Kämpfer« zusammengefassten Verbände stellen jedoch die etwa 4.500 Mann starken schiitischen Milizen. Die BBC berichtete am Montag mit Verweis auf die Aussagen eines schiitischen Milizenkommandeurs gar, dass iranische Soldaten der Al-Quds-Einheit an der Offensive beteiligt seien. Teheran hatte bisher stets betont, lediglich Militärausbilder für die irakische Armee sowie für kurdische Peschmerga und schiitische Milizen ins Nachbarland entsandt zu haben.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 3. März 2015


Uranwaffen gegen IS?

Bei den US-Angriffen gegen den »Islamischen Staat« kommt wohl DU-Munition zum Einsatz – dabei leidet der Irak noch heute unter den Folgen der Bombardements von 1991 und 2003

Von Karin Leukefeld **


Die US-Streitkräfte beziffern die bisherigen Gesamtkosten ihrer neuen »Antiterroroperation« im Irak mit 1,5 Milliarden US-Dollar. Umgerechnet sind das rund 1,4 Milliarden Euro. Durchschnittlich gebe man pro Tag 8,4 Millionen US-Dollar für den Kampfeinsatz aus, das entspricht 7,5 Millionen Euro.

Im Dezember 2014 wurde bekannt, dass dabei auch A-10-Erdkampfflugzeuge eingesetzt werden. Ein Armeesprecher bestätigte deren Einsatz, machte allerdings keine Angaben zu der Art der Munition, die sie verschießen. Die A-10 mit dem Spitznamen »Warzenschwein« ist aber speziell für den Einsatz von dichter und hochentzündlicher Munition konstruiert, die zumeist aus abgereichertem Uran (Depleted Uranium – DU) besteht. Sie gilt als besonders effektiv im Kampf gegen gepanzerte Fahrzeuge und Panzer sowie gegen Bunker und andere geschützte Anlagen.

Oppositionelle, die in Rakka in Nordsyrien gegen die Miliz »Islamischer Staat« aktiv sein sollen, beliefern eine Webseite mit dem Namen »Rakka wird abgeschlachtet« mit Informationen. Kürzlich wurde dort berichtet, die Bevölkerung sei besorgt, dass bei den US-Angriffen auch weißer Phosphor und abgereichertes Uran zum Einsatz kommen könnten. Man habe erfahren, welche Schäden diese Substanzen im Irak angerichtet hätten, und befürchte nun, dass DU auch in Syrien die Luft, das Wasser und den Boden verseuche und die Bevölkerung radioaktiven Gefahren aussetze.

Bisher wurden die A-10-Flugzeuge lediglich in der Umgebung von Mossul im Nordirak eingesetzt, wo sie einer Statistik des Pentagon zufolge 62 Panzer und 64 gepanzerte Fahrzeuge sowie MRAP-Laster zerstört haben sollen. MRAP steht für »Mine Resistant Ambush Protected« und bezeichnet Wagen, die auch Anschläge mit selbstgebauten Minen unbeschadet überstehen können. Sie sind ein typisches Ziel für DU-Munition.

Der Einsatz von DU-Munition ist offenbar auch innerhalb der neuen US-geführten Koalition gegen den »Islamischen Staat« im Irak und Syrien umstritten. Die Internationale Kampagne zum Verbot von Uranwaffen berichtete Ende Februar, dass sich Abgeordnete aus Belgien, den Niederlanden und Großbritannien bei ihren Regierungen erkundigt haben, ob bei dem Einsatz der US-geführten Koalition, der die genannten Staaten angehören, auch DU-Munition eingesetzt werde. Die niederländische Regierung räumte diese Möglichkeit ein, das belgische Verteidigungsministerium erklärte, ihm lägen diesbezüglich keine Informationen vor. Man könne es aber auch nicht ausschließen. Die britische Regierung antwortete, dass sie mit den Partnern nicht über die bei Kampfeinsätzen verwendete Munition rede. Das sei Angelegenheit des jeweiligen Staates.

Auf keinen Fall dürfte die irakische Regierung mit dem erneuten Einsatz von DU-Munition einverstanden sein – sofern sie überhaupt gefragt wird. Mitte 2014 hatte Bagdad einen Bericht bei den Vereinten Nationen vorgelegt, in dem ein Verbot dieser Waffen gefordert wurde. Gleichzeitig bat die irakische Regierung um internationale Unterstützung, um die rund 400 Tonnen DU-Munition, die 1991 und 2003 im Irak abgefeuert wurden, entsorgen zu können.

Die katastrophalen Folgen der vergangenen Feldzüge sind noch längst nicht bewältigt, da hat eine von den USA geführte Koalition schon mit großem medialen und finanziellen Aufwand den nächsten Krieg begonnen. Private und internationale Hilfsorganisationen, die der Bevölkerung in den vergangenen 20 Jahren Beistand leisteten, sind vollkommen überfordert. Viele mussten ihre Arbeit reduzieren oder einstellen, weil sie kaum noch Spenden erhalten.

Eine der Organisationen, die schon zu Zeiten des UN-Embargos (1990–2003) vor allem dem Kinderkrankenhaus in Basra geholfen hatte, ist »Aladins Wunderlampe« mit Sitz in Wien. Viele Male brachte die Ärztin Eva-Maria Hobiger Medikamente in die südirakische Stadt, die für krebskranke Kinder gebraucht wurde, und ihre Initiative hilft noch immer. 2014 konnten 23 Kinder aus dem Südirak nach Europa gebracht werden, die vor allem an schweren Herzerkrankungen litten. Kliniken in Österreich, in Deutschland, in der Schweiz und in Frankreich nahmen die kleinen Patienten auf. Spender und die Kliniken selbst finanzierten die Operationen.

Der neue Krieg bringt aber neue Probleme für die betroffenen Kinder mit sich, sagt die Ärztin. Die kranken Kinder müssen mit ihren Begleitpersonen nach Jordanien reisen, um von dort ihren Flug nach Europa anzutreten. Konnten sie früher kostensparend mit einem Kleinbus nach Amman fahren, ist das aufgrund der neuen Gewalt im Irak unmöglich geworden. Die Flug- und Visakosten sind auf 2.000 Euro pro Kind gestiegen. Während also US-Kampfjets wahrscheinlich weitere DU-Munition im Irak verschießen, braucht Eva Hobiger noch mehr Spenden.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 3. März 2015


Miliztraining auf Spendenbasis

Christen im Irak sollen sich zukünftig gegen Angriffe von Kämpfern der Miliz »Islamischer Staat« zur Wehr setzen können. Dafür sorgt Matthew VanDyke. Auf seiner Webseite stellt der 35jährige sich als »Veteran der libyschen Revolution, ehemaliger Kriegsgefangener, preisgekrönter Dokumentarfilmer, internationaler Sicherheitsanalyst« vor. Seine Sicherheitsfirma »Söhne der Freiheit International« arbeitet demnach wie eine Nichtregierungsorganisation und wird rein aus Spendengeldern finanziert, um »verletzliche« Gemeinden mit »militärischer Beratung, Ausbildung im Kampf gegen Terrorismus, Aufständische und repressive Regime« beizustehen. Die »Söhne der Freiheit International« finanzieren sich demnach aus öffentlichen Spenden.

Nach seinen Missionen in Libyen und in Syrien, wo er angeblich den Aufständischen der »Freien Syrischen Armee« geholfen haben will, ist VanDyke im Nordirak aufgetaucht, um christliche Milizen im Antiterrorkampf auszubilden. Angeblich wird er dafür von christlichen Gruppen im Ausland, vor allem in den USA, bezahlt. Der Name der neuen Kampftruppe wird mit »Verteidigungseinheit der Niniveh-Ebene« (NPU) angegeben.

Finanziert wird die Ausbildung der christlichen Milizen von einer »Amerikanisch-Mesopotamischen Organisation« (AMO), die wiederum ihr Geld von Assyrern erhält, die im Ausland leben. Eigenen Angaben zufolge hat die Organisation mit der Kampagne »Niniveh jetzt zurückerobern« seit Dezember 2014 mehr als 250.000 US-Dollar aufgebracht, um die NPU-Miliz auf- und auszurüsten. Mehr als 80 Prozent des Geldes kämen aus den USA, wo der Assyrische Nationale Nachrichtensender über die Kampagne berichtet. Mit dem Geld werden die Kämpfer eingekleidet, ausgerüstet und verpflegt.

Nach Auskunft von David Lazar, dem Vorsitzenden von AMO, wird die neue Truppe auch von Walid Phares beraten, »Terrorismusexperte« beim US-Nachrichtensender Fox News. Phares gehörte zwischen 1975 und 1990 im libanesischen Bürgerkrieg zu den Führern der christlichen Libanesischen Streitkräfte (LF). Diese politisch rechtsgerichtete Truppe kooperierte auch mit der Südlibanesischen Armee (SLA), die mit Israel verbündet war, das bis zum Jahr 2000 weite Teile des südlichen Libanon besetzt hatte. Phares selbst erklärte auf Nachfragen der Nachrichtenagentur AFP, er berate »eine große Koalition von Minderheiten-NGOs aus dem Mittleren Osten«. Die Amerikanisch-Mesopotamische Organisation gehöre auch dazu. (kl)




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