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Der dritte Geiselmord

Irak: IS-Terroristen enthaupten Briten. Washington prahlt mit Errichtung einer Superkoalition gegen die Dschihadisten. US-Behörden drohen Angehörigen der Opfer

Von Knut Mellenthin *

Die Terroristen des in Syrien und im Irak aktiven »Islamischen Staats« (IS) haben am Sonnabend zum dritten Mal ein Video veröffentlicht, das die Ermordung einer westlichen Geisel zeigt. Gleichzeitig prahlt die US-Regierung mit der Errichtung einer Superkoalition, die zwar militärisch nicht effektiv ist, aber das Prestige der islamistischen Mörderbanden enorm erhöht. Australien hat am Sonntag bekanntgegeben, daß es 400 Mann Luftwaffenpersonal und 200 Soldaten einer Spezialeinheit in den Vereinigten Arabischen Emiraten stationieren werde. Von dort aus könnten sie zu »Kampfeinsätzen« in den Irak geschickt werden, sagte Premierminister Tony Abbott. Australien ist der erste Staat, der sich direkt an der militärischen Bekämpfung des IS beteiligen will. Neun NATO-Mitglieder und zehn arabische Länder wollen sich der Koalition anschließen, haben sich aber noch nicht zu praktischen Beiträgen verpflichtet.

Das am Sonnabend ins Netz gestellte IS-Video zeigt die Enthauptung des Briten David Haines, der im März 2013 in der Nähe eines Flüchtlingslager in Syrien entführt worden war, wo er für eine Hilfsorganisation gearbeitet hatte. Der 44jährige war Vater zweier Kinder.

Zuvor hatte der IS am 19. August und am 2. September Aufnahmen von der Ermordung der US-amerikanischen Journalisten James Foley und Steven Sotloff veröffentlicht. Alle Videos waren nach demselben Schema aufgebaut: Ein maskierter Mann erläuterte zunächst, für welche Handlung einer westlichen Regierung der folgende Geiselmord die »Vergeltung« sein solle. Am Ende des Films war derselbe Mann mit dem schon in den orangefarbenen Anzug der Gefangenen des US-Lagers Guantanamo gekleideten nächsten Opfer zu sehen. Zum Beispiel wurde am Schluß des Videos von der Ermordung Foleys sein Kollege Sotloff gezeigt, und der Maskierte sagte dazu: »Das Leben dieses amerikanischen Bürgers, Obama, hängt von deiner nächsten Entscheidung ab.« In dem am Sonnabend veröffentlichten Video wird angekündigt, daß als nächster der Brite Alan Henning ermordet werde, falls die britische Regierung am Kriegsbündnis mit den USA festhält.

Die Regierungen der USA und Großbritanniens wachen mit großer Strenge darüber, daß die Angehörigen von Entführten keine Lösegelder zahlen. Die Familien der ermordeten amerikanischen Journalisten Foley und Sotloff berichten, daß sie von Abgesandten des Nationalen Sicherheitsrats und anderer Staatsorgane massiv eingeschüchtert worden seien. Unter anderem sei ihnen angedroht worden, daß sie wegen materieller Unterstützung von Terroristen angeklagt und zu drastischen Strafen verurteilt werden könnten, falls sie versuchen sollten, Lösegelder aufzubringen. Eine größere Zahl von spanischen und französischen Geiseln, die sich ebenfalls in der Gewalt des IS befunden hatten, waren – wahrscheinlich nach Erfüllung bestimmter Forderungen – freigelassen worden.

Weder Präsident Barack Obama noch der britische Premier David Cameron haben sich bisher öffentlich zu der persönlichen Verantwortung bekannt, die sie mit ihrer politischen Entscheidung, die Geiseln der Staatsräson zu opfern, auf sich genommen haben, und die Angehörigen dafür um Verzeihung gebeten. Obama erregte allgemeine Empörung, weil er nach seiner Kurzansprache zur Ermordung von Foley sofort zum Golfspielen fuhr. Sein Außenminister John Kerry zog einen Segeltörn vor.

* Aus: junge Welt, Montag 15. September 2014


Kriegseinsatz ohne Bundestagsmandat

Regierung widerspricht Forderung der Linkspartei, Ausbilder erst nach Parlamentsbeschluß in den Irak zu schicken **

Die Bundesregierung schickt weitere Soldaten in den Irak: Wie das Verteidigungsministerium am Sonnabend mitteilte, sollen 40 Fallschirmjäger kurdische Kämpfer zur Unterstützung des Kampfes gegen die Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) in Waffensysteme einweisen. Bis zu 30 Kurden könnten zur Ausbildung nach Deutschland kommen.

IS-Kämpfer haben in den vergangenen Wochen Provinzen im Nordirak und in Syrien unter ihre Kontrolle gebracht. Sie gehen brutal gegen Andersgläubige vor. Die Bundesregierung hatte Ende August beschlossen, die kurdischen Peschmerga-Kämpfer mit Waffen und Munition im Kampf gegen den IS zu unterstützen. Sie sollen unter anderem 500 Panzerabwehrraketen, 16000 Gewehre und mehrere Millionen Schuß Munition erhalten. Sechs Soldaten wurden bereits nach Erbil im irakischen Kurdengebiet entsandt.

Nun sollen weitere folgen: Teams von etwa sechs Soldaten sollten temporär bei der Einweisung in die Bedienung von Panzerfäusten und Maschinengewehren vor Ort helfen, teilte das Verteidigungsministerium am Sonnabend mit. Die Einweisung sollen im Kern 40 Fallschirmjäger übernehmen. Nach Angaben eines Ministeriumssprechers sind die ersten Flüge zur Lieferung von Waffen um den 24. September geplant.

Die Linkspartei warnte davor, die Soldaten ohne Bundestagsmandat in den Irak zu schicken. Wenn Soldaten in ein Kriegsgebiet geschickt würden, um andere für den Krieg auszubilden, sei das »effektiv ein Kriegseinsatz«, sagte der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, Handelsblatt online. Das könne die Regierung nicht im Alleingang machen. »Merkel muß den Bundestag fragen. Ohne Mandat schickt sie die Männer in eine juristische Grauzone.« Dagegen hält das Verteidigungsministerium eine Zustimmung des Bundestags nicht für erforderlich. Es handele sich nicht um eine bewaffnete Mission, und der Einsatzort Erbil liege nicht im Kampfgebiet, hatte ein Ministeriumssprecher am Freitag erklärt.

** Aus: junge Welt, Montag 15. September 2014


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