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Immer mehr Tote

Irakische Armee bombardiert Falludscha und Ramadi. Zehntausende Familien vertrieben

Von Karin Leukefeld *

Im Westen des Irak spitzen sich die Kämpfe um Falludscha und die umliegende Region zu. Wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf das irakische Verteidigungsministerium am Montag berichtete, haben Soldaten und mit ihnen verbündete Stammeskämpfer in der Provinz Anbar 57 »Extremisten« getötet. Die Kämpfe hätten in Vororten der Stadt Ramadi stattgefunden, die Opfer sollen Angehörige der Gruppe »Islamischer Staat im Irak und der Levante« (ISIL) sein. Schon am Wochenende waren bei Luftangriffen auf Falludscha und Ramadi rund 50 Aufständische getötet worden, berichtete AFP.

Im Irak wird jedoch befürchtet, daß die tatsächliche Zahl der Getöteten weit höher ist. Shwan Mohammed Taha, Mitglied der Kurdischen Allianz im irakischen Parlament und Mitglied des Sicherheitsausschusses, warf Ministerpräsident Nuri Al-Maliki vor, mit einer Nachrichtensperre über die Ereignisse in Falludscha und Ramadi die tatsächliche Zahl der Opfer vertuschen zu wollen. Der aus der Region Anbar stammende Abgeordnete Hamid Al-Mutlak sagte, die anhaltenden Angriffe der irakischen Armee würden die Zahl der Toten täglich erhöhen.

Schon am 30. Januar hatte die UN-Unterstützungsmission für den Irak (UNAMI) in einem Bericht einen zunehmenden und »schweren Beschuß von Falludscha« durch die Irakischen Streitkräfte (ISF) bestätigt. Die Krankenhäuser in Falludscha und Ramadi haben demnach allein in den letzten drei Januarwochen 126 Tote und 666 Verletzte gezählt. Die Zahl der vertriebenen Zivilisten sei bis Ende Januar auf 37283 Familien gestiegen, von denen jede mindestens fünf Personen zähle. Diese Menschen zu versorgen, werde immer schwieriger, so die UN.

Das Internetportal Iraqi Spring Media Center berichtet derweil ausführlich über Angriffe der als »Rebellen« beschriebenen Stammeskämpfer auf irakische Armee- und Polizeikräfte, die hier nur als »Maliki-Armee« bezeichnet werden. Dem Portal zufolge nehmen die Sicherheitskräfte willkürlich Menschen auf konfessioneller Basis fest, etwa weil sie »bestimmte Namen haben oder zu einem Stamm im Tarmiya-Bezirk, nördlich von Baghdad« gehörten, heißt es. Die »Maliki-Armee« bombardiere Wohnhäuser und unterbreche »die Kommunikations- und Internetnetzwerke, um die Provinz Anbar von der Welt zu isolieren«.

Ausgelöst wurden die Kämpfe Ende Dezember, als die Sicherheitskräfte ein Protestlager unweit von Ramadi gestürmt und aufgelöst hatten. Daraufhin waren Kämpfer der ISIL am Neujahrstag in Ramadi und Falludscha einmarschiert und hatten einen islamischen Staat ausgerufen, wobei sie Einwohnern zufolge von lokalen Familienverbänden unterstützt wurden. Armee und Polizei hatten sich zunächst zurückgezogen, um den politischen Kräften vor Ort eine Deeskalation zu ermöglichen. Die Einwohner von Ramadi und Falludscha sollten sich mit den ISIL-Kämpfern selber einigen, hieß es in Bagdad. Gleichzeitig sagte die US-Administration Maliki großzügige militärische Hilfe zu, um ein Ausbreiten der ISIL zu verhindern. Die Gruppe, die auch im Norden und Osten Syriens kämpft, wird von den USA und ihren Verbündeten zur Al-Qaida gezählt. Das Netzwerk dementiert das jedoch. In einer am Sonntag abend über das Internet verbreiteten Stellungnahme erklärte Al-Qaida-Führer Ayman Al-Zawahiri, ISIL gehöre nicht zu seiner Organisation. Man habe mit der Gruppe »keine Verbindung«, man sei »nicht über deren Bildung informiert worden« und akzeptiere sie auch nicht. Al-Qaida sei »für deren Aktivitäten nicht verantwortlich«.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 4, Februar 2014


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