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Irak: "Hoffnungsschimmer im Reich der Angst"
Iraq: "Roots Of Hope In a Realm Of Fear"

Von Paul Wolfowitz
By Paul Wolfowitz

Im Folgenden dokumentieren wir unkommentiert einen Namensartikel des stellvertretenden US-Verteidigungsministers Paul Wolfowitz, der zunächst in der Washington Post vom 28. Juli 2003 erschien, in einer vom Amerika Dienst übersetzten deutschen Fassung sowie im amerikanischen Original.


Hinter der Polizeiakademie in Bagdad steht der gegabelte Stamm eines abgestorbenen Baums. Das Ungewöhnliche daran sind zwei dauerhaft an den Astgabeln angebrachte Seile - eines hoch genug, um einen Mann daran festzubinden, das andere hoch genug für eine Frau. In der Nähe des Baums gibt es eine Reihe kleiner Zellen, in denen besondere Gefangene festgehalten wurden.

Unser Führer, der neu ernannte sunnitische Polizeichef der Akademie (der wegen einer abwertenden Bemerkung über Saddam Hussein zu seinem besten Freund ein Jahr inhaftiert war), erzählte uns von den unaussprechlichen Dingen, die einst an diesen Baum gebundenen und in diesen Zellen festgehaltenen Männern und Frauen widerfuhren. Hinter dem Folterbaum führt ein kleines Gatter zum Hauptsitz des von Udai Hussein geleiteten Olympischen Komitees. Er schlüpfte oft abends durch dieses Hintertürchen, um Gefangene zu foltern und zu misshandeln.

Bei meiner Reise durch den Irak vorige Woche habe ich noch viele weitere Berichte über unsägliche Brutalität gehört - in einem für Amerikaner unvorstellbaren Ausmaß. Als wir im Norden waren, erzählte uns ein Befehlshaber, dass Arbeiter die Aushebung eines erst entdeckten Massengrabs vorübergehend eingestellt hatten, nachdem sie auf die Überreste von 80 Frauen und Kindern gestoßen waren - einige noch in ihren kleinen Kleidchen und mit ihren Spielsachen.

Im Süden trafen wir auf andere Überlebende der entsetzlichen Brutalität des Regimes, die in den Marschen ansässigen Araber, für die die Befreiung gerade noch rechtzeitig kam, um einen Bruchteil dieser alten Zivilisation zu retten. Aber für die Marsch-Araber gibt es die Marschen nicht mehr. Wo sich einst eine üppige Landschaft produktiver Süßwassermarschen befand, ist jetzt eine riesige, fast leblose Leere. Die Kinder dort begrüßten uns mit lautem Applaus und riefen "Salaam Bush" und "Nieder mit Saddam". Ihr erster Wunsch waren nicht Süßigkeiten oder Spielzeug. Sie sagten nur ein Wort: "Wasser?"

Mit am stärksten hinterblieb bei mir der Eindruck, dass das alte Regime noch überall gegenwärtig ist. Eine erstickende Decke der Furcht und des Grauens, gewoben in 35 Jahren der Repression - in denen sogar der kleinste Fehler Folter oder Tod bedeuten konnte - kann nicht in wenigen Wochen abgeworfen werden. Die Iraker sind verständlicherweise vorsichtig. Bis sie überzeugt sind, dass der auch die letzten Relikte von Husseins altem Regime beseitigt sind und ein langer und entsetzlicher Teil ihrer Geschichte überwunden ist, wird diese Furcht bleiben. Diese Geschichte der Gräueltaten und die Bestrafung der Verantwortlichen ist unmittelbar mit unserem Erfolg dabei verbunden, dem irakischen Volk beim Aufbau einer freien, sicheren und demokratischen Zukunft zu helfen.

Was vorige Woche mit Udai und Kusai Hussein geschah ist ein wesentlicher Teil des Aufbauprozesses dieser Zukunft. Ihr Ableben ist ein wichtiger Schritt, um den Irakern das sichere Gefühl zu geben, dass die Tyrannei der Baath-Partei nie wiederkehrt. Er trägt zur Wiederherstellung der Ordnung bei und gibt der Freiheit eine Chance. Sogar in Bagdad, weit entfernt von den Gebieten der Schia und der Kurden, die wir mit Husseins Völkermord in Verbindung bringen, brachen bei der Nachricht ihres Todes fast sofort enthusiastische und lange Jubelfeiern aus. Das deutet auf etwas anderes hin, das ich ebenfalls beobachtet habe: Hussein und seine Söhne unterdrückten wahllos.

Es war ein beachtlicher Schritt nach vorne, die Nummern 2 und 3 auf unserer Liste der gesuchten Verbrecher des Regimes zu schnappen. Am selben Tag haben wir den Befehlshaber der Sondereinheit der Republikanischen Garden gefasst. In den Tagen vor Ort haben wir jedoch gelernt, dass die Wurzeln dieses Regimes tief sind und sich in Bezirke und Stadtviertel eingraben wie eine riesige Bande organisierter Verbrecher. Daher konzentriert sich die Koalition vornehmlich auf die mittlere Ebene der Baath-Partei, wo wir unseres Erachtens noch größere Erfolge bei der Verhaftung der gedungenen Mörder und der Verblendeten erzielen können, die es jetzt auf unsere Soldaten und unseren Erfolg abgesehen haben. Kürzlich festgenommene Funktionäre haben neue und nützliche Informationen preisgegeben, und wir versuchen, diesen Trend fortzusetzen.

Auch wenn der Feind gegen unsere Erfolge ankämpft, werden wir den Frieden erlangen. Aber wir werden ihn nicht alleine erlangen. Amerikanische Truppen müssen nicht jeden Kilometer elektrischer Kabel zu bewachen. Der wirkliche Schwerpunkt sind die Iraker selbst - sie wissen, wer die Verbrecher sind und wo sie sich aufhalten. Und für sie steht am meisten auf dem Spiel - ihre Zukunft.

Während die Iraker sich noch immer in den Fängen der Angst befinden, erzielen unsere Verbündeten in der Koalition und die neuen nationalen und kommunalen irakischen Stadträte beträchtliche Erfolge bei der Lockerung ihres eisernen Griffs. Wenn unvermeidbare Herausforderungen und Kontroversen auftreten, sollten wir uns daran erinnern, dass die meisten Iraker zutiefst dankbar sind für das, was unsere unglaublich tapferen amerikanischen Streitkräfte und die der Koalition geleistet haben, um sie aus Saddam Husseins Republik der Angst zu befreien.

Wenn wir die Iraker überzeugt haben, dass wir bleiben, bis das alte Regime zerschlagen und die Verbrecher bestraft sind - und wir tatsächlich entschlossen sind, ihnen ihr Land zurückzugeben - werden sie wissen, dass sie wirklich damit anfangen können, eine von Irakern eingesetzte und aus Irakern bestehende Regierung und Gesellschaft für das irakische Volk aufzubauen.

In vieler Hinsicht sind die Iraker wie Gefangene, die Jahre der Einzelhaft erduldeten - ohne Licht, ohne Frieden, ohne Kenntnis der Welt dort draußen. Sie sind gerade in das helle Licht der Hoffnung und die frische Luft der Freiheit getreten. Sie werden einige Zeit brauchen, um sich an dieses neue Umfeld ohne Folterbäume zu gewöhnen.

Übersetzung: Amerika Dienst
Originaltext: Fear of Old Regime Still Pervasive in Iraq, Wolfowitz Says
(siehe http://usinfo.state.gov)



28 July 2003
Fear of Old Regime Still Pervasive in Iraq, Wolfowitz Says

op-ed column on his recent travels through Iraq


(This column by Deputy Secretary of Defense Paul Wolfowitz was published in the Washington Post July 28 and is in the public domain. No republication restrictions.)

Roots Of Hope In a Realm Of Fear

By Paul Wolfowitz*


Behind the police academy in Baghdad stands the forked trunk of a dead tree, unusual for the fact that on each branch the bark is permanently marked by two sets of ropes -- one high enough to tie up a man, the other, a woman. Near the tree is a row of small cells where special prisoners were held.

Our guide, the newly appointed Sunni superintendent of the academy (who had spent a year in jail for having made a disparaging comment about Saddam Hussein to his best friend) told us of unspeakable things that once happened to men and women tied to that tree and held in those cells. Beyond the torture tree, a small gate leads to the Olympic Committee Headquarters, run by Uday Hussein, who would often slip through the back gate at night to torture and abuse prisoners.

Traveling throughout Iraq last week, I heard many more accounts of unspeakable brutality -- on a scale unimaginable for Americans. While we were in the north, one commander told us workers had temporarily stopped the excavation of a newly discovered mass gravesite, after unearthing the remains of 80 women and children -- some still with little dresses and toys.

In the south, we met other remnants of the regime's horrific brutality, the Marsh Arabs, for whom liberation came just in time to save a fragment of this ancient civilization. But for the Marsh Arabs, the marshes are no more. Where there was once a lush landscape of productive, freshwater marshes, there is now a vast, nearly lifeless void. The children there greeted us with loud applause and cheers of "Salaam Bush" and "Down with Saddam." Their first request was not for candy or toys. It was, instead, a single word: "Water?"

One of my strongest impressions is that fear of the old regime is still pervasive. A smothering blanket of apprehension and dread woven by 35 years of repression -- where even the smallest mistake could bring torture or death -- won't be cast off in a few weeks' time. Iraqis are understandably cautious. Until they are convinced that every remnant of Hussein's old regime is removed, and until a long and ghastly part of their history is overcome, that fear will remain. That history of atrocities and the punishment of those responsible are directly linked to our success in helping the Iraqi people build a free, secure and democratic future.

What happened to Uday and Qusay Hussein last week is essential to the process of building that future. Their demise is an important step in making Iraqis feel more secure that the Baathist tyranny will never return, in restoring order and in giving freedom a chance. Even in Baghdad, far from the Shi'a and Kurdish areas that we associate with Hussein's genocidal murders, enthusiastic and prolonged celebrations over the news of their deaths erupted almost at once -- suggesting something else I observed: Hussein and his sons were equal-opportunity oppressors.

It was a significant step forward to get Nos. 2 and 3 on our most-wanted list of regime criminals. That same day we captured the commander of the Special Republican Guard. But we've learned in our days on the ground that the roots of that regime go deep -- burrowing into precincts and neighborhoods, like a huge gang of organized criminals. So it is the coalition's intensified focus on mid-level Baathists that we think will yield even greater results in apprehending the contract killers and dead-enders who now target our soldiers and our success. Recently captured functionaries have revealed new and helpful information, and we are working to encourage this trend.

Even though the enemy targets our success, we will win the peace. But we won't win it alone. We don't need American troops to guard every mile of electrical cable. The real center of gravity will come from the Iraqi people themselves -- they know who and where the criminals are. And they have the most at stake -- their future.

While Iraqis may remain in the grip of fear, our troops, our coalition allies and the new Iraqi national and local Iraqi councils are making significant progress in lessening its iron hold. When inevitable challenges and controversies arise, we should remember that most of the people of Iraq are deeply grateful for what our incredibly brave American and coalition forces have done to liberate them from Hussein's republic of fear.

When we've convinced Iraqis that we mean to stay until the old regime is crushed and its criminals are punished -- and that we are equally determined to give their country back to them -- they will know they can truly begin to build a government and society of, by and for the Iraqi people.

In many ways, the people of Iraq are like prisoners who endured years of solitary confinement -- without light, without peace, without much knowledge of the outside world. They have just emerged into the bright light of hope and fresh air of freedom. It may take a while for them to adjust to this new landscape free of torture trees.

* (The writer is deputy defense secretary.)

(Distributed by the Bureau of International Information Programs, U.S. Department of State. Web site: http://usinfo.state.gov)



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