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Kein Wahlgesetz – kein Wahltermin

Streit um Kirkuk verzögert Urnengang in Irak

Von Karin Leukefeld, Amman *

Der Präsident der Kurdischen Autonomieregion in Irak, Massoud Barzani, vertritt die Auffassung, dass die im Januar geplanten Parlamentswahlen das gesamte irakische Staatsterritorium umfassen müssen. Das Gebiet um die ölreiche nordirakische Stadt Kirkuk von dem Urnengang auszunehmen, »wäre gegen die irakische Verfassung«. Aber der Status Kirkuks ist weiterhin ungeklärt.

Die Parlamentswahlen in Irak werden vermutlich nun doch nicht wie geplant am 16. Januar stattfinden können. Das erklärte der Leiter der Wahlkommission, Faradj al-Haidari, am Freitag in Bagdad. »Egal ob die Abgeordneten das alte Wahlgesetz übernehmen, Es verändern oder ein neues verabschieden«, die Frist für den 16. Januar sei verstrichen. Wie es weiter geht, ist derzeit unklar. Am Sonnabend soll sich eine weitere Parlamentssitzung mit dem Problem befassen.

Der Termin war nicht mehr zu halten, nachdem sich die Abgeordneten auch am Donnerstag nicht über ein neues Wahlgesetz geeinigt hatten. Umstritten sind weiterhin der Status Kirkuks und die Frage, ob die Wahllisten offen oder verdeckt antreten sollen. Keiner von mehreren Kompromissvorschlägen fand eine Mehrheit. Trotz heftiger Kritik seitens der Kurden könnte es darauf hinauslaufen, dass die Regierung eine Verschiebung der Wahlen in Kirkuk beschließt, bis man sich über die Sitzverteilung für die dort lebenden Kurden, Araber, Turkmenen und Assyrer geeinigt hat. Für diesen Fall sollten nach Ansicht von Experten zehn bis 17 Prozent der Parlamentssitze frei gehalten werden. Eine prozentuale Lösung anzustreben sei günstiger, als eine feste Zahl von Sitzen und eventuelle Zusatzsitze festzulegen, meint der Politologe Raider Vissar. Das erhöhe das Interesse der Kontrahenten an einer Einigung.

Ministerpräsident Nuri al-Maliki warnte derweil erneut vor einer Verschiebung der Wahlen. Dadurch verlören Regierung und Parlament ihre Legitimation. Auch Generalleutnant Ali Ghaidan Madjid, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, warnte vor einer Verschiebung, das könne die Instabilität des Landes erhöhen. Allerdings habe man für den Fall einen »Plan B«, versuchte er gleichzeitig zu beruhigen. Im Oktober ist die Zahl der bei Anschlägen getöteten Iraker wieder deutlich gestiegen. Von den 364 Toten starben allein 155 am 25. Oktober bei zwei fast gleichzeitigen Anschlägen vor Regierungsgebäuden im Zentrum der Stadt.

Für die USA-Truppen in Irak könnte eine Verschiebung der Wahlen schwerwiegende Folgen haben. Das bilaterale Sicherheitsabkommen sieht vor, dass die Truppen sich bis Ende 2011 aus Irak zurückziehen. Lediglich eine etwa 40 000 Soldaten starke Truppe soll »zu Ausbildungszwecken« im Land bleiben. Sollten die Wahlen verschoben werden, so Michele Flournoy, Staatssekretärin für Politik im US-Verteidigungsministerium, könnte das den Truppenabzug beeinträchtigen.

Offen intervenieren derweil auch Nachbarstaaten, was von Irakern besonders kritisch verfolgt wird. So traf sich Parlamentssprecher Iyad al-Samarraie mit dem türkischen Botschafter zu einem Meinungsaustausch, bei dem auch das Wahlgesetz angesprochen werden sollte. Und der iranische Parlamentspräsident Ali Laridjani sprach mit dem Vorsitzenden des Hohen Islamischen Rates in Irak, Ammar al-Hakim. Bei dem Gespräch soll es offiziell darum gehen, wie gemeinsame Wasser- und Ölvorkommen geteilt werden sollen. Der Zeitpunkt des Besuchs legt jedoch nahe, dass auch hier der Streit um das Wahlgesetz Thema sein wird.

Politiker und Medien schüren derweil die Hoffnungen auf den heutigen Sonnabend, an dem sich das Parlament erneut mit dem Wahlgesetz befassen soll. Ob der Gordische Knoten zerschlagen werden kann, ist völlig ungewiss.

* Aus: Neues Deutschland, 7. November 2009


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