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Vergiftete Atmosphäre

Anschläge, heillose Zerstrittenheit und Willkür drei Wochen vor Parlamentswahlen im Irak

Von Karin Leukefeld *

Drei Wochen vor den Wahlen im Irak eskaliert die Auseinandersetzung um die Zulassung von Kandidaten und Parteien. Das selbsternannte »Komitee für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht« hat offiziell bekanntgegeben, daß die prominenten Politiker Saleh Al-Mutlak und Zafer Al-Ani und 143 weitere nicht zu den Wahlen am 7. März antreten dürfen. Unterstellt wird ihnen Nähe zur verbotenen Baath-Partei, tatsächlich sollten sie auf der Liste Al-Irakia kandidieren, in der sich vor allem säkular orientierte Iraker zusammengeschlossen haben. Geführt wird Al-Irakia von dem sunnitischen Parlamentsabgeordneten Saleh Al-Mutlak und dem schiitischen Politiker und früheren Übergangspremier Ijad Allawi. Mutlak war Ende der 1970er Jahre aus der Baath-Partei ausgetreten, Allawi, der in seiner Jugend Mitglied der Partei war, wurde vom früheren Präsidenten Saddam Hussein ausgeschlossen.

Aus Protest gegen den Ausschluß von mindestens 72 Kandidatinnen und Kandidaten ihrer Partei erklärte eine Sprecherin von Al-Irakia am Sonntag (14. Feb.) , man werde den Wahlkampf für drei Tage aussetzen und erneut um eine Zulassung kämpfen. Wenige Stunden später explodierten in verschiedenen Teilen Bagdads Bomben in Büros der säkularen und moderaten Parteien, wobei vor allem Sachschaden entstand. Ziel der Anschläge waren der Sitz von Al-Irakia sowie die Büroräume von Saleh Al-Mutlak. Auch Räumlichkeiten der Vereinigten Irakischen Liste und der Moderaten Bewegung wurden zerstört.

Ahmet Chalabi, der Vorsitzende des »Komitees für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht« und Vorsitzende des Irakischen Nationalkongresses (INC), der im Vorfeld der US-Invasion im Irak die Amerikaner beraten hatte, forderte derweil die USA auf, sich aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Er warf den Amerikanern vor, gemeinsame Sache mit den Baathisten zu machen und Druck ausgeübt zu haben, um die ausgeschlossenen Kandidaten doch zu den Wahlen zuzulassen. Auf einer Pressekonferenz in Bagdad beschwerte sich Chalabi auch, Vizepräsident Biden habe die Hoffnung geäußert, »daß die irakische Justiz das Komitee für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht auflösen« werde.

Selbst wenn die ausgeschlossenen Kandidaten in letzter Minute wieder zugelassen werden sollten, sei der Schaden nicht mehr rückgängig zu machen, heißt es in einem Kommentar des US-Journalisten Robert Dreyfuss. Die Atmosphäre sei vergiftet. Die aktuelle Auseinandersetzung mache deutlich, daß trotz 100000 US-Soldaten der Einfluß Washingtons im Irak verschwinde, während der Einfluß des Iran zunehme. Bush habe die Entscheidung getroffen, die irakische Regierung davonzujagen und statt dessen pro-iranische Exilpolitiker in Bagdad einzusetzen.

Rechtzeitig meldete sich nun auch Al-Qaida zu Wort, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Im Internet soll ein Sprecher die Wahlen am 7. März als »politisches Verbrechen der Schiiten« bezeichnet haben, das seine Organisation »mit allen legitimen Mitteln, vor allem militärisch« verhindern wolle.

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2010


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