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Tauziehen um Ninive im Vorwahlkampf

Koalitionen für irakisches Votum im Januar

Von Karin Leukefeld, Amman *

Im Januar sollen in Irak Parlamentswahlen stattfinden. Ministerpräsident Maliki will zu diesem Votum mit einem Bündnis von nicht weniger als 40 Parteien antreten.

Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki hat sich für die im Januar geplanten Parlamentswahlen ein hoch ambitioniertes Ziel gesetzt. Er will mittels einer »Koalition für Rechtsstaatlichkeit« (Daulat al-Qanun) Schiiten, Sunniten und Kurden mit einer Politik einen, in der nicht Religion oder Herkunft eine Rolle spielen sollen, sondern allein das, was »gut für die irakische Nation und ihre Bewohner« ist. Den ehrgeizigen Plan gab Maliki am Wochenende bekannt und beschwor das Zustandekommen der Koalition als »historischen Wendepunkt (…) beim Aufbau eines modernen irakischen Staates«. Alle Iraker sollten dabei vertreten sein, so Maliki, »auch Persönlichkeiten, die keiner bestimmten Partei oder Volksgruppe angehören«.

Unter den Kandidaten seiner neuen Koalition sind neben Ministern der aktuellen Regierung Unabhängige, Kurden, Christen und Turkmenen. Drei Monate vor den Wahlen sind damit zwei große konkurrierende Listen angetreten: die genannte Koalition für Rechtsstaatlichkeit und die Irakische Nationale Allianz unter Führung des Hohen Islamischen Rates für Irak, der Iran eng verbunden ist.

Bei den Wahlen 2005 hatten sich die politischen Parteien vor allem entsprechend ihrer religiösen und Volksgruppenzugehörigkeit positioniert, was die seit der US-Invasion 2003 verunsicherten Iraker tief spaltete. Diesen Graben will Maliki nun offenbar überwinden und dürfte allein für den Versuch der nationalen Einigung von den Irakern eine Menge Sympathien ernten. Aus den Provinzwahlen im Januar 2009 war Maliki für das gleiche Anliegen quasi als Sieger hervorgegangen, als seine Verbündeten in Bagdad und in acht von neun schiitischen Provinzen die Mehrheit der Stimmen erhielten. Unklar ist noch die Haltung der Iraqiyya-Liste um Iyad Allawi, 2004 erster von den USA eingesetzter Premierminister, und der neuen oppositionellen »Liste für Wandel« in den kurdischen Gebieten. Mit beiden Organisationen verhandelt Maliki noch.

Die Klärung der Ansprüche der Kurden in Irak wird für die nächste Regierung entscheidend sein, stellt erneut ein Bericht der Internationalen Krisengruppe (ICG) fest. Der kurdische Anspruch, die Erdölstadt Kirkuk und weitere angrenzende Gebiete der Provinz Ninive in die kurdische Autonomieregion einzugliedern, hat diese Region mit Anschlägen, Morden und Vertreibungen zu einer der unsichersten Gegenden in Irak gemacht.

Araber und Kurden müssten politisch kooperieren, heißt es in dem Bericht »Der Kampf um Ninive. Die neue Front in Irak«. Sie müssten gemeinsam den Schutz der Region gewährleisten. Die Mehrheit der Bevölkerung in Ninive stellen sunnitische Araber, die bei den Provinzwahlen im Januar die starke Minderheit der Kurden auf den zweiten Platz verwiesen hatten. Diese hatten dennoch den gleichen Anteil an politischen Posten gefordert, was letztlich die lokale Politik paralysierte und zu immer schärferen Auseinandersetzungen und Gewalt führte.

Ninive sei heute der letzte Brennpunkt im arabisch-kurdischen Konflikt, meint Luluwa al-Raschid von der ICG. »Ohne einen Kompromiss besteht die Gefahr, dass der Konflikt ganz Irak in einen Abgrund reißen wird.«

* Aus: Neues Deutschland, 6. Oktober 2009


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