Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Irakisch-Türkische Beziehungen schwer belastet

Boykottdrohungen gegen türkische Unternehmen: Es geht aber nicht nur um den Fall Haschimi

Von Karin Leukefeld *

Der Protest von etwa 200 aufgebrachten Irakern vor dem türkischen Konsulat in Basra (Südirak) hat die angespannten Beziehungen zwischen Irak und der Türkei auf eine weitere Probe gestellt. Die Demonstration am vergangenen Samstag richtete sich gegen die Entscheidung Ankaras, den mit internationalem Haftbefehl gesuchten irakischen Vizepräsidenten Tarik al-Hashimi nicht in den Irak auszuweisen. Sollte die Türkei ihre Meinung nicht innerhalb von zwei Wochen ändern, werde man türkische Unternehmen im Irak boykottieren, kündigte Hassan Hamdi al-Izzi von der Vereinigten Arbeitergewerkschaft an, die den Protest organisiert hatte. Der Boykott werde in Basra beginnen, wo man auch auf die Ausweisung türkischer Unternehmen drängen werde, sollte Ankara nicht einlenken. „Werft die Türken raus“ war eine der Parolen, die von den Demonstranten gerufen wurden, schließlich verbrannten sie die türkische Fahne vor dem Eingang des Konsulats. Die Türkei versuche einen „konfessionellen Konflikt unter den Irakern zu schüren“, sagte Al-Izzi Reportern lokaler Medien.

Das Gleiche hatte vor wenigen Wochen der türkische Ministerpräsident Tayyib Erdogan seinem irakischen Amtskollegen Nuri al-Maliki vorgeworfen. Al Hashemi werde verfolgt, weil er Sunnit sei, so Erdogan, Maliki führe einen „Vernichtungsfeldzug“ gegen die irakischen Sunniten. Maliki hatte daraufhin gedroht, solche Äußerungen würden „die türkischen Interessen“ im Irak gefährden, die Türkei mache sich zum Feind aller Iraker.

Tarik al-Haschimi wurde unmittelbar nach dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak Ende 2011 mit der Anklage konfrontiert, zusammen mit seinen Leibwächtern eine Todesschwadron geführt zu haben, die Militärs und Polizeibeamte getötet haben soll. Insgesamt liegen 150 Anklagen gegen ihn vor. Al-Hashemi, der die Vorwürfe als „politisch motiviert“ zurückgewiesen hat, hatte sich mit Zustimmung des irakischen Präsidenten Dschelal Talabani zunächst in die kurdische Autonomieregion im Nordirak begeben. Dort hat die irakische Zentralmacht keine Amtsgewalt. Anschließend tourte er durch die Golfmonarchien Katar und Saudi Arabien. Inzwischen hält er sich nach offiziellen Angaben für eine „medizinische Behandlung“ in der Türkei auf.

Das irakische Außenministerium in Bagdad bestellte am vergangenen Donnerstag bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Monats den türkischen Botschafter Yunus Demirer ein, um gegen das Verhalten Ankaras und das Verhalten türkischer Diplomaten in Mossul und Basra zu protestieren. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu, der sich zur Zeit zum Nato-Gipfel in Chicago aufhält, kritisierte in einem Telefonat mit seinem irakischen Amtskollegen Hosyar Zebari das “häßliche Verhalten gegenüber der türkischen Fahne” in Basra und bezeichnete die Demonstration als “von impertinenten Individuen manipuliert”.

Zuvor hatte Naschirwan Barzani, Ministerpräsident der kurdischen Autonomieregierung (Erbil) bei einem Besuch in Ankara über zunehmende Spannungen zwischen irakischen Schiiten, Sunniten und Kurden geklagt. Barzani machte dafür die politische Krise und Ministerpräsident Nuri al-Maliki verantwortlich. Der türkische Präsident Abdullah Gül sagte, die Türkei werde die Beziehungen mit der kurdischen Autonomieregion im Nordirak verstärken, auch um den Kampf der Türkei gegen „den Terror“ der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu verstärken, die Stellungen in der kurdischen Autonomieregion unterhält. „Alle unsere Sicherheitskräfte sind miteinander in Verbindung“, sagte Gül vor seiner Abreise zum NATO-Gipfel in Chicago.

Seit der US-Invasion im Irak 2003 hatten sich die türkisch-irakischen Beziehungen enorm verbessert. Türkische Produkte überschwemmten den irakischen Markt, Baufirmen und andere Unternehmen machten gute Geschäfte in dem durch Kriege und 13 Jahre lange UN-Sanktionen zerstörten Land. Seit Beginn der Unruhen in Syrien hat sich allerdings das Verhältnis zwischen Bagdad und Ankara deutlich abgekühlt. Während Ankara auf dem Abtritt von Präsident Bashar al-Assad beharrt, politischen Einfluss für die in Syrien verbotene Muslim Bruderschaft fordert und bewaffnete Gruppen unterstützt, nimmt Bagdad – nicht zuletzt in seiner Funktion als Vorsitzender der Arabischen Liga - eine Vermittlerrolle ein. Aufgrund des türkisch-syrischen Konflikts sind auch die Transportwege für türkische Güter durch Syrien auf die arabische Halbinsel beeinträchtigt. Ankara sucht dafür dringend nach Auswegen. Eine entsprechende Anfrage bei der irakischen Regierung blieb bisher unbeantwortet.

* Dieser Beitrag erschien gekürzt unter dem Titel "Ankara ärgert Bagdad" im "neuen deutschland" vom 21. Mai 2012


Zurück zur Irak-Seite

Zur Türkei-Seite

Zurück zur Homepage