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Irak: Mehr vom Gleichen wird das Land nicht retten

Die US-Regierung hält unbeirrbar an ihrem Krieg fest

Von Daniel Stern *

Ende letzten Jahres konnte man ein wenig auf Entspannung im Nahen Osten hoffen. Die überparteiliche Studiengruppe unter Vorsitz des früheren US-Aussenministers James Baker und des Demokraten Lee Hamilton schlug der US-Regierung vor, sie solle eine Friedenskonferenz unter Einbezug Syriens und des Iran ausrichten. Doch spätestens seit seiner Rede vergangene Woche ist klar: US-Präsident George Bush will das nicht.

Bush hat im Kern genau das Gegenteil von dem angekündigt, was die Kommission vorschlug. Die geplante Entsendung von über 20000 zusätzlichen SoldatInnen provoziert eine Ausweitung des Krieges. Bush setzt jetzt den Iran und Syrien noch stärker unter Druck. In seiner Rede macht er den Iran direkt für Waffenlieferungen an die Aufständischen im Irak verantwortlich - ohne Beweise dafür zu nennen. Wörtlich sagt er: «Wir werden ständig aus Iran und Syrien fliessende Unterstützung unterbrechen. Und wir werden die Netze zerstören, die unsere Feinde mit hoch entwickelten Waffen und Training unterstützen.» Die Erstürmung des iranischen Konsulates in Erbil tags darauf war ein klares Signal. Auch die angekündigte Verlegung eines weiteren Flugzeugträgerverbandes in die Region verstärkt die Drohgebärden gegenüber dem Iran. Ausserdem will Bush Raketenabwehrsysteme an befreundete arabische Regimes liefern. Auch das muss als Vorbereitung eines bewaffneten Konfliktes mit dem Iran interpretiert werden: Bei einem US-Angriff würde der Iran möglicherweise Raketen auf die Ölfelder in den Golfstaaten abfeuern.

Wenn jetzt US-Aussenministerin Condoleezza Rice durch den Nahen Osten tourt, so versucht sie primär, die befreundeten Regimes in eine Koalition gegen Iran und Syrien einzubinden. Dazu muss sie sich mit dem Palästinaproblem befassen. So hat sie Palästinas Präsidenten Mahmud Abbas direkte Verhandlungen mit Israels Ministerpräsidenten Ehud Olmert versprochen. Ausserdem erhalten Abbas’ Milizen 86 Millionen Dollar zur Aufrüstung. Das ist Bürgerkriegshilfe im Kampf gegen die Hamas, während dem Land Wirtschaftshilfe weiterhin versagt bleibt.

Im Irak selber sollen die verstärkten US-Truppen eine neue Taktik verfolgen. Vorab in Bagdad soll in Zusammenarbeit mit irakischen Soldaten jedes Quartier Haus für Haus durchsucht werden. Ist ein Gebiet durchkämmt, sollen die Uniformierten Unterkünfte requirieren und permanent dort bleiben. «Clear and hold» (Säubern und Halten) nennt sich diese Taktik. In einem kürzlich veröffentlichten Feldhandbuch ist das Vorgehen detailliert beschrieben (siehe WOZ Nr. 28/06). Ko-Autor des Manuals ist David Petraeus, der von George Bush zum neuen obersten Kommandanten im Irak ernannt wurde.

Allerdings darf bezweifelt werden, ob die US-Armee mit dem neuen Vorgehen Erfolg haben wird. Aus Bagdader Stadtteilen lassen sich keine Wehrdörfer machen wie einst in Vietnam oder Guatemala. Den eingesetzten Soldaten fehlt zudem die nötige Ausbildung. Ausserdem handelt es sich im Irak nicht um einen klassischen Aufstand gegen eine Regierung oder eine Besatzungsarmee. Im Irak sind inzwischen die unterschiedlichsten bewaffneten Gruppen am Werk, mit den unterschiedlichsten Zielen und Interessen. Viele blutige Attentate richten sich gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe - das typische Merkmal eines Bürgerkriegs.

Integraler Bestandteil der «Clear and hold»-Taktik ist auch, dass sehr bald nach der Besetzung mit dem Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur begonnen wird. Dadurch liesse sich vielleicht die Akzeptanz der Bevölkerung gewinnen. Doch faktisch schafft es die US-Regierung nicht einmal, im eigenen Land den Wiederaufbau nach dem Hurrikan Katrina befriedigend zu organisieren. Und im Irak selber grassiert die Korruption, was die meisten Wiederaufbauprojekte zum Stillstand gebracht hat. Ausserdem fliessen die Gelder aus dem Ölverkauf nicht in dem Masse wie erwartet, da Ölleitungen und Pumpstationen laufend sabotiert und angegriffen werden.

So ist zu befürchten, dass die Bush-Regierung weitere Rückschläge im Irak nur mit neuen Anschuldigungen gegen Iran und Syrien kontert und möglicherweise eine Ausweitung des Krieges über die irakischen Grenzen hinaus in Gang setzt. Allerdings besteht Hoffnung: Die jetzt im US-Parlament tonangebende Demokratische Partei hat Widerstand gegen Bushs Pläne angekündigt. Zwar hat Bush in der Aussenpolitik viele Vollmachten, und viele DemokratInnen zeigen sich zögerlich. Doch die einzelnen Abgeordneten stehen unter dem Druck ihrer WählerInnen, nicht nur symbolisch, sondern ganz real die Eskalationspläne zu bekämpfen. Die Antikriegsbewegung versucht, diese WählerInnen in den kommenden Wochen in Grossdemonstrationen auf die Strasse zu bringen.

* Aus: Die Wochenzeitung WOZ, 18. Januar 2007


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