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US-Angriff auf die "Aasgeier"

In Bagdads Armenviertel Sadr-City sind vor allem Zivilisten Opfer

Von Karin Leukefeld *

Bei einem weiteren Angriff auf Sadr-City, das mit zwei Millionen Einwohnern größte Armenviertel von Bagdad, hat die US-Luftwaffe am Sonnabend das Al-Sadr-Krankenhaus teilweise zerstört. 20 Personen wurden nach Angaben des Krankenhauspersonals verletzt, medizinische Geräte und Fensterscheiben zerstört.

Ziel des Angriffs seien nach Auskunft eines US-Militärsprechers »kriminelle Elemente« gewesen, getroffen wurden aber neben dem Krankenhaus auch 17 Krankenwagen und eine Holzbaracke, die als temporäre Unterkunft für schiitische Pilger gedient hatte. Die Amerikaner würden vermutlich angeben, sie hätten ein Waffenlager getroffen, sagte sarkastisch Dr. Ali Bistan, der Leiter der Gesundheitsbehörde von Bagdad. »Tatsächlich aber zerstören sie die Infrastruktur unseres Landes.«

Irakischen Angaben zufolge sind im April bei den Kämpfen in Sadr-City 400 Personen getötet worden, mehr als 2500 wurden verletzt.

Drei Abgeordnete der Sadr-Bewegung zeigten letzte Woche auf einer Pressekonferenz in der »Grünen Zone« Bilder getöteter Zivilisten und kritisierten die »Belagerung« von Sadr-City, das nicht nur von Lebensmittellieferungen abgeschnitten sei, sondern auch von der Öl- und Benzinzufuhr.

Premier Nuri al-Maliki sei für das Massaker an den Einwohnern von Sadr-City verantwortlich, erklärten die Abgeordneten und bezeichneten ihn mit Verweis auf eine Koran-Sure als »verkommen«. Maliki, der Ende März den militärischen Angriff auf die Mahdi-Milizen von Muktada al-Sadr anordnete, obwohl diese bereits seit mehr als sechs Monaten einen Waffenstillstand einhielten, scheint nicht an eine Einstellung der Militäroperationen zu denken. Die Milizen benutzten die Bevölkerung als »menschliche Schutzschilde«, sagte der irakische Ministerpräsident. »Sie treten in die Fußstapfen des Baath-Regimes.« Man werde keine »Aasgeier« in Irak zulassen. »Das Leid in Sadr-City wird nicht mehr lange dauern, wir werden unsere Brüder retten.« Einwohner des Viertels sehen das anders. Mitten in der Nacht sei ihr Haus explodiert, berichtete Abu Zeinab, dessen Schwiegertochter Haifa mit gebrochenen Beinen im Krankenhaus liegt. »Warum kommt Maliki nicht her und sieht sich an, was mit der Zivilbevölkerung geschieht?« Unter Saddam Hussein sei das Leben nicht einfach gewesen, »aber nicht so wie jetzt«.

Die Kritik an Maliki hat in den letzten Wochen enorm zugenommen. »Die Regierung muss einsehen, dass die Macht nicht ewig währt, sie sollte sich besinnen und wieder zum Volk zurückkehren«, sagte Scheich Suheil al-Ukabi beim Freitagsgebet in der Al-Hikma-Moschee in Sadr-City. Eine iranische Regierungsdelegation, die ursprünglich zu einer vierten Gesprächsrunde mit der irakischen Regierung und US-Vertretern über die Sicherheit in Irak nach Bagdad gereist war, fand nicht statt. Wegen der US-Angriffe auf Iraker habe Iran den Eindruck, Sicherheitsverhandlungen seien unangebracht, hieß es von Seiten Irans.

US-Präsident George W. Bush hat derweil weitere 70 Milliarden US-Dollar für die Kriege in Irak und Afghanistan für Anfang 2009 beantragt. Ursprünglich wollte er 108 Milliarden haben. 45,1 Milliarden sollen weitere Kampfoperationen finanzieren, für die Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte will Bush zwei Milliarden.

Unterdessen hat die türkische Luftwaffe zum dritten Mal innerhalb von zwei Monaten Stellungen der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK in Nordirak bombardiert. Sie tötete dabei nach eigenen Angaben angeblich mehr als 150 PKK-Kämpfer. Das teilte der Generalstab am Wochenende in Ankara mit. Die PKK wies das zurück und sprach von lediglich sechs getöteten Kämpfern.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2008


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