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"Krieg ist eine zu ernste Angelegenheit, um ihn auf der Grundlage von Spekulationen zu beginnen"

Der ehemalige UN-Waffeninspekteur Scott Ritter zur gegenwärtigen Lage

In der Oktoberausgabe der Zeitschrift "konkret" (Heft 10/2002) befindet sich ein hoch interessantes Interview mit dem ehemaligen Chef der UN-Waffeninspekteure im Irak, dem US-Amerikaner Scott Ritter. Das Gespräch führte Johannes von Dohnanyi. Er hat zusammen mit Germana von Dohnanyi das Buch "Schmutzige Geschäfte und heiliger Krieg. Al-Quaida in Europa" veröffentlicht (Pendo Verlag, 2002). Wir dokumentieren im Folgenden ein paar Auszüge asu dem sehr ausführlichen Gespräch.


(Zu Beginn stellt Scott Ritter klar, dass die gültigen UN-Resolutionen zum Irak die vollständige Abrüstung von Massenvernichtungswaffen aller Art beinhaltete, bevor an die Aufhebung der Sanktionen zu denken war. Ritter geht davon aus, dass zumindest 90 Prozent des Waffenarsenals in der Zeit von 1991 bis 1998 zerstört oder anderweitig unschädlichgemacht wurden. Über die restlichen 10 Prozent wüsste nieman, ob es sie überhaupt gibt. Bagdad jedenfalls hat deren Existenz immer geleugnet.)

konkret: Und das haben Sie geglaubt?

Ritter: Nein. Wir haben uns nur noch intensiver mit Saddam Husseins geheimen internen Machtstrukturen beschäftigt. Obwohl die UN-Resolutionen uns das Recht dazu gaben, blockierte der Irak von da an die Inspektionen, weil diese Recherchen angeblich nichts mehr mit der Suche nach Massenvernichtungswaffen zu tun hatten.

konkret: Damit wäre das Mißtrauen der USA gerechtfertigt?

Ritter: Warten Sie. Die USA haben das Wissen der UN-Waffeninspektoren über die geheimen Strukturen des Iraks mißbraucht, um den Widerstand gegen Saddam Hussein zu schüren und einen Putsch zu inszenieren. Aber der Sicherheitsrat hat den Sturz Saddam Husseins oder die Destabilisierung des Iraks nie autorisiert.

konkret: Immerhin hat Bagdad Sie und Ihre Truppe rausgeworfen!

Ritter: Falsch. Washington provozierte mit besonders aggressiven Inspektionen einen Konflikt, für den der Irak dann zur Strafe bombardiert wurde. Kein Wunder, daß Bagdad uns seitdem nur noch als außenpolitische Werkzeuge Amerikas betrachtete und die Inspektoren nicht mehr ins Land zurück ließ.

(Im weiteren Verlauf des Gesprächs gibt Ritter zu verstehen, dass er sein Wissen nie an die Regierung der USA weitergegeben hätte und dass auch die Inspekteure aus Frankreich, Deutschland und ("sogar") Israel sich strikt daran gehalten hätten, Geheimdienstinformationen aus dem Irak "nie für ihre eigenen Zwecke" zu nutzen.)

konkret: Und was Sie damals zusammentrugen, plus die Hinweise auf die neuesten Gefahren, läßt Washington jetzt wieder von einer neuen irakischen Gefahr reden.

Ritter: Nur daß ich bis heute keinen überzeugenden Beweis dafür gesehen habe, daß der Irak nach dem Abzug der Inspektoren den Bau biologischer, chemischer und nuklearer Waffen wiederaufgenommen hat. Wissen Sie, anders als George W. Bush habe ich für mein Land gekämpft. Darauf bin ich stolz. Aber von daher weiß ich auch, daß Krieg eine zu ernste Angelegenheit ist, um ihn auf der Grundlage von Spekulationen zu beginnen.
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konkret: Die Internationale Atomenergiebehörde argumentiert mit Fakten.

Ritter: Wenn Sie den Bericht der IAEO aufmerksam lesen, dann steht da drin, daß der Irak keine nuklearen Waffenkapazitäten hat. Die IAEO hat die falsche Interpretation des Weißen Hauses öffentlich dementiert.

konkret: Papiere aus dem Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) gelten in der Regel als zuverlässig. Auch das IISS warnt vor einer atomaren Bedrohung durch Saddam Hussein.

Ritter: Der IISS-Bericht basiert nicht auf Fakten, sondern auf Spekulationen. Schon die Wahl der Worte ist bezeichnend. Der Irak "könnte bald Atomwaffen haben", heißt es da. Oder der Irak "könnte dies machen" oder "würde vielleicht" jenes tun. Alles unbewiesene Hypothesen, die um so gefährlicher sind, als sie von Washington als angeblich bewiesene Wahrheiten verbreitet werden.

konkret: Und Ihre Behauptungen sind keine Spekulationen?

Ritter: Die UN-Waffeninspektoren hatten bis 1996 zwischen 90 und 95 Prozent der irakischen Programme für Massenvernichtungswaffen zerstört. Allein für das Atomwaffenprogramm müßte Bagdad Milliarden-Dollarbeträge investieren, um auf den Stand von 1991 zurückzukehren. Das würde entdeckt werden. Aber nicht alles Nuklearmaterial, das angeblich im Besitz des Iraks war, wurde gefunden. Material übrigens, dessen Existenz für uns nie gesichert war. Der IISS-Report geht jetzt einfach davon aus, daß Bagdad dieses Material noch hat. Und das gleiche gilt für die angeblichen chemischen und biologischen Waffen. Ich weiß genug von der Materie, um die Quellen zu kennen, die benutzt wurden. ...

konkret: Und die chemischen Waffen?

Ritter: Die angebliche Produktion des gefährlichsten Nervengifts VX in kristalliner Form haben wir nie beweisen können. Wir haben Tabun und Sarin gefunden. Beide Kampfstoffe verlieren selbst unter perfekten Lagerbedingungen in fünf Jahren ihre Wirkung. Wir haben die irakischen Tabun- und Sarinfabriken zerstört. Und selbst wenn es da einen nicht entdeckten Rest chemischer Waffen gab, wäre der heute wertlos. Das würde übrigens so ähnlich auch für biologische Kampfstoffe gelten.

konkret: Aber könnte es nicht sein, daß der Irak heimlich die Produktion solcher Waffen wiederaufgenommen hat?

Ritter: Bis 1998 haben die UN-Inspektoren keinen solchen Versuch des Iraks entdeckt, die Chemiewaffen-Produktion wieder zu beginnen. Daß wir uns da recht verstehen: Ich teile die Sorgen, daß etwa Düngemittelfabriken ohne die dauernde Kontrolle der UN-Inspektoren schnell wieder umgerüstet werden könnten. Aber wir können doch nicht einen Krieg beginnen, weil wir glauben, daß der Irak etwas getan haben könnte. Bush muß beweisen, daß genau das geschehen ist.

konkret: US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld behauptet steif und fest, daß die nötigen Beweise im Besitz Washingtons sind. Angeblich hat Saddam Hussein seine Waffenfabriken in den Untergrund verlegt.

Ritter: Das ist dummes Geschwätz. Bis 1998 war ich persönlich für die Suche nach solchen Einrichtungen verantwortlich. Ich hatte spezielle Radaranlagen, mit denen man durch die Erdoberfläche schauen kann. Mit mir arbeiteten von der CIA ausgebildete Geophysiker. Wir haben nicht eine einzige solche Anlage gefunden. Es gibt sie einfach nicht.
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konkret: Welchen Grund sollte die Administration haben, ohne Not einen Krieg loszutreten?

Ritter: Ganz einfach. Die Neo-Konservativen um Bush haben zuviel politisches Kapital in die Beseitigung Saddam Husseins investiert, als daß sie da jetzt noch rauskönnten. Ich kann es nicht akzeptieren, daß wir unsere Soldaten gefährden, eine ganze Region destabilisieren und der irakischen Bevölkerung noch mehr Leid zufügen sollen, nur weil das irgend jemandem gerade in die politische Agenda paßt!
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(Scott Ritter war vor kurzem auf Einladung der irakischen Regierung zu Gesprächen in Bagdad. Er hat gute Nachrichten mitgebracht:)

Ritter: Wenn der Irak die Inspektoren wieder ins Land läßt, dann wollen einige Staaten wie Kanada, Südafrika und Belgien eine Rolle als ehrbare Vermittler oder, wenn Sie so wollen, als Kontrolleure übernehmen. Diese Staaten würden dafür sorgen, daß die Waffeninspektoren nicht mehr wie früher das Mandat der Vereinten Nationen verletzen und den Irak ausspionieren. Kurz und gut, ich habe dem Regime einen Ausweg gezeigt, mit dem einerseits der Krieg vermieden und zugleich die Würde und Souveränität des Iraks gewahrt werden könnte.

konkret: So einfach wäre es, den Krieg zu vermieden?

Ritter: Ich habe es den Irakern immer wieder gesagt: Erlaubt den UN, eure Entwaffnung zu zertifizieren - und Washingtons Politik wird zusammenbrechen. Ich glaube, daß sie das verstanden haben. Aber natürlich liegt die letzte Entscheidung bei Saddam Hussein. Der Ball liegt jetzt in seiner Spielhälfte.*

konkret: Wie hat Washington auf Ihre Reise reagiert?

Ritter: Deren Strategie ist es, mich zu ignorieren. Bushs Berater Richard Perle hat öffentlich gesagt, daß jede Auseinandersetzung mit meinen Positionen mich nur glaubwürdiger machen würde.
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konkret: Wieviel Zeit bleibt den Irakern noch, sich zu entscheiden?

Ritter: Nicht mehr viel. So, wie Präsident Bush redet, glaube ich nicht, daß der irakischen Regierung mehr als ein paar Wochen bleiben. Ich schäme mich, dies so sagen zu müssen. Aber es ist meine Regierung, die mit ihrer unilateralen Politik den internationalen Frieden und die Sicherheit gefährdet. Und die riskiert, daß ein Drittweltstaat den USA kräftig in den Hintern tritt.

* Anm. Das Interview wurde vor der Ankündigung der irakischen Regierung geführt, die UN-Waffeninspekteure "bedingungslos" wieder ins Land zu lassen (16. September 2002). Um im Bild zu bleiben: Saddam bugsierte den Ball wieder in die Spielhälfte der anderen Seite. Dass dies die US-Administration auf der internationalen politischen Bühne in Bedrängnis gebracht hat, ist bekannt. Bekannt ist leider auch, dass die USA von ihren Kriegsabsichten zum Sturz Saddams nicht abgerückt sind.


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