Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Irak: "Warum wir wissen, dass der Irak lügt"

Condoleezza Rice verschärft den Ton gegenüber Irak

Im Folgenden dokumentieren wir einen Namensartikel von Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, der am 23. Januar 2003 in der New York Times erschien. Das Original ist auf der Homepage des State Department (http://usinfo.state.gov) veröffentlicht. Die Übersetzung ins Deutsche wurde von der US-Botschaft in Deutschland besorgt.


Von Condoleezza Rice

Elf Wochen, nachdem der UN-Sicherheitsrat einstimmig eine Resolution verabschiedet hat, die - mal wieder - fordert, dass der Irak alle seine nuklearen, chemischen und biologischen Waffenprogramme offen legt und sich ihrer entledigt, ist es durchaus angemessen zu fragen, "Hat Saddam Hussein sich endlich freiwillig für Abrüstung entschieden?". Leider ist die Antwort ein klares und dröhnendes Nein.

Eine freiwillige Entwaffnung hat nichts Geheimnisvolles an sich. Länder, die sich zur Abrüstung entschließen, führen Inspektoren zu Waffen und Produktionsstätten, beantworten Fragen, bevor sie gestellt werden, bekunden öffentlich und häufig ihre Absicht zur Abrüstung und fordern ihre Bürger zur Kooperation auf. Die Welt weiß anhand der Beispiele von Südafrika, der Ukraine und Kasachstan, wie es ist, wenn sich eine Regierung entscheidet, seine Massenvernichtungswaffen aufzugeben. Die entscheidenden gemeinsamen Elemente dieser Bestrebungen beinhalten die Verpflichtung zur Abrüstung auf hoher politischer Ebene, nationale Initiativen zur Einstellung von Waffenprogrammen sowie umfassende Kooperation und Transparenz.

Im Jahr 1989 traf Südafrika die strategische Entscheidung, sein heimliches Atomwaffenprogramm abzubrechen. Es zerstörte sein sieben Waffen umfassendes Arsenal und unterzog sich später rigorosen Überprüfungen durch die Internationale Atomenergieorganisation. Inspektoren wurde uneingeschränkter Zutritt zu allen Nuklearanlagen gewährt (betriebsbereiten und stillgelegten) sowie zu den dort arbeitenden Personen. Außerdem wurden ihnen Tausende von Unterlagen zur Verfügung gestellt, die im Detail beispielsweise den täglichen Betrieb von Urananreicherungsanlagen sowie den Bau und die Zerstörung bestimmter Waffen belegten.

Die Ukraine und Kasachstan zeigten in ähnlicher Weise Kooperationsbereitschaft, als sie sich entschlossen, ihre Atomwaffen, Interkontinentalraketen und von der Sowjetunion übernommenen schweren Bomber abzurüsten. Mit der beträchtlichen Unterstützung durch die Vereinigten Staaten - in beiden Ländern hoch willkommen - ging die Abrüstung planmäßig, offen und schnell vor sich. Atomsprengköpfe wurden an Russland zurückgegeben. Lagerstätten von Raketen und schwere Bomber wurden zerstört oder zerlegt - einmal wohnten einer solchen Zeremonie sogar ein amerikanischer und ein russischer Verteidigungsminister bei. In einem Fall offenbarte Kasachstan die Existenz einer Tonne hoch angereicherten Urans und bat die Vereinigten Staaten, diese abzutransportieren, damit das Material nicht in falsche Hände geriete.

Das Verhalten des Irak könnte in keinem stärkeren Kontrast hierzu stehen. Anstelle sich zur Abrüstung zu verpflichten, engagiert sich der Irak auf hochrangiger politischer Ebene dafür, seine Waffen zu behalten und zu verbergen. Hinter dieser Politik stehen Saddam Hussein und sein Sohn Qusay, der eine für die Geheimhaltungsaktivitäten des Iraks zuständige Sicherheitssonderorganisation leitet. Anstatt nationale Initiativen zur Abrüstung umzusetzen, unterhält der Irak Institutionen, deren einziger Zweck darin besteht, die Arbeit der Inspektoren zu hintertreiben. Und anstatt umfassende Kooperation und Transparenz an den Tag zu legen, hat der Irak den Vereinten Nationen einen falschen Bericht vorgelegt, der über 12.200 Seiten hinweg aus nichts als Lügen besteht.

Beispielsweise legt der Bericht keine Rechenschaft darüber ab oder erklärt die Bemühungen des Irak, ausländisches Uran zu beschaffen oder speziellen Treibstoff für ballistische Flugkörper herzustellen, von denen er behauptet, sie gar nicht zu besitzen; und er macht auch keine Angaben zu bereits früher von den Vereinten Nationen ausgemachte Lücken im Rechenschaftsbericht des Irak über mehr als zwei Tonnen Rohstoffe, die für die Produktion von Tausenden Litern Anthrax oder anderer biologischer Waffen benötigt werden.

In der irakischen Erklärung wurde sogar unverfroren abgekupfert, indem weite Teile von UN-Berichten wortwörtlich kopiert (oder so bearbeitet sind, dass jegliche Kritik am Irak wegfällt) und dann als Originaltext präsentiert wurden. Der Bericht ist weit entfernt davon, Informationen zu liefern, sondern zielt darauf ab, das wahre Bild vom irakischen Waffenarsenal zu verschleiern und zu verzerren. Dies spiegelt den wohlverdienten Ruf des Regimes wider unaufrichtig zu sein und stellt eine eklatante Pflichtverletzung der Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrats dar, die zu dem laufenden Inspektionsprogramm führte.

Anders als andere Nationen, die freiwillig abrüsteten, - und unter Missachtung von Resolution 1441 - gewährt der Irak den Inspektoren keinen "unverzüglichen, ungehinderten, uneingeschränkten Zugang" zu Einrichtungen und Personen, die im Zusammenhang mit seinem Waffenprogramm stehen. Wie die kürzlich erfolgte Inspektion des Hauses eines irakischen Nuklearwissenschaftlers zeigte - und was auch aus anderen Quellen bestätigt wird - werden Materialien und Unterlagen immer noch in der Manier possenhaften Versteckspiels herumtransportiert. Das Regime hat außerdem die freie und uneingeschränkte Luftaufklärung blockiert.

Die Liste der im Zusammenhang mit Massenvernichtungsprogrammen stehenden Personen, die die Vereinten Nationen vom Irak verlangen, endet mit den Namen derjenigen, die im Jahr 1991 arbeiteten - auch wenn die Vereinten Nationen bereits vorher festgestellt hatten, dass die Programme auch danach fortgeführt wurden. Gespräche mit Wissenschaftlern und mit Waffenprogrammen befassten Personen, die die Inspektoren ausgemacht haben, fanden nur unter der aufmerksamen Anwesenheit von Regimevertretern statt. Angesichts der bekannten Doppelzüngigkeit des Regimes können die vor kurzem abgegebenen Versprechen sich zu bessern nur als ein Versuch gewertet werden Zeit zu schinden.

Die Tatsache, dass die Inspektoren vergangene Woche 12 chemische Sprengköpfe fanden, die nicht im Bericht des Iraks auftauchen, war besonders beunruhigend. In der Vergangenheit wurde diese Art von Sprengköpfen mit Sarin bestückt - ein tödliches Nervengas, das 1995 von japanischen Terroristen in der Tokioter Untergrundbahn verwendet wurde, wobei 12 Fahrgäste ums Leben kamen und Tausende andere erkrankten. Richard Butler, der ehemalige Leiter der UN-Waffeninspektoren, schätzt, dass mehr als eine Million Menschen getötet werden könnten, sollte ein größerer vom Irak produzierter und in der Vergangenheit eingesetzter Sprengkopf mit VX (einem weitaus tödlicherem Nervengas) bestückt und auf eine große Stadt abgefeuert werden. Der Irak hat es ebenso unterlassen, den UN-Inspektoren Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die seine Behauptung belegen, VX-Vorräte zerstört zu haben.

Es bleiben viele Fragen offen im Hinblick auf die nuklearen, chemischen und biologischen Waffenprogramme und Arsenale des Irak - und es ist am Irak, die Antworten zu liefern. Der Irak tut dies auf spektakuläre Weise nicht. Sowohl durch seine Handlungen als auch durch seine Untätigkeit beweist der Irak nicht, dass er ein zur Abrüstung bereites Land ist, sondern im Gegenteil eine Nation, die etwas zu verbergen hat. Der Irak betrachtet die Inspektionen immer noch als Spiel. Das Land muss wissen, dass die Zeit abläuft.

Originaltext: Concoleezza Rice Says Iray Clearly Lying About its Weapons (siehe http://usinfo.state.gov)


Zurück zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage