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Geheimdienstexperte: USA werden nicht nur gegen Irak Krieg führen

John Pike vom US-Think-Tank "Globalsecurity" im Gespräch mit der "Netzeitung"

Die Onlinezeitung "Netzeitung" (www.netzeitung.de) veröffentlichte am 14. Oktober 2002 ein interessantes Hintergrundgespräch mit einem renommierten Geheimdienstexperten der USA. Wir dokumenteiren im Folgenden den Bericht (Autor: Martin Schwarz) aus der Netzeitung. Die URL des Artikels lautet: http://www.netzeitung.de/servlets/page?section=1110&item=211077

Fünf Jahre müsste Irak nach einem Sturz Saddam Husseins besetzt werden, um das Land zu stabilisieren. Das sagte John Pike, Direktor des amerikanischen Think-Tank Globalsecurity, der Netzeitung. Die eigentliche Gefahr sieht er aber in den Folgekriegen.

Von Martin Schwarz


Ein amerikanisches Militär-Regime muss lange in Irak ausharren, um das Land nach einem Sturz Saddam Husseins wieder zu einem funktionierenden Staatswesen zu machen, glaubt John Pike, Direktor beim renommierten amerikanischen Think Tank Globalsecurity. «Ich rechne damit, dass die USA den Irak mindestens fünf Jahre lang unter ihre Verwaltung stellen müssen, bis sich eigenständige politische Strukturen und auch die richtigen politischen Führer entwickeln können», sagte Pike der Netzeitung.

Kein Personal

Im Weißen Haus wird zurzeit die Idee diskutiert, in Irak ein ähnliches Regime zu etablieren, wie es in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Japan existierte. Die sei zwar grundsätzlich gut, kranke aber an Personalfragen, so Pike: «In Deutschland hat man wieder Leute an die entscheidenden politischen Positionen setzen können, die schon in der Weimarer Republik politisch aktiv waren. In Irak funktioniert das nicht. Die Baath-Partei regiert länger als es Hitler getan hat.» Auch eine Integrationsfigur, wie es in Afghanistan der greise Ex-König Sahir Schah ist, gebe es derzeit in Irak nicht.

Letztendlich komme es auch darauf an, wie weit die irakische Verwaltung nach einem Sturz Saddam Husseins gesäubert werden solle: «Am Tag nach der Entmachtung Husseins werden die Bürokraten in Bagdad wieder an ihre Schreibtische zurückkehren und weiter regieren, als wäre nichts geschehen.« Es werde an den USA liegen, bis zu welchem Punkt der Hierarchie gesäubert werden muss. »Das wird eine entscheidende Frage sein», sagte Pike.

Putsch versus Krieg

Doch obwohl in Washingtoner Regierungskreisen die Planungen für ein amerikanisches Militärregime laufen, sind die USA noch nicht sicher, ob ein solches - möglicherweise unter Leitung des Chefs des US-Zentralkommandos Tommy Franks - tatsächlich eingesetzt werden soll.

Pike sagte: «Der Entscheidungsprozess ist noch nicht so weit gediehen. Es gibt noch immer Vertreter der US-Regierung, die eher die Inszenierung eines Putsches charmant finden, weil man sich dadurch einen Krieg ersparen würde», beschreibt Pike das inneramerikanische Gezerre um die richtige Strategie nach einem Krieg.

Die Entscheidung zum Krieg, so Pike, sei aber bereits gefallen. Auch die Vereinten Nationen würden daran nichts mehr ändern können: «Die UN-Waffeninspektoren werden wohl nicht mehr in den Irak zurückkehren. Das ist vorbei», meint Pike - auch unter Berücksichtigung der Lage im UN-Sicherheitsrat: «Frankreich wird auf die USA zugehen. Russland lässt sich kaufen, weil man nur versprechen muss, dass es die Milliarden wieder sieht, die der Irak den Russen schuldet. China wird sich wegen des Irak nicht auf eine Konfrontation mit den USA einlassen und Großbritannien ist eine sichere Bank», analysiert Pike.

Es sei «nur noch eine Frage von Formulierungen an einer Kompromiss-Resolution».

Kriege gegen Iran und Nordkorea

Doch Irak, meint Pike, sei nur die Vorstufe zu weiteren Kriegen: «Der Irak ist innerhalb der 'Achse des Bösen' das leichteste Ziel. Danach, das kann ich fast garantieren, geht es an den Iran und schließlich an Nordkorea. Aber auch unter diplomatischen Gesichtspunkten ist der Irak derzeit am leichtesten anzugreifen, weil hier ein schlüssiges Bedrohungsszenario vorliegt».

Die Bush-Regierung werde ihre Politik des präventiven Krieges auf jeden Fall fortsetzen, «so lange die Leute davon nicht gelangweilt sind. Derzeit sind sie es nicht».

Vor den Kongresswahlen am 5. November werde das Thema Irak besonders aufgeheizt: «Die US-Demokraten haben Schwierigkeiten, mit ihren Themen in die Medien zu kommen, weil die Bush-Administration beinahe täglich die Presse mit Irak-Angelegenheiten füttert», sagt Pike.

Für ihn, Pike, stellt sich aber die Frage, ob es klug ist, eine solche neue Weltordnung auf der Basis der Kriegsprovokation durchzusetzen: «Kann ich damit leben, wenn die USA den Irak angreifen? Ganz sicher. Ist es aber klug, danach auch den Iran und Nordkorea in die Knie zu zwingen? Vielleicht nicht».

Aus: Netzeitung, 14. 10. 2002


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