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Im Irak ist keine "Nordallianz" in Sicht

Opposition gegen Saddam präsentiert sich uneinheitlich. Zwei Einblicke

Im "Freitag" vom 6. September 2002 erschienen zwei Beiträge, die sich mit dem Zustand der irakischen Opposition befassten. Welche Kräfte verbergen sich hinter ihr? Wie geschlossen sind sie? Wie demokratisch sind sie? Setzen sie auf Bushs Krieg oder auf eine innere Umwälzung? Wir dokumentieren Auszüge aus einem Artikel von Angela Grünzel sowie aus einem Interview mit einem Vertreter der Auslands-KP in Deutschland.


Casting für den Tag X

Von Angela Grünzel

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Im dezenten Tenue de ville westlicher Designer präsentiert sich ein Teil der irakischen Opposition Anfang August in Washington zu Gesprächen mit der US-Regierung. Mit fehlerfreiem Oxford-Englisch erobert mancher Exilant die Prime Time bei CNN oder ABC. Vertreter der schiitischen Muslime des Irak sitzen im traditionellen Turban-Outfit am gleichen ovalen Tisch. Nicht nur äußerlich bunt und teilweise konträr wirken die "wichtigsten Vertreter der irakischen Opposition", wie sie Colin Powell hofiert, auch inhaltlich eint sie lediglich der Wunsch, dass Saddam Hussein endlich verschwinden möge. Die USA suchen fieberhaft einen Nachfolger, einen Regenten für die Post-Saddam-Ära, und können ihn nicht finden. Wer garantiert Ruhe, Ordnung und Stabilität - Konzilianz und Gefolgschaft?

1998 verabschiedete die Regierung Clinton den Iraq Liberation Act, der sieben Oppositionsgruppen als "demokratisch" anerkannte und ihnen einen Anspruch auf militärische wie finanzielle Hilfe bescheinigte. Sechs der sieben waren auserwählt, am "Washingtoner Gespräch" teilzuhaben - nur die Islamische Bewegung für Irakisch-Kurdistan (IMK) blieb suspendiert. Was nicht verwundert, ist sie doch Teil einer islamistischen Spezies im kurdischen Norden, der mehrheitlich ein Staatsmodell vorschwebt, das dem Vorbild der gestürzten Taleban in Afghanistan einiges abgewinnen kann. Die säkulare Regionalregierung Kurdistans und die Islamisten liefern sich seit Monaten einen erbitterten Guerilla-Krieg an der irakisch-iranischen Grenze. Ein im Januar von Teheran vermittelter Waffenstillstand (s. Freitag vom 30.8. 2002) ist längst zu Makulatur geworden. Der Moderator Iran empfiehlt sich weiter als Vermittler, indem er nicht mehr allein den Islamisten Finanzhilfe gewährt, sondern auch deren Gegenspielern, der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) unter Jalal Talabani.

Ein Regime ŕ la Iran

Ganz ohne die islamische Geistlichkeit geht es freilich nicht. Und so saß kürzlich in Washington wenigstens der Hohe Rat für die Islamische Revolution im Irak (SCIRI/Supreme Council for the Islamic Revolution in Iraq) unter den vom State Department handverlesenen Exil-Oppositionellen. Sakrosankter Führer des ansonsten in Teheran residierenden Verbundes ist Ayatollah Muhammad Bakr al-Hakim. Seine Organisation unterhält - bar jeder Friedfertigkeit - nicht nur ein Trainingscamp für eine 15.000 Mann starke Armee im Iran, sondern ist zudem wichtigste Repräsentanz der schiitischen Opposition im Südirak.

Etwa zwei Drittel der Iraker sind Schiiten, nur ein Drittel Sunniten. Im Unterschied zu den Schiiten erkennen letztere auch jene Nachfolger (Kalifen) des Propheten Mohammed als rechtmäßige an, die nicht zu den Nachkommen des Propheten zählen. Die Herrscherclique Saddam Husseins zählt mehrheitlich zu den Sunniten. Die Klagen von Amnesty International und anderen über Diskriminierungen der schiitischen Majorität im Irak sind Legion.

Ayatollah Muhammad Bakr al-Hakim und seine Anhänger tun sich erwartungsgemäß schwer mit den Amerikanern: zu tief sitzt noch immer die Enttäuschung darüber, dass die US-Armee den schiitischen Aufstand 1991 unmittelbar nach der Operation Wüstensturm und der Niederlage Saddams in Kuwait nicht unterstützte. Eine US-Invasion heute lehnt der 67-jährige al-Hakim zwar ab, aber mit massiven Bombardements, die es seinen örtlichen Milizen ermöglichen würden, den Kampf am Boden voranzutreiben, könnte er sich anfreunden, heißt es in Washington. Die US-Regierung befürchtet jedoch, die islamische Klientel werde ein fundamentalistisches Regime ŕ la Iran anstreben, sollte man ihr zu viel Spielraum lassen. Al-Hakim pariert derartige Besorgnisse gern mit der Versicherung, nichts läge ihm ferner als eine islamistische Diktatur. Auch wolle er die territoriale Integrität des Irak erhalten. ...

Weit weniger amerika-skeptisch gibt sich Ahmad Chalabi, Führer der Dachorganisation Irakischer Nationalkongress (INC/s. Interview). Je mehr Bush, Cheney und Rumsfeld in ihrer Kriegrhetorik gegenüber Saddam Hussein zulegen, desto vehementer versichert Chalabi, bei einem Angriff werde wohl die Armee, nicht aber die Bevölkerung Widerstand leisten. Aber auch INC-Matador Chalabi bleibt für Washington ein unsicherer Kantonist: Er war jüngst in einen Bankenskandal verwickelt, ein jordanisches Gericht verurteilte ihn in Abwesenheit wegen Betrugs, seine Reputation hat besonders gelitten, als das US-Außenministerium entdecken musste, der eloquente Vorkämpfer einer irakischen Demokratie hat US-Finanzhilfen für die Anti-Saddam-Front zu Manipulationen missbraucht. Aber auch mit korruptem Personal spielt der INC für das Weiße Haus nach wie vor eine gewichtige Rolle, war er doch 1995 an einem gescheiterten Putsch gegen Saddam Hussein beteiligt. Keine Nordallianz in Sicht In der Debatte um die irakische Opposition sind selten Stimmen zu hören, die danach fragen, ob es nicht möglich sei, den Diktator ohne Intervention der USA zu stürzen. Immerhin gibt es den Iraqi National Accord (INA), der abtrünnige Paladine des Bagdader Regimes vereint, denen ein gewisser Resteinfluss über militärische und Sicherheits-Eliten Saddams attestiert wird. So war denn auch der INA-Vorsitzende Ayad Alawi in Washington geladen, allerdings als Mitglied des INC-Führungsrates. Zuweilen sah es so aus, als würde auch die Patriotische Union Kurdistans (PUK), ebenfalls Mitglied im INC, einen US-Angriff befürworten. Ihr Vorsitzender Jalal Talabani sagte dem Fernsehkanal CNN, er biete den Amerikanern an, über die von der PUK kontrollierten Militärbasen im Nordirak zu verfügen. Man muss kein Prophet sein, um anzunehmen, dass diese Offerte nicht ohne Gegenleistung erfolgte - vermutlich eine Zusage für eine autonome Kurden-Region unter US-Protektorat, möglicherweise sogar einen eigenen Staat. Dagegen läuft die türkische Regierung Sturm, um Versuchungen der eigenen kurdischen Minorität vorzubeugen. Die USA können es sich unter keinen Umständen leisten, den NATO-Partner Türkei zu verprellen, sie brauchen im Falle eines Angriffs auf Bagdad den Luftwaffenstützpunkt Incirlik. Der PUK-Rivale, die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) unter Führung Masud Barzanis, hält sich mit Erklärungen auffallend zurück. Diese Reserve dürfte aus der Gewissheit resultieren - was auch immer geschieht, die kurdischen Parteien haben eine Schlüsselrolle inne. Sie sind die Gruppierungen, die nicht nur über eine Massenbasis innerhalb des Landes verfügen, sondern auch über Armeen - bei einer Selbstauflösung der Streitkräfte Saddam Husseins möglicherweise als interner Ordnungsfaktor unverzichtbar. Eine weitere illustre Galionsfigur der Exilanten-Szene ist Sharif Ali bin al-Hussein, Abkömmling der Königsfamilie, die 1958 ins Exil fliehen musste. Seine Bewegung für eine Konstitutionelle Monarchie strebt genau das an, was der Name sagt, und al-Hussein träumt davon, bald wieder auf dem Thron zu sitzen. So hat das Washingtoner Treffen einmal mehr gezeigt, außer den Kurden und Islamisten hat keine Oppositionsfraktion eine wirkliche Basis im Land. Eine Nordallianz wie in Afghanistan, die auch gewissen militärischen Mindestnormen genügt, ist nicht in Sicht.


Kooperationskomitee der Irakischen Oppositionskräfte in Deutschland (KIOKD)
  • Bewegung der Irakischen Patriotischen Einigkeit (national-liberal)
  • Versammlung der Demokratischen Patriotischen Einigkeit (nationaldemokratisch)
  • Islamische Da´wa-Partei (nationalreligiös)
  • Irakische Kommunistische Partei (national und sozialistisch)
  • Irakisch-Patriotische Koalition (national)
  • Islamische Union der Turkmenen des Irak (Vertretung der turkmenischen Minderheit)
  • Kurdische Kommunistische Partei (national und sozialistisch)
  • Sympathisanten des Obersten Rates der Islamischen Revolution im Irak (fundamental-islamisch)
  • Irakische Demokratische Volkspartei (sozialdemokratisch)
Iraks Kommunisten (ICP),
einst die größte Partei des Landes

1963 Nach einem Putsch der irakischen Baath-Partei gegen General Kassem werden Tausende Kommunisten ermordet. Die Repressalien enden erst, als es noch im gleichen Jahr zu einem Gegenputsch von Marschall Aref kommt. 1973 Als eine Nationale Front des Irak entsteht - die Baathisten haben 1968 unter Präsident al Bakr wieder die Macht übernommen - schließen sich die KP und die Kurdische Demokratische Partei (KDP) zunächst an. 1979 Die KP verlässt mit der beginnenden Diktatur Saddam Husseins die Nationale Front und geht in die Illegalität. 1993 Der V. Parteitag, abgehalten in Irakisch-Kurdistan, beschließt nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers eine Demokratisierung und Erneuerung der Partei, Hamid Mageed Mousa wird zum Sekretär des Zentralkomitees gewählt. 2001 VII. Parteikongress wieder in Irakisch-Kurdistan, die Delegierten plädieren für eine homogene nationale Opposition gegen den Diktator.


Exilanten auf Abruf

Interview mit Rachid Ghewielieb, offizieller Vertreter der Irakischen KP in Deutschland

FREITAG: Die irakische Opposition bietet oft ein widersprüchliches, zerrissenes Bild. Weshalb?

RASCHID GHEWIELEB: Wir haben es mit einem Spektrum zu tun, das von den Kommunisten, über die kurdischen Parteien bis zu islamischen Kräften reicht. Die Unterschiede ändern allerdings nichts daran, dass sich die Hauptkräfte in einem einig sind - sie wollen die Diktatur Saddam Husseins beenden, und sie wollen für die Zeit danach eine demokratische Ordnung. Das sagen im Übrigen auch die islamischen Kräfte - auch sie wollen ein pluralistisches System.

Es entsteht dennoch der Eindruck, dass Sie politisch relativ wirkungslos sind ...

Weil sich die Opposition im Lande selbst mit einem terroristischen Apparat konfrontiert sieht, der kaum Spielräume lässt. Es gibt außerdem eine permanente Einmischung der USA wie auch regionaler Mächte mit ihren Interessen, beides hat einen ungünstigen Einfluss auf die Opposition. Wenn wir versuchen, uns auf ein Minimalprogramm zu einigen, dann intervenieren die Amerikaner, um einen solchen Konsens zu sabotieren. Man will in Washington eigentlich keine starke Opposition im Irak oder im Exil, man will lediglich ein Vehikel für die eigenen Ziele. Die Amerikaner sagen den Oppositionsgruppen ganz klar: Eure Rolle beginnt erst nach Saddam

Was denkt die Opposition unter diesen Umständen über den angekündigten Militärschlag?

Eine absolute Mehrheit lehnt das kategorisch ab. Auch die Patriotische Union Kurdistans, eine der beiden großen kurdischen Parteien, hat gerade erklärt, sie wolle keinen Krieg. Der Hohe Rat für die islamische Revolution, dessen Vertreter kürzlich zum Treffen der sechs Oppositionsgruppen im US-Außenministerium in Washington waren, hat sich ebenfalls dagegen ausgesprochen. Es gibt nur eine Minderheit, die sagt, wenn Saddam dadurch gestürzt werden kann, befürworten wir einen Krieg.

Warum war Ihre Partei bei dem gerade erwähnten Treffen in Washington nicht dabei?

Die USA haben auch andere Parteien nicht geladen. Wir halten ohnehin wenig von Treffen, die nicht von irakischen Oppositionspolitikern selbst einberufen werden. Wir müssen uns nicht in Washington versammeln, wir können das auch in Irakisch-Kurdistan - gewissermaßen in befreiten Gebieten - tun. Und wir brauchen für unsere Verständigung niemanden, der uns diese Verständigung diktiert. Dank unserer Geschichte und Erfahrung sind wir reif genug, souverän zu entscheiden. Diese Konferenz in Washington blieb - wie zu erwarten - ohne Ergebnis.

Warum gibt es innerhalb der Opposition eine exklusive Rolle des INC, des Irakischen Nationalkongresses, der von den USA immer in den Vordergrund gestellt wird?

Der INC entstand - gedacht als Dachorganisation für alle oppositionellen Kräfte - erst nach dem Golfkrieg 1991. Wir waren als KP anfangs auch dabei, bis klar wurde, dass der INC von den USA finanziert wird und nicht unabhängig ist. Deshalb haben eigentlich fast alle diese Dachorganisation wieder verlassen. Wer geblieben ist, unterhält heute aus Diplomatie eine Art virtueller Mitgliedschaft. Man darf nicht vergessen, dass es sich um eine in London ansässige Gruppierung handelt - ohne Basis im Lande selbst. Mehr ein Medienklub im Exil. Wir attackieren den INC nicht, weil für uns zuerst einmal zählt, dass jemand für den Sturz Saddam Husseins eintritt.

Wie ernst nehmen Sie Statements kurdischer Parteien, man wolle einem föderalen irakischen Staat? Hat eine solche Position auch nach einem eventuellen Sturz Saddam Husseins Bestand?

Ich glaube nicht, dass die kurdischen Parteien und das kurdische Volk die Separation wollen. Ich nehme diesen föderalen Gedanken ernst, auch wenn früher von Autonomie die Rede war - 1974 hat ja Saddam Hussein den Kurden eine Scheinautonomie eingeräumt. Nach 1991 haben wir gesehen, ein föderales System ist für den Irak die beste Lösung. Sollten die Kurden die gleichen Rechte haben wie die arabische Bevölkerung, werden sie diese Option unterstützen. Nur so ist ein demokratischer Irak denkbar.

Wie realistisch ist die Chance, im Lande selbst einen Regierungswechsel herbeizuführen, ohne Intervention von außen?

Es gibt in der Armee und der regierenden Baath-Partei durchaus Kräfte, die dazu in der Lage wären - viele wollen in der jetzigen Situation mindestens ihren Kopf retten. Einen Putsch zur Entmachtung Saddams kann man nicht ausschließen. Nur ist der irakische Diktator in der Vergangenheit vom CIA oft darüber ins Bild gesetzt worden, wenn es Umsturzpläne gab - die Betroffenen wurden enttarnt und hingerichtet.

Das Gespräch führte Lutz Herden

Aus: Freitag 37, 6. September 2002



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