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Mord ohne Sühne

Geschützte Täter: Im Irak seit der US-Invasion 2003 begangene Kriegsverbrechen bleiben meist ungeahndet. Angehörige von Opfern fordern Aufklärung

Von Karin Leukefeld *

Mit Anschlägen zum Jahrestag der Invasion des Iraks haben am Dienstag unbekannte Täter die katastrophalen Zustände im Zweistromland deutlich gemacht. Auch zehn Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Krieg, der am 20.3.2003 begann, wird das Zweistromland von Gewalt und Zerstörung regiert. Arabische Medien berichteten am Dienstag morgen von 58 Toten und Hunderten Verletzten, die Zahl der Getöteten stieg im Laufe des Tages weiter an.

Die Bomben und Sprengsätze detonierten in verschiedenen Stadtvierteln von Bagdad in den Provinzen Dijala und Babil explodierten mit Sprengstoff gefüllte Fahrzeuge. Bis Redaktionsschluß hatte niemand die Verantwortung für die Anschläge übernommen. Die irakische Regierung verschob die für den 20. April vorgesehenen Provinzwahlen um sechs Monate.

Wie bei unzähligen Gewalttaten, denen die Iraker in den letzten zehn Jahren ausgeliefert waren, ist es unwahrscheinlich, daß die Täter und ihre Hintermänner gefaßt und einem ordentlichen Gericht vorgeführt werden. Keine der Familien, die am Dienstag Angehörige verloren hat, wird eine Entschädigung bekommen. Mit ihren Verlusten, dem Trauma, der Angst und Ungewißheit bleiben die Menschen allein.

Weltweit engagieren sich Initiativen für »Gerechtigkeit für den Irak«. Das ist der Name einer Kampagne, in der unter anderen das BRussels-Tribunal, die Kuala-Lumpur-Stiftung und das Internationale Netzwerk gegen die Besatzung arbeiten. In den letzten Jahren haben sie hartnäckig Daten über Verbrechen, Täter, Opfer und Beweise gesammelt, um die Verantwortlichen für den Krieg gegen den Irak und die folgenden Besatzungsjahre zur Rechenschaft zu ziehen.

Vor einem Jahr, am 14. Mai 2012, wurden vor dem Kuala-Lumpur-Kriegsverbrechertribunal der frühere US-Präsident George W. Bush und sieben seiner Mitarbeiter für schuldig befunden, mit dem Krieg gegen den Irak Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Neben George W. Bush wurden sein Stellvertreter Dick Cheney, der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und ihre Berater Alberto Gonzales, David Addington, William Haynes, Jay Bybee und John Yoo schuldig gesprochen. Die Angeklagten waren nicht anwesend, um sich zu den Vorwürfen oder dem Schuldspruch zu äußern, doch die von Zeugen und Betroffenen vorgetragenen Erinnerungen sprachen für sich. Das Gericht, besetzt mit hochkarätigen Richtern, befand die Genannten der Folter und der grausamen, unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung für schuldig.

Mitschriften der Anklagen, der Zeugenaussagen und des Urteils wurden dem Chefermittler am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sowie den Vereinten Nationen und dem UN-Sicherheitsrat zugestellt. Die Namen der Verurteilten wurden in das öffentliche Register von Kriegsverbrechern aufgenommen.

Anfang März haben Ermittler bei den Vereinten Nationen die US-Regierung aufgefordert, Geheimdokumente zu veröffentlichen, die Menschenrechtsverletzungen der CIA während der Amtszeit von US-Präsident George W. Bush dokumentieren. Man hoffe, daß die Dokumente dazu beitragen, Regierungsvertreter strafrechtlich zu verfolgen, sagte der UN-Ermittler Ben Emmerson. Die nun bekanntgewordenen UN-Ermittlungen haben zwar nicht direkt mit den Kriegsverbrechen der Besatzungsmächte im Irak zu tun, die erst vor wenigen Tagen auch von Amnesty International angeprangert worden waren. Doch das CIA-Programm illegaler Auslieferungen und die geheime Inhaftierung angeblicher »Terroristen« in verschiedenen mit den USA verbündeten Staaten, gehört – wie der Krieg gegen den Irak – zum »Krieg gegen den Terror«, der mit der Straflosigkeit hochrangiger Militärs und Politiker einhergeht. Während der einfache Soldat Bradley Manning, der viel dazu beigetragen hat, daß die Untaten der US-Armee im Irak bekannt wurden, der Prozeß gemacht wird, haben die USA nicht einen einzigen ihrer Agenten oder Generäle für Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich verfolgt.

Das Justizministerium in Washington hat bereits deutlich gemacht, daß man keine strafrechtlichen Schritte gegen diejenigen einleiten werde, die »im guten Glauben gehandelt« hätten und den Anweisungen der damaligen Bush-Regierung folgten. Auch werde man keine Namen herausgeben. Politischer Druck und Öffentlichkeit scheinen daher das einzige zu sein, mit dem Kriegsverbrecher im Auftrag der USA zu rechnen haben.

In London hatten Angehörige von Opfern der Besatzungsgewalt im Irak nach neun Jahren mehr Glück. Dort wird seit Anfang März der Tod von 20 irakischen Zivilisten öffentlich untersucht, die im Mai 2004 durch britische Besatzungssoldaten im Südirak getötet wurden. Die »Al-Sweady-Untersuchung« trägt den Namen des damals 19jährigen Hamid Al-Sweady, einem der Opfer. Die Männer sollen in den britischen Gefängnissen im Militärstützpunkt Camp Abu Naji und in einem Gefängnis in Basra ermordet worden sein. Das britische Verteidigungsministerium weist die Anschuldigungen vehement zurück und behauptet, es lägen keine Beweise vor. Tatsächlich haben die Ankläger Aussagen von irakischen Zeugen, die heute in Beirut und Istanbul leben. Auch ein britischer Militärzeuge hat sich gemeldet. 15 Iraker werden noch im März in London aussagen, darunter ehemalige irakische Gefangene und der Onkel des ermordeten Hami Al-Sweady.

Bisher hat das britische Verteidigungsministerium nach eigenen Angaben in 227 Fällen die Menschenrechtsverletzungen ihrer Soldaten an irakischen Gefangenen in der Zeit zwischen 2003 und 2009 finanziell abgegolten. Dafür wurde bisher eine Gesamtsumme von 17,6 Millionen Euro Entschädigung gezahlt.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. März 2013


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