Warum die Iraker das von den USA unterstützte Ölgesetz ablehnen / Why Iraqis oppose U.S.-backed oil law
Öl- und Hafenarbeitergewerkschaften kämpfen gegen die Privatisierung der Ölindustrie / Iraqis fight to protect public ownership and control of the oil industry.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die sich kritisch mit dem umstrittenen irakischen Ölgesetz befassen. Wichtig ist vor allem, dass in ihnen auch der politische und gewerkschaftliche Widerstand gegen das Gesetzesvorhaben dargestellt wird - ein Aspekt, der in der sonstigen Berichterstattung über den Irak häufig verloren geht.
Neues Ölgesetz stößt auf Widerstand
Der Kampf um die Vermarktung ist voll entbrannt / Iraker sind laut Umfrage mehrheitlich gegen Privatisierung ihrer Naturreichtümer
Von Karin Leukefeld *
Ein neues irakisches Öl- und Gasgesetz sorgt für Unruhe. Ziel ist, das seit 1972 staatlich kontrollierte Öl zur privaten Vermarktung frei zu geben. Proteste aus allen Teilen der irakischen Gesellschaft verzögern die Verabschiedung des Gesetzes.
Es war im Herbst 2002, vor dem Irak-Feldzug der US-Armee, als sich Achmed Dschalabi, nach eigenen Angaben einst »bester Freund der Amerikaner in Irak«, mit Gesandten der US-amerikanischen Ölwirtschaft traf. Dschalabi warb für den Einmarsch in Irak und versprach den Konzernen beste Renditen. Viereinhalb Jahre und viele Tausende Tote später sieht es so aus, als hätten zumindest die Ölbarone ihr Ziel in Irak erreicht: die Privatisierung der zweitgrößten Erdölreserven der Welt.
Gleich nach dem Sturz Saddam Husseins ging der Auftrag zur Ausarbeitung des Gesetzentwurfs an die Firma BearingPoint, die sich mit ihrem Firmenmotto »Wir finden Lösungen. Anders« den mit 240 Millionen Dollar dotierten Auftrag der US-Agentur für Internationale Entwicklung (US-AID) sicherte.
Ein interministerielles »Irakisches Öl- und Energiekomitee« unter Vorsitz des stellvertretenden Ministerpräsidenten Barham Salih arbeitete unberührt von allen politischen und humanitären Verwerfungen im Zweistromland an einem Text. Stets »beratend« dabei war ein Mitarbeiter von BearingPoint. Der erste Entwurf wurde der USA-Regierung und ausgewählten Ölkonzernen im Juli 2006 vorgelegt. Im September 2006 lag das Papier beim Internationalen Währungsfonds (IWF). Die irakische Regierung stimmte im Januar 2007 zu, das Parlament in Bagdad erhielt den Text wenige Wochen später.
Nachdem das Gesetz damit auch in der irakischen Öffentlichkeit bekannt geworden war, hagelte es Proteste. Allen voran von der irakischen Erdölarbeitergewerkschaft in Basra und der Dachorganisation Föderation der Ölgewerkschaften. Man organisierte Streiks und Demonstrationen, veröffentlichte eine lange Liste von Forderungen. Ministerpräsident Nuri al-Maliki schickte Truppen gegen den Streik, das war selbst einigen Soldaten zu viel, der Befehl ließ sich nicht halten. Ölminister Hussein al-Scharistani verbot die Gewerkschaft schließlich auf Grundlage eines Gesetzes aus der Zeit Saddam Husseins.
Auch die Kurden hatten Einwände und arbeiteten an einem eigenen regionalen Gesetz. In Washington hielt man dagegen. Das neue Gesetz sei eine entscheidende Voraussetzung für eine dauerhafte Versöhnung in Irak, denn es regele die gerechte Verteilung der Öleinnahmen. Doch der Streit blühte, Ministerpräsident Maliki gelang keine Einigung.
Entnervt erhöhte die USA-Regierung den Druck auf die irakische Regierung. Am 26. Mai 2007 erklärte man, Irak erhalte keine weitere Wiederaufbauhilfe aus den USA, solange es nicht das neue Ölgesetz verabschiedet habe. Das wiederum brachte internationale Organisationen auf den Plan, die wie Oil Change International, PLATFORM oder Hands off Iraqi Oil umfassend über das Gesetz aufklärten. Eine Umfrage in Irak ergab, dass Iraker aller religiösen und ethnischen Gruppierungen es mehrheitlich ablehnen, die nationalen Ölressourcen ausländischen Konzernen zu überlassen. Weniger als ein Viertel der Befragten fühlte sich ausreichend über das neue Ölgesetz informiert. 63 Prozent sprachen sich gegen Verträge für ausländische Konzerne aus, stattdessen sollten irakische Firmen irakisches Öl fördern und verarbeiten. Zehn Prozent hingegen bevorzugten Verträge mit ausländischen Konzernen. Die im Gesetz dafür vorgesehenen »Production Sharing Agreements« (Produktionsteilungsverträge) würden ausländischen Ölkonzernen den Zugriff auf gut zwei Drittel der irakischen Ölressourcen ermöglichen. In keinem Erdölstaat werden solche Verträge akzeptiert.
Die Kampagne »Stop the Iraq Oil Law« bezeichnet solche Verträge als »Geiselnahme der wirtschaftlichen Rechte des irakischen Volkes«. Jedem Iraker werde gesetzlich zwar ein Pro-Kopf-Anteil des Ölgewinns garantiert, man sage ihnen aber nicht, dass nach Abzug der ausländischen Gewinne nur ein Bruchteil des Geldes übrig- bliebe. Die Iraker hätten nie von ihrem Ölreichtum profitiert, der für Kriege und zum Erhalt einer Diktatur eingesetzt worden sei und nun in die Taschen internationaler Ölkonzerne und korrupter irakischer Politiker fließen solle.
In Washington will man eine Entscheidung bis Ende September. Das irakische Parlament allerdings hat sich – allen Turbulenzen zum Trotz – bis dahin in den Sommerurlaub verabschiedet.
Hintergrund: Proteste gegen das Gesetz
Mit einem Appell gegen das neue irakische Ölgesetz haben sich Trägerinnen des Friedensnobelpreises an die Öffentlichkeit gewandt. Betty Williams, Mairead Corrigan Maguire, Rigoberta Menschú, Jody Williams, Wangari Maathai und Shirin Ebadi forderten bereits Anfang 2007, dass die USA-Regierung weitere Wiederaufbauhilfe an Irak nicht von der Verabschiedung eines neuen Ölgesetzes abhängig machen dürfe. Ein Gesetz, das die »grundlegende wirtschaftliche Sicherheit der Iraker verändert«, dürfe Irak nicht aufgezwungen werden, »solange das Land unter Besatzung steht und eine so schwache Verhandlungsposition sowohl gegenüber der US-Regierung als auch gegenüber ausländischen Ölkonzernen« habe. Es sei »unmoralisch und illegal, mit Krieg und Invasion einem Volk seine lebenswichtigen Naturressourcen zu rauben«.
In einem Brief an Iraks Präsidenten und das Parlament wandten sich über 400 irakische Ölexperten, Wirtschaftswissenschaftler und Intellektuelle gegen die Verabschiedung des Gesetzes. Weder juristisch noch technisch sei es erforderlich, das neue Ölgesetz zu verabschieden, bevor die Verfassung überarbeitet ist. Die Vergabe von Lizenzen an ausländische Konzerne bedürfe der Zustimmung des Parlaments. Die vorgesehene »Kenntnisnahme internationaler Verträge« sei nicht ausreichend. Die Nationale Ölgesellschaft müsse alle bekannten 80 Ölfelder und Gasvorkommen kontrollieren, um die Interessen des Volkes zu schützen.
Damit alle Iraker vom Öl profitieren können, müsse ein gesamtirakischer Plan erstellt werden. Nur so könnten Streitigkeiten und Konkurrenz zwischen Regionen und Provinzen vermieden werden. Das Angebot der kurdischen Regionalregierung an ausländische Ölkonzerne, 40 Rohölreservoire (»Ölblocks«) auszubeuten, weisen die Unterzeichner zurück. (kl)
Zahlen und Fakten
Das vorgesehene neue Gesetz beendet die staatliche Kontrolle der irakischen Öl- und Gasvorkommen. Ölministerium und Nationale Irakische Ölgesellschaft werden neu geordnet, Machtbefugnis erhält ein interministerielles Öl- und Gaskomitee. Die Nationale Irakische Ölgesellschaft kontrolliert die 17 erschlossenen Ölfelder und ein Drittel der 80 bekannten, aber nicht erschlossenen Felder. Diese werden durch »Production Sharing Agreements« (Produktionsteilungsverträge) ausländischen Ölkonzernen überlassen. Die Laufzeit beträgt bis zu 30 Jahre. 20 Prozent der Öleinnahmen erhält die Zentralregierung, die Kurden beanspruchen 17 Prozent. Ölverarbeitung, Transport, Lagerung und Verteilung werden getrennt gesetzlich geregelt.
Nachgewiesene Ölvorkommen: 115 Milliarden Barrel (erschlossen)
Nachgewiesene Gasvorkommen: 3170 Milliarden Kubikmeter (nicht erschlossen)
Rohölexporte: (in Milliarden US-Dollar)
2004 17,3
2005 19,2
2006 27,7 (IWF-Schätzung)
2007 28,6 (IWF-Ziel)
Rohölproduktion: (in Millionen Barrel pro Tag)
2004 2,0
2005 1,9
2006 2,0 (IWF-Schätzung)
2007 2,1 (IWF-Ziel)
Ölpreisentwicklung: (in Dollar pro Barrel)
2004 31,6
2005 43,9
2006 55,7 (IWF-Schätzung)
2007 50,6 (IWF-Ziel)
Quelle: IWF-Bericht Irak 2007
* Aus: Neues Deutschland, 20. August 2007
Why Iraqis oppose U.S.-backed oil law
Workers think foreign firms will take over
by David Bacon [excerpts] **
San Francisco Chronicle - August 19, 2007
(...)
Under Washington's guidance, the Iraqi government wrote
the oil law in secret deliberations. It needed secrecy
to obscure the fact that it gives foreign corporations
control over exploration and development in one of the
world's largest oil reserves, through agreements called
"production-sharing" contracts. Such deals are so
disadvantageous that they have been rejected by most
oil-producing countries, including Kuwait, Saudi
Arabia, the United Arab Emirates and otherwise
conservative regimes throughout the Middle East.
The leaders of the Iraqi opposition to the oil law are
the industry's workers. In early June, the Iraqi
Federation of Oil Unions shut pipelines from the
Rumeila fields near Basra, in the south, to Baghdad and
the rest of the country. Their main demand was that oil
remain in public hands, although they also sought to
force the government to improve conditions for workers.
(...)
The oil
industry is a symbol of Iraqi nationhood.
Because of its actions, the oil workers union has
become one of the strongest voices of Iraqi
nationalism, protecting an important symbol of Iraq's
national identity, and, more important, the only source
of income capable of financing the country's post-
occupation reconstruction.
(...)
Some of the oil workers' other demands reflect the
desperate situation of workers under the occupation.
They want their employer, the government oil ministry,
to pay wage increases and promised vacations, and give
permanent status to thousands of temporary employees.
In a country where housing has been destroyed on a huge
scale and workers often live in dilapidated and
primitive conditions, the union wants the government to
turn over land for building homes.
Every year, the Oil Institute, a national technical
training college for the industry's workers and
technicians, has miraculously continued holding
classes. Yet the ministry won't give work to graduates,
despite the war-torn industry's desperate need for
skilled labor. The union demands jobs and a future for
Iraq's young people.
Fighting for these demands makes the union even more
popular and further enhances its nationalist
credentials. Many Iraqis see it defending the interests
of the millions of workers who have to make a living
and keep their families eating in the middle of a war
zone. Conversely, the United States, which imposed a
series of low-wage laws at the beginning of the
occupation, looks bent on enforcing poverty.
Iraq has a long labor history. Union activists, banned
and jailed under the British and their puppet monarchy,
organized a labor movement that was the admiration of
the Arab world when Iraq became independent after the
revolution of 1958. When Saddam Hussein came to power,
though, he drove its leaders underground, killing or
imprisoning the ones he could catch.
When Hussein fell, Iraqi unionists came out of prison,
up from underground and back from exile, determined to
rebuild the labor movement. Miraculously, in the midst
of war and bombings, they did. The oil workers union in
the south is now one of the largest organizations in
Iraq, with thousands of members on the rigs, pipelines
and refineries. The electrical workers union is the
first national labor organization headed by a woman,
Hashmeya Muhsin Hussein.
Together with other unions in railroads, hotels, ports,
schools and factories, they've gone on strike, held
elections, won wage increases and made democracy a
living reality. Yet the Bush administration, and the
Baghdad government it controls, has outlawed collective
bargaining, continuing to enforce a decree originally
issued by Hussein in 1987 banning unions in the public
sector.
The al-Maliki government has seized all union funds and
turned its back on a wave of assassinations of union
leaders. After the June strike, Iraq's oil minister
ordered oil industry officials to refuse to recognize
or bargain with the oil worker unions. Iraq's oil
industry was nationalized in the 1960s, like that of
every other country in the Middle East. The Iraqi oil
union became, and remains, the industry's most zealous
guardian.
When Halliburton Corp. went into Iraq in the wake of
the troops in 2003, the company tried to seize control
of wells and rigs, withholding reconstruction aid to
force workers to submit. The oil union struck for three
days in August 2003, stopping exports and cutting off
government revenue. Halliburton then closed its Basra
offices and left the oil region.
The oil and port unions compelled other foreign
corporations to give up agreements under which the U.S.
occupation gave them control of Iraq's deepwater ports.
Muhsin's electrical union is still battling to stop
subcontracting in the power stations, a prelude to
corporate takeover of a public resource.
Iraqi nationalists make sharp accusations that the
occupation has an economic agenda, including the
wholesale privatization of the Iraqi economy. Paul
Bremer, formerly head of the Coalition Provisional
Authority, published lists in Baghdad newspapers of
Iraqi public enterprises he intended to auction off.
Arab labor leader Hacene Djemam bitterly observed, "War
makes privatization easy: First you destroy society,
then you let the corporations rebuild it."
Hassan Juma'a Awad, president of the oil workers
federation, wrote a letter to the U.S. Congress on May
13. "Everyone knows the oil law doesn't serve the Iraqi
people," he warned. The proposed new statute "serves
Bush, his supporters and foreign companies at the
expense of the Iraqi people. ... The USA claimed that
it came here as a liberator, not to control our
resources."
The unions have vowed to strike if the law is
implemented. At the occupation's end, the government in
Baghdad will need control of the oil wealth to rebuild
a devastated country. That gives Iraqis a big reason to
fight to protect public ownership and control of the
oil industry.
* David Bacon is author of "The Children of NAFTA"
(University of California, 2004) and "Communities
Without Borders" (Cornell University, 2006) and
reported from Iraq in 2003 and 2005. He was the board
chairman of the Northern California Coalition for
Immigrant Rights.
This article appeared on page E-3 of the San
Francisco Chronicle, August 19, 2007
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