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Mission Accomplished

40 Jahre nach der Verstaatlichung der irakischen Ölindustrie fließt der Reichtum des Landes wieder an internationale Konzerne

Von Fabian Köhler *

Nur einige Dutzend Männer versammeln sich diesmal am Rande des Hafengeländes von Basra. Auf einem handbemalten Bettlaken kritisieren sie Korruption und zu niedrige Löhne. Ein paar Polizisten beobachten die Arbeiter gelangweilt. Doch keiner von ihren schreitet ein. Anders vor vier Wochen, als 25 Demonstranten verhaftet wurden und Polizisten über ihre Köpfe schossen.

Auf den ersten Blick ist die Stadt im Süden des Iraks ein ungewöhnlicher Ort für Arbeiterproteste. Das Öl hat Basra reich gemacht. Allein 60 Prozent des irakischen schwarzen Goldes sollen um die Stadt vergraben sein. Das viertgrößte Feld der Welt erhofft sich BP. Bis zu vier Millionen Barrel werden hier und durch die Pipelines im Norden täglich aus dem Irak exportiert. Zwölf Millionen Barrel sollen es bis 2017 sein. Das Land, welches seit über 30 Jahren unter Kriegen und Sanktionen leidet, wäre dann der Welt größter Ölproduzent.

Was nach einem irakischen Wirtschaftswunder klingt, ist für die Öl-Arbeiter Grund zum Protest. »Wir demonstrieren für wahre Demokratie und die Rechte von Arbeitern«, rief Abdul Karim Abdul Sada während einer der wöchentlichen Demos. Statt dessen erhielt der Vizepräsident eines irakischen Gewerkschaftsdachverbandes in Basra Abmahnung und Lohnkürzung. Das Gesetz, welches es den Arbeitern verbietet zu protestieren, stammt noch aus der Zeit Saddam Husseins. Das Gesetz, welches ihnen die Teilhabe am Ölreichtum verwehrt, aus Holland. Die Ölindustrie solle als kommerzielles Unternehmen organisiert werden, forderte 2006 der US-Kongreß auf der ersten Seite seines Berichtes zur Situation im Irak. Ein Jahr darauf verfaßte die Amsterdamer Technologieberatungsfirma BearingPoint im Auftrag der US-Regierung eine Regelung, wonach nur noch 17 der bekannten 80 irakischen Ölfelder unter der Kontrolle der staatlichen Iraq National Oil Company bleiben sollten.

Ein »Schlag gegen die irakische Souveränität«, um den »Interessen ausländischer Konzerne zu dienen«, nennt die Iraqi Federation of Oil ­Unions das sogenannte Hydrokarbon-Gesetz. Am 6. Juni 2007 rief sie ihre 26000 Mitglieder zum Streik auf. Zwei der wichtigsten Pipelines des Landes lagen trocken. Premierminister Nuri Al-Maliki schickte Panzer, die US-Armee ließ zur Einschüchterung Kampfjets über die Demonstranten donnern. Bis heute trat das Gesetz aufgrund des Widerstandes von Gewerkschaften und Parlamentariern nicht in Kraft. Ausgebeutet wird das Land trotzdem.

Seit Mittwoch vergangener Woche (30. Mai) treffen sich 39 internationale Ölkonzerne zur vierten Versteigerungsrunde für Lizenzen seit dem Sturz Saddam Husseins. »Die Art der Verträge ist die teuerste und undemokratischste Variante, die wir haben«, sagt Greg Muttitt, dessen Londoner NGO »Plattform«, weltweit Ölindustrien beobachtet. Anders als ein Gesetz sind die Verträge nicht von der Zustimmung des Parlamentes abhängig. Irakische Bürger können zudem nicht gegen die Bestimmungen klagen. Statt dessen tragen sie – so legt es ein öffentlich gewordener Geheimvertrag zwischen irakischer Regierung und BP nahe – die Kosten bei Förderabfällen. Für die konstanten Einnahmen der Ölkonzerne – über 300 Milliarden US-Dollar seit 2003 – sorgen im Ernstfall die Iraker selbst.

Ein Viertel der Förderung bleibe doch stets in Hand der staatlichen Ölgesellschaft, rechtfertigt sich das irakische Ölministerium. Doch selbst dieser Wert markiert eine Zäsur, nicht nur in der heutigen arabischen Welt. Maximal 49 Prozent der Förderkonzessionen konnten ausländische Ölkonzerne in den 1960er Jahren im Irak besitzen. Ihre Ausbeutung des Ölreichtums führte am 1. Juni 1972 zur Verstaatlichung der irakischen Ölindustrie. Die Förderung stieg bis Ende der 80er von einem auf fast drei Millionen Barrel täglich. Der Irak wurde zur führenden Industrienation der arabischen Welt.

Heute gibt es kein anderes Land im Nahen Osten, dessen Ölindustrie derart stark privatisiert ist. Doch daran könnte sich bald etwas ändern. Während in Basra seit Jahren routiniert demonstriert wird, klagen seit einigen Wochen auch Tausende Kilometer in Lybien entfernt ein paar Dutzend Ölarbeiter über niedrige Löhne und Korruption. Einige hundert Kilometer weiter trafen sich unterdessen im April dieses Jahres internationale Konzerne zum ersten Mal seit einem Jahr auf der »Öl und Naturgas-Messe«. Der Ort der Proteste: Benghazi. Der Ort der Messe: Tripolis.

* Aus: junge Welt, Montag 4. Juni 2012


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