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Nordirak: Spielball geostrategischer Machtinteressen ...

... oder Chance für ein regionales Friedensprojekt?

Von Karin Leukefeld

Im August 1990 verhängten die Vereinten Nationen ein umfassendes Wirtschaftsembargo gegen den Irak. Das war die Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Einmarsch irakischer Truppen nach Kuwait. Vom 17. Januar bis zum 28. Februar 1991 führte eine militärische Allianz aus 28 Staaten unter Führung der USA und Großbritanniens einen Luft- und Bodenkrieg gegen die irakische Armee. Die zog sich nach 7 Monaten aus dem Kuwait zurück. Im darauffolgenden März kam es in den kurdischen Gebieten des Nordirak zu einem Aufstand, der aus massiven Widersprüchen der kurdischen Organisationen mit der Zentralregierung in Bagdad resultierte. Der Aufstand wurde wortgewaltig vom Westen unterstützt. Die irakische Armee schlug zurück und hunderttausende von Flüchtlingen zogen über die Grenzen in den Iran und die Türkei. Um den Flüchtlingsstrom aufzuhalten, wurde im Nordirak eine "Schutzzone" eingerichtet, die militärisch von den USA und Großbritannien kontrolliert wurde. Unter Führung der UN begann das größte humanitäre Hilfsprogramm aller Zeiten. Bagdad wurde die Kontrolle über den Nordirak de facto entzogen.

Zehn Jahre nach diesen Ereignissen muß eine nüchterne Bilanz gezogen werden: die arabischen Nachbarstaaten versuchen, ihre wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zum Irak zu normalisieren. Die Türkei entsandte Anfang des Jahres wieder einen Botschafter nach Bagdad. Syrien und der Iran festigten ihr neues Verhältnis zum Irak durch den Abschluß von Handelsverträgen. Von Jordanien starten - trotz UN-Embargo - Flugzeuge nach Bagdad und der jordanische König Abdallah II. hat sich bereit erklärt zwischen dem Irak einerseits und Kuwait und Saudi-Arabien andererseits zu vermitteln.

Weltweit haben sich Staaten - auch Rußland, China und Frankreich im UN-Sicherheitsrat - dafür ausgesprochen, die Sanktionsmaßnahmen gegen den Irak aufzuheben. Groß sind die Opfer unter der Bevölkerung. Vor allem Kinder sterben in hohem Maße an einst ausgemerzten Krankheiten wie Typhus und Cholera, an Unterernährung sowie an vielen Arten von Krebs. Durch den heftigen Beschuss mit Uranmunition im Süden des Irak haben sich allein die Leukämiefälle bei Kindern unter 5 Jahren um das Siebenfache erhöht. Die Argumente für die Aufhebung der Sanktionen sind aber nicht nur humanitärer Natur. Voll Neid beobachten westliche Länder, dass russische und chinesische Firmen wirtschaftlich vom Irak profitieren, vor allem im Ölgeschäft.

Aufgrund der Veto-Regelung im Sicherheitsrat bleibt alles bisher beim Alten: die USA und Großbritannien lehnen die Aufhebung der Sanktionen kategorisch ab. Dennoch: der massive Druck hat die neue US-Regierung veranlasst, über "intelligente Sanktionen" gegen den Irak nachzudenken. Zwar liegt noch kein konkreter offizieller Vorschlag vor, doch hat die Diskussion über verschiedene Varianten begonnen. US-Außenamtssekretär Edward Walker bereiste in den letzten Wochen den Mittleren Osten, um für neue "smart sanctions" die Werbetrommel zu rühren. Man will die Nachbarländer drängen, den von der UN unkontrollierten Ölverkauf in die Türkei, nach Syrien und Jordanien zu stoppen. Dafür soll der wirtschaftliche Handel frei gegeben und Investitionen in die irakische Ölindustrie erleichtert werden.

Ein wesentliches Kalkül in den US-Plänen zur Kontrolle der gesamten Region sowie über den zweitreichsten Ölstaat der Welt, Irak, ist Südkurdistan, der Norden des Irak. Seit 1991 ist der Irak in drei Teile aufgeteilt: den Norden, die Mitte und den Süden. Im Norden und Süden werden "Flugverbotszonen" durch britische und US-Jets durchgesetzt. Diese Maßnahme ist durch keine UN-Resolution gedeckt. 13% der Einnahmen für Lebensmittel, Reparaturen und Medikamente aus dem Programm "Öl für Nahrungsmittel" (ca. 58% der Gelder, die durch Ölverkauf auf ein UN-Sonderkonto gezahlt werden) gehen direkt in die kurdischen Autonomiegebiete. Dadurch ist ein starkes wirtschaftliches und soziales Gefälle im Irak entstanden. Während im Norden Dutzende von internationalen Hilfsorganisationen Hilfsprojekte durchführen, gibt es im restlichen Irak nur fünf NGOs.

Doch die internationale Hilfe ist nicht rein humanitärer Natur, selbst wenn einzelne Organisationen das so geplant hatten. Der von den USAmit Millionen US-Dollar unterstützte irakische Nationalkongreß macht daraus kein Hehl: man will eine alternative Regierung zur regierenden Baath-Partei in Bagdad aufbauen. Diese soll sich im Norden des Irak etablieren. Die Widersprüche zwischen der irakischen Zentralregierung und den kurdischen Organisationen PUK und KDP werden geschickt genutzt, um die Region politisch instabil zu halten. Gleichzeitig tragen auch innerkurdische Konflikte und Kämpfe zur allgemeinen Unsicherheit im Nordirak bei. Die anhaltend große Zahl von kurdischen Flüchtlingen aus dem Irak in westeuropäische Länder belegt, dass trotz internationaler Hilfe und Wiederaufbau die Menschen sich dort nicht sicher fühlen. Es fehlt eine politische Perspektive, die von der südkurdischen Autonomiebehörde nicht gegeben wird.

Die PKK, drittstärkste Kraft in Südkurdistan, seit sie sich nach der Kampfeinstellung 1999 aus der Türkei zurückgezogen hat, hat nach Kämpfen mit der PUK im vergangenen Herbst, die anderen Organisationen aufgerufen, sich an einem gemeinsamen Friedensprojekt zu beteiligen. Zu den Kämpfen war es gekommen, nachdem sich Einheiten der PKK, von der KDP und türkischen Einheiten gedrängt, immer weiter in den Süden der kurdischen Autonomiegebiete auf PUK-kontrolliertes Gebiet zurückgezogen hatten. Die PUK wiederum wurde - nach Gesprächen in Ankara und Washington - sehr konkret aufgefordert, das "Terrorismusproblem" (Sprachregelung der türkischen Regierung hinsichtlich der PKK) zu lösen und startete Angriffe auf die PKK-Einheiten.

Das ist nur ein kleiner Einblick in die äußerst komplizierte Situation im Nordirak, die für Außenstehende sehr undurchsichtig ist. Eines allerdings ist klar: ohne eine innerkurdische Einheit wird Südkurdistan, der Nordirak, weiterhin ein Pulverfass bleiben, in dem es jederzeit zu einem Krieg kommen kann.

Der allerdings wäre - wie die Situation zwischen Israel und den Palästinensern zeigt - so schnell nicht zu stoppen. Um den Kurden und der Region des Mittleren Ostens die Chance einer friedlichen Entwicklung zu geben, muß der Dialog unter den kurdischen Organisationen ebenso gestärkt werden, wie der Dialog innerhalb der Staaten, unter denen die Kurden verteilt leben. Ratschlägen aus anderen Teilen der Welt darf dort ruhig mißtraut werden. Die Geschichte zeigt, das sie eher geostrategischen Machtinteressen dienen als einer lebenswerten selbstbestimmten Perspektive für die Menschen in der Region.

Aus: Asiti, Nr. 2, Juni/Juli 2001

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