Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Feilschen, tricksen, erpressen - US-Diplomatie im Sicherheitsrat"

Ein Beitrag aus der 500. Sendung von Monitor

Die 500. Sendung des politischen Magazins "Monitor" (WDR-ARD), brachte u.a. einen kritischen Beitrag von Georg Restle und Andreas Maus über die Bemühungen der USA, im UN-Sicherheitsrat die notwendigen Stimmen für eine Kriegsresolution doch noch zusammenzukriegen. Wir dokumentieren den Beitrag gekürzt.


Sonia Mikich: "Willkommen, liebe Zuschauer. Es ist dies die 500ste Ausgabe von MONITOR - und sie fällt in eine Zeit, da viele Weichen gestellt werden. Innen- und außenpolitisch. (...)
Es ist so zynisch: einerseits könnte der Irak-Krieg schon nächste Woche beginnen, egal, was in den Vereinten Nationen in diesen Stunden passiert. Andererseits laufen die Diplomaten im Sicherheitsrat zu einem gewaltigen Verhandlungsmarathon auf, Tag und Nacht. Denn: für eine Verabschiedung einer zweiten Irak-Resolution müssten neun der 15 Mitglieder mit Ja stimmen, keines der ständigen Mitglieder dürfte ein Veto einlegen.
Jeden Tag neue Vorschläge, die sofort wieder verworfen werden. Und mit jedem Tag erhöht die US-Regierung den Druck auf den Sicherheitsrat. Es wird gefeilscht, getrickst und erpresst. Was für eine Niederlage. Eine der schönsten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts, nämlich das Völkerrecht, ein international verbindliches Regelwerk, um Krisen und Kriege zu verhindern, es wird ausgehöhlt. Und durch das Recht des Stärkeren ersetzt. Vorwärts ins Mittelalter.
Ein Bericht von Georg Restle und Andreas Maus."

Feierstunde in Den Haag. Glanzstunde des Völkerrechts bei der Eröffnung des Internationalen Strafgerichtshofs. Davon hatten Völkerrechtler ein Jahrhundert lang geträumt: Ein Gerichtshof zur Verfolgung von Kriegsverbrechern weltweit. 18 Richter wurden am Dienstag hier vereidigt.

In New York, am Hauptsitz der UNO, ist in diesen Tagen jedoch niemandem zum Feiern zu Mute. Der Sicherheitsrat unter dem Druck der US-Regierung. Längst geht es nicht mehr um Argumente. Wo militärische Fakten geschaffen wurden, verkommt die Diplomatie hier zum täglichen Schaulaufen vor den Augen der Weltöffentlichkeit.

Letzte Woche hatte der US-Präsident die Internationale Presse ins Weiße Haus geladen, und keinen Zweifel daran gelassen, worum es ihm geht
George W. Bush, US-Präsident, 6.3.2003: "Wir fordern jetzt die Abstimmung. Wir wollen, dass die Leute aufstehen und Farbe bekennen, was sie von Saddam Hussein halten und vom Nutzen des UN-Sicherheitsrats. Es ist Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen."
Karten auf den Tisch, damit meinte Bush vor allem die sechs Staaten im Sicherheitsrat, die sich bis vor kurzem weder eindeutig auf die Seite der US-Amerikaner, noch auf die Seite der Russen und Franzosen geschlagen hatten: Angola, Guinea, Kamerun, Chile, Mexiko und Pakistan.

Telefondiplomatie mit unsauberen Methoden. Letzte Woche wurde über britische Medien bekannt: Wochenlang hatte die US-Regierung die Mitglieder des Sicherheitsrats ausspionieren lassen. Unter "Top Secret" hatte der US-Geheimdienst NSA anweisen lassen, vor allem die Telefonleitungen der sechs Wackelkandidaten anzuzapfen. Im Visier: Geplantes Abstimmungsverhalten, Verhandlungspositionen, Abhängigkeiten. (...)

Doch nicht nur mit Geheimdienstmethoden will die US-Regierung die sechs Staaten auf ihre Seite bringen. Hinter verschlossenen Türen wurden in den letzten Wochen vor allem die drei afrikanischen Staaten im Sicherheitsrat unter Druck gesetzt.
Zum Beispiel Guinea, eines der ärmsten Länder Afrikas, dringend angewiesen auf Unterstützung aus Washington. 25 Millionen Dollar Entwicklungshilfe erhielt das Land allein im letzten Jahr aus den USA. 3 Millionen extra für Hilfsprojekte wie in diesen Flüchtlingslagern.
Vor zwei Wochen schickte die US-Regierung diesen Mann nach Afrika: Walter Kansteiner sollte die afrikanischen Staaten im Sicherheitsrat auf Linie bringen. Der freundliche Empfang täuscht. Denn Kansteiner drohte unmissverständlich: Ein Nein zum Krieg könnte für Guinea und auch Kamerun einen Stopp sämtlicher Exporte in die USA bedeuten. Kansteiner wies auf einen Passus in einem neuen US-Handelsgesetz hin, wonach ein afrikanischer Staat nur dann bevorzugten Zugang zu den US-Märkten erhält, wenn er "nichts unternimmt, was die nationale Sicherheit oder die außenpolitischen Interessen der Vereinigten Staaten beeinträchtigt."

Denis Halliday war über 30 Jahre lang Chefdiplomat der UNO. Das Verhalten der US-Regierung gegenüber den afrikanischen Staaten nennt er unverhohlen "Bestechung".
Denis Halliday, ehem. UN-Chefdiplomat: "Dieses amerikanische Gesetz wurde extra geschaffen, um sich damit die Gefolgschaft der afrikanischen Staaten zu sichern, wenn es um die verschiedenen amerikanischen Interessen weltweit geht; vor allem aber um die amerikanische Kontrolle des UN-Sicherheitsrats und seiner Agenda. Ob es um Handelsbeziehungen geht oder Entwicklungshilfe oder was immer diese Staaten brauchen, zum Beispiel im Kampf gegen AIDS, sie bekommen es nur für den Preis blinder Gefolgschaft."

Aber nicht nur die afrikanischen Staaten stehen unter enormem Druck der US-Regierung. Auch Chile bekam zu spüren, dass ein Nein im Sicherheitsrat das Land teuer zu stehen komme.
Der südamerikanische Staat ist vom Handel mit den USA abhängig, und steht kurz vor Aufnahme in die amerikanische Freihandelszone. Neun Jahre lang dauerten die Verhandlungen. Vor zwei Wochen schickte die US-Regierung ihren Chefunterhändler Otto Reich nach Santiago - unter Protesten der chilenischen Bevölkerung. Reich machte dem chilenischen Präsidenten klar: Sollte Chile im Sicherheitsrat mit Nein stimmen, würde die US-Regierung das Handels-Abkommen auch weiterhin blockieren.
Phyllis Bennis, Institute for Policy Studies, Washington: "Im Januar hätte das Abkommen verabschiedet werden sollen, doch nichts ist bisher geschehen. Für Chile ist klar: Wenn sie in der Irak-Frage nicht auf die US-Linie einschwenken, dann waren neun Jahre Verhandlungen völlig umsonst. Dies ist eine sehr gefährliche Situation für die Regierung."

Eine gefährliche Situation - auch für das zweite lateinamerikanische Land im Sicherheitsrat: Mexiko.
Die gemeinsame Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko: Ein Schutzwall der USA gegen Flüchtlinge aus dem Süden. Rund 3 Millionen Mexikaner leben heute illegal in den USA. Schon vor Jahren hatte Bush der mexikanischen Regierung Aufenthaltserleichterungen für diese Menschen versprochen, um eine Massenabschiebung zu verhindern, die Mexiko komplett überfordern würde. Als Bote der US-Regierung hatte Bush seinen spanischen Verbündeten Aznar Ende Februar nach Mexiko geschickt. Bei einem Nein im Sicherheitsrat, dies wurde dem mexikanischen Präsidenten Fox angedroht, würden alle US-Gesetze, die Mexiko betreffen, blockiert werden. Und damit auch das Gesetz über die Aufenthaltserleichterungen. Mexikanische Diplomaten sprechen von "kaltblütiger Erpressung".
Phyllis Bennis: "Die Bush-Administration brüstet sich gern mit ihrer Koalition der Willigen, dass viele Länder an der Seite der USA mit in die Schlacht ziehen würden. Die Wahrheit ist: All diese Länder werden massiv eingeschüchtert und bestochen, damit sie ihre Stimme für einen Krieg geben, den die Völker dieser Welt ablehnen. Aber die Regierungen dieser Länder werden erpresst, mit Militär- oder Wirtschaftshilfe und Drohungen, was alles passieren könnte, wenn sie diesen Krieg nicht unterstützen."

Wie immer sich die sechs Staaten am Ende verhalten werden, für das Weiße Haus stand von Anfang an so oder so fest: Im Zweifelsfall gibt es einen Krieg gegen den Irak auch ohne den Sicherheitsrat.
George W. Bush, US-Präsident: "Wenn wir handeln müssen, werden wir handeln. Dafür brauchen wir keine Zustimmung der UNO. Ich will ja, dass die UNO effektiv ist, ein schlagkräftiges Gremium. Ich finde nur, ihre Worte sollten eine Bedeutung haben am Anfang des 21. Jahrhunderts. Aber wenn unsere Sicherheit betroffen ist, dann brauchen wir wirklich niemanden um Erlaubnis zu fragen."

Ein Krieg im Irak ohne Zustimmung des Sicherheitsrates? Dies, da sind sich fast alle Völkerrechtler einig, wäre ein klarer Verstoß gegen das Gewaltverbot der Vereinten Nationen.

Zurück zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Ein Bruch des Völkerrechts. Ein illegaler Angriffskrieg. Wird sich jemals ein Mitglied der US-Regierung hier vor den 18 Richtern dafür verantworten müssen? Die USA haben dem neuen Gerichtshof die Anerkennung bisher versagt.
Professor Alfred de Zayas ist Völkerrechtler und war über 20 Jahre lang US-Diplomat bei der UNO. Er ist Republikaner, hat Bush gewählt; und fordert heute, den US-Präsidenten vor dem Strafgerichtshof zur Rechenschaft zu ziehen.
Alfred M. de Zayas, Völkerrechtler: "Wenn es hier tatsächlich zu einer Verletzung bzw. zu einem Angriffskrieg, zu einer Verletzung des Artikels 5 des Statuts des Verbrechens gegen den Frieden kommen sollte, dann gibt es persönliche Haftung. Das ist der Grund überhaupt zur Schaffung dieses Tribunals, unabhängig davon, ob die Vereinigten Staaten die Zuständigkeit des Tribunals in Den Haag - und ich spreche von dem neuen Strafrechts-Tribunal - anerkennen oder nicht. Es liegt auf der Hand, dass nachdem Präsident Bush nicht mehr Präsident ist und die Amtsimmunität nicht mehr genießt, kann er persönlich verhaftet werden, wenn er sich außerhalb des Landes befindet." (...)

Aus: Monitor, Magazin des WDR, 13.03.2003 in der ARD


Zurück zur Irak-Seite

Zur UNO-Seite

Zurück zur Homepage