Kriegsvorbereitungen: Irakische Opposition beriet in London über den Sturz Saddams
Mit von der Partie: US-Regierungsvertreter
Ursprünglich sollten nur 70 ehemalige Generäle oder andere Offiziere,
die im Lauf der Zeit aus dem Irak geflohen waren, über den Beitrag der Armee zum Sturz Saddams beraten. Schließlich fanden sich aber rund 200 Teilnehmer von verschiedenen Fraktionen und Gruppen ein, die zu dem von Washington finanzierten "Irakischen Nationalkongreß" gehören. Dies teilte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 16. Juli 2002 ihren Lesern mit. Und sie wusste noch mehr zu berichten: "General Yassiri, der 1991 bei einer Erhebung verwundet wurde und dann geflohen war, begrüßte bei der Eröffnung auch "die Vertreter des Pentagons, des amerikanischen Außenministeriums, des Büros des amerikanischen Vizepräsidenten Cheney und des britischen Außenministeriums". Eine hochkarätige Versammlung also, die vom 12. bis 14. Juli in London tagte und offenbar den Segen der US-Regierung hatte. Der lange angekündigte Krieg gegen den Irak wird auf verschiedenen Ebenen vorbereitet, er hat neben der militärischen noch andere Komponenten.
Im Folgenden schätzt die Journalistin und Irak-Kennerin Karin Leukefeld die Londoner Vorkriegskonferenz ein. Im Anschluss dokumentieren wir ein interessantes Interview mit einem Vertreter der irakischen Kurden, Al-Din Kakaie, das im Neuen Deutschland am 16. Juli veröffentlicht wurde.
Karin Leukefeld:
Washingtons Reserve
Exilirakische Militärs berieten mit US-Vertretern Sturz von Saddam Hussein
Mit einem Aufruf an die irakische Armee, sich
gegen Saddam
Hussein zu erheben, endete am Wochenende ein
Treffen von
exilirakischen Militärs in London. Die
ehemaligen Offiziere
trafen sich in der Stadthalle von Kensington,
einem Londoner
Reichenviertel. An der dreitägigen Versammlung
nahmen auch
Vertreter anderer irakischer Oppositionsgruppen
teil. Im
Beisein hochkarätiger Mitarbeiter aus dem
US-Außenministerium, dem Weißen Haus und dem
Pentagon
hatte Ahmed Chalabi vom Irakischen
Nationalkongreß (INC)
das Treffen eröffnet. Der INC wird mit einem
milliardenschweren Programm aus den USA
unterstützt.
Grundlage für die hohe Dollarhilfe ist das
"Gesetz zur
Befreiung des Irak", das 1998 vom US-Kongreß
verabschiedet
wurde. Das Londoner Treffen sei aber nicht mit
US-Geldern
finanziert worden, erklärte
US-Außenamtssprecher Richard
Boucher.
Im Vorfeld hatte Chalabi im britischen
Fernsehsender Kanal 4
erklärt, es ginge nicht um einen Krieg zwischen
den USA und
dem Irak. Vielmehr müsse ein "nationaler
Befreiungskrieg für
das irakische Volk" geführt werden. Man
"berate" und
"koordiniere" sich mit den USA, sagte Chalabi.
Der ehemalige
UN-Waffeninspektor Scott Ritter erklärte in der
gleichen
Sendung, der Irak bedeute weder für die USA
noch für sonst
jemanden eine Gefahr. Es gäbe keinen Beweis
dafür, daß der
Irak über Massenvernichtungswaffen verfüge. Den
in London
versammelten Oppositionsgruppen bescheinigte
Ritter
"mangelnde Substanz".
Die rund 70 Exil-Militärs wählten einen
15köpfigen Militärrat.
Erklärtes Ziel ist, die irakische Armee zu
zersetzen und nach
dem beabsichtigten Sturz der jetzigen den
Übergang zu einer
"demokratischen Regierung" zu gewährleisten.
Danach solle
sich die Armee aus der Politik heraushalten,
heißt es in dem
Papier, das bisher nur in Auszügen von Medien
zitiert wird.
Sprecher des neuen Gremiums ist der ehemalige
Generalmajor
Tawfiq al-Yassiri. "Wir ersetzen nicht die
irakische Opposition,"
erklärte al-Yassiri, "unser Rat bietet der
irakischen Opposition
seine Dienste an." Al-Yassiri betonte die
ethnische und
religiöse Vielfalt in dem neuen Militärrat. Der
Wechsel werde
von innen heraus geschehen, und die irakische
Armee werde
eine zentrale Rolle dabei spielen.
Auch die ehemaligen Generalmajore Najib
al-Salhi und Saad
Obeidi gehören dem Militärrat an. Obeidi, der
schon 1986 aus
dem Irak desertiert war, leitete früher die
Abteilung für
psychologische Kriegsführung. Nicht anwesend
war der frühere
Generalstabchef Nizar al-Khazraji. Ihm wird
vorgeworfen, die
Giftgasangriffe in den kurdischen
Autonomieprovinzen im
Nordirak 1988 befehligt zu haben. Al-Khazraji
war zunächst
von den USA als möglicher Chef des jetzt
gegründeten
Militärrates favorisiert worden.
Für Überraschung sorgte in London die
Anwesenheit von Prinz
Hassan, Bruder des früheren jordanischen Königs
Hussein.
Prinz Hassan sollte ursprünglich Nachfolger
seines an Krebs
gestorbenen Bruders werden. Kurz vor seinem Tod
aber
bestimmte Hussein seinen Sohn, den jetzigen
König Abdullah,
zu seinem Nachfolger. Prinz Hassan sagte, er
nehme aus "rein
persönlichen Gründen" an dem Treffen teil. Ein
Regierungssprecher in Amman äußerte gegenüber
der
jordanischen Presseagentur Petra, man sei über
Prinz Hassans
Teilnahme an dem Treffen "sehr überrascht".
Seit Tagen gibt es nahezu täglich
Medienberichte, wonach sich
bereits US-Truppen in Jordanien aufhalten
sollen. Die
jordanische Regierung hat diese Berichte scharf
zurückgewiesen und als Versuch gewertet, mit
solchen
"Lügengeschichten" die innerarabischen
Beziehungen zu
destabilisieren. Während die USA Jordanien
neben Kuwait und
der Türkei gern als dritte Startrampe für
Luftangriffe gegen
den Irak nutzen möchte, hat König Abdullah das
Ansinnen
bisher zurückgewiesen.
Im Irak wird derweil die militärische
Landesverteidigung
vorbereitet. Tausende Schuljungen im Alter
zwischen zwölf und
17 Jahren beginnen als die "Löwenjungen des
Saddam" ihre
Sommerferien mit einer dreiwöchigen
Militärausbildung. Wie die
Nachrichtenagentur AFP berichtet, gibt es
dieses militärische
Ausbildungsprogramm seit 1998. Am Montag beriet
das
Parlament in Bagdad weitere Maßnahmen zur
Landesverteidigunng.
Karin Leukefeld, 16. Juli 2002
Irak: "Öl ist der Schlüssel zur Kurdenbefreiung"
Al-Din Kakaie: Neue Weltordnung bringt Vorteile
Unter Iraks Kurden wird über eine mögliche Beteiligung an der geplanten
USA-Militärintervention gegen Bagdad diskutiert. Mit Falek al-Din
Kakaie, Minister in der
Regionalregierung Irakisch-Kurdistans und langjähriges Mitglied des
Politischen Büros der
Demokratischen Partei Kurdistans (DPK), sprach Anton Holberg.
ND: Der stellvertretende USA-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz
besucht gerade die Türkei.
Eine Unterstützung für einen kurdischen Staat in Nordirak hat er
kategorisch ausgeschlossen.
Kommt eine kurdische Beteiligung an einem eventuellen militärischen
Vorgehen der USA
gegen Saddam Hussein dennoch in Frage?
Das wird sich zeigen. Wir wollen, dass die Kurden ihrem
Bevölkerungsanteil entsprechend in der
Zentralregierung in Bagdad vertreten sind, so wie das Ende der 50er und
Anfang der 70er Jahre der Fall
war. Das ist aber keine Bedingung, sondern nur ein Wunsch. Er wird aber
sowohl von der irakischen
Opposition als auch von den US-Amerikanern akzeptiert.
ND: Haben die Kurden die Mittel, einem Druck seitens der USA zu
widerstehen?
Es ist denkbar, dass die USA hier genauso wie in Afghanistan und
Palästina ihre eigenen Ziele
verfolgen. Der Punkt ist aber, dass die Kurden ein Teil des zentralen
Problems in Irak sind. Sie kennen
die Situation in diesem Land besser als andere und auf dieser Grundlage
kann es eine beidseitig
befriedigende Lösung zwischen den USA und den Kurden geben.
ND: Glauben Sie, dass die USA Saddam Hussein wirklich militärisch
stürzen werden oder ist
die Kampagne eine Nebelkerze, hinter deren Rauch die USA vor allem ihre
Kontrolle über
Zentralasien durchsetzen?
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die USA das irakische Regime durch
einen Militärschlag stürzen
wollen. Es gibt keinen anderen Weg. Die Tage des Regimes sind gezählt.
Es stimmt, dass die USA
auch in Mittelasien ihre Interessen verfolgen. Aber das Argument der
reichen Bodenschätze – vor allem
Öl – und das geostrategische Argument gelten mindestens genauso für
Irak und den Golf. Beide Regionen werden so vielleicht durch die
USA-Politik vereinigt.
ND: Anfang der 70er Jahre hat der damalige DPK-Vorsitzende Mustafa
Barzani versprochen,
das verstaatlichte Erdöl westlichen Konzernen auszuhändigen, wenn die
USA ihn
unterstützten. Die Kurden wurden damals ebenso wie Anfang der 90er Jahre
von den USA
betrogen. Was wird ein föderativer kurdischer Staat mit den Erdölfeldern
tun?
Während des Ersten Weltkrieges war das Öl hauptsächlich ein Problem für
die Kurden; beim ganzen
Kurdenkonflikt in Irak ging es nur um das Öl. Heute gibt es eine neue
Weltordnung, und ich meine, dass
das Öl dieses Mal der Schlüssel zur Befreiung der Kurden sein wird.
ND: Seit Ende September vergangenen Jahres gab es heftige Zusammenstöße
zwischen
Kräften der kurdischen Nationalbewegung und den Islamisten der »Ansar
Islam«. Kurdische
Quellen behaupteten, dass diese Organisation nicht nur mit Al-Qaida
verbunden sei, sondern
auch vom irakischen Regime unterstützt werde. Gibt es Beweise?
Die Beziehungen der Gruppe zu Irak sind bis heute nicht klar. Als
antiamerikanische Propagandisten
sind sich diese Gruppe und das irakische Regime aber sehr ähnlich. Die
"Ansar al-Islam", die
ursprünglich "Junud al-Islam" hießen, behaupten, die kurdischen Parteien
DPK und PUK stünden auf
Seiten der USA. In der Zukunft könnte es gut zu Auseinandersetzungen
kommen, die für die kurdische
Bevölkerung sehr gefährlich sind.
ND: Gibt es zur Zeit Oppositionskräfte in Irak, die nicht von
ausländischen Plänen abhängig
sind und die eine reale Bedrohung der Macht Saddam Husseins darstellen?
Es könnte einen Militärputsch geben. Ungeachtet der zahlreichen Proteste
der Bevölkerung gibt es
ansonsten keine Kraft, die ohne Unterstützung von außen etwas
Ernsthaftes unternehmen kann.
Aus: Neues Deutschland, 16. Juli 2002
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