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Warum schweigt Brüssel zu Irak?

Feleknas Uca zur Situation in Nordirak und zur Haltung der EU

Feleknas Uca ist Europaabgeordnete (Linkspartei) und u.a. Mitglied im Entwicklungsausschuss des Europäischen Parlaments.
Das folgende Interview haben wir dem "Neuen Deutschland" entnommen. Die Fragen stellte Uwe Sattler.*



ND: Sie waren über eine Woche in der Kurdischen Autonomen Region in Nordirak. Was stand auf Ihrem Besuchsprogramm?

Uca: Wir hatten unter anderem Gespräche mit dem Adnan Mufti, dem Präsidenten des Regionalparlaments, sowie mit Regierungspräsident Masud Barzani. Unterredungen gab es auch in verschiedenen Parlamentsausschüssen und mit Vertretern der assyrischen und turkmenischen Bevölkerungsgruppe. Zudem standen Besuche in den Städten Halabja, Süleymania, Kirkuk und Erbil sowie im Flüchtlingslager Mahmur auf dem Programm. Ziel dabei war, die Möglichkeiten einer besseren Kooperation zwischen dem kurdischen Parlament und der europäischen Ebene auszuloten und entsprechende Kontakte zu knüpfen. Erörtert wurde dabei, wie gemeinsame Projekte, beispielsweise zu den Themen Gewalt gegen Frauen, Bildung und Straßenkinder erarbeitet werden können.

Während der Zeit Ihrer Reise gab es mehrere schwerere Anschläge, u.a. in Kirkuk. Wie schätzen Sie die Sicherheitslage ein?

Die Sicherheitslage ist kritisch. Trotzdem kann man sich in der kurdischen Region viel freier bewegen als in anderen Teilen Iraks. Aber es gibt natürlich auch in irakisch Kurdistan Gebiete, die man am Abend nicht mehr passieren sollte; einige sollte man ganz meiden. Dem schweren Anschlag in Kirkuk mit zahlreichen Toten und Verletzten sind wir übrigens selbst nur wegen einer Terminverschiebung entgangen. Viele Menschen in der Region müssen sich leider jeden Morgen der Frage stellen, ob sie am Abend wieder unversehrt nach Hause kommen.

Konnten Sie sich ein Bild von der sozialen Situation machen?

Wir haben uns sehr gut über die Entwicklung in der Region, auch in sozialer Hinsicht, informieren können. Es ist ein sehr unterentwickeltes Gebiet, in dem noch viel getan werden muss, gerade was wirtschaftlichen Aufbau und den Ausbau des Arbeitsmarktes anbelangt. Ebenso gibt es im Bildungsbereich und bei der Infrastruktur, beispielsweise beim Ausbau der Kanalisation, noch große Defizite. Zwar geht es der Bevölkerung in der kurdischen Region im Vergleich zu anderen Landesteilen besser. Die Frage ist jedoch: Wie lange noch? Schon heute flüchten viele Menschen wegen des Mangels an Nahrung, Bildung und Arbeit aus dem Gebiet, nicht selten nach Europa.

Unter Saddam Hussein wurden die irakischen Kurden massiv unterdrückt.

Gibt es heute Genugtuung über die Entwicklung in Irak? Das ist schwer zu sagen, weil die Situation sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Nach der Besatzung durch die US-Amerikaner sagen viele Iraker, sie würden dasselbe wie unter Saddam erleiden. Die »Freiheit«, die sich viele Iraker erhofft hatten, sieht so aus, dass gegenwärtig täglich Hunderte Todesopfer zu beklagen sind. In den kurdischen Regionen ist die Skepsis gegenüber der Besatzung aber nicht ganz so stark ausgeprägt wie in den anderen Landesteilen.

Warum schweigt Brüssel zu dem »Problem Irak«?

Das ist die eine offene Frage, die ich jetzt nochmals gegenüber der EU-Kommission vorbringen werde. Eine andere habe ich auch sehr oft gehört: Warum gibt es keine Förderung für die Region um Halabja? Schließlich waren europäische Staaten zumindest indirekt in den Giftgaseinsatz unter Saddam involviert. Und wenn sich Brüssel zumindest offiziell immer für Gleichberechtigung, Demokratie und Menschenrechte einsetzt, ist es doch unverständlich, dass das kurdische Parlament noch nicht offiziell anerkannt wurde. Diese Frage muss in der EU auf die Tagesordnung.

* Aus: Neues Deutschland, 11. April 2007


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