Irakische Kurdinnen haben wenig Lust auf US-Abenteuer
Der Wohlgeschmack irakischer Datteln
Nachfolgender Beitrag erschien am 20. Dezember 2001 in der Schweizer Wochenzeitung (WoZ). Wir dokumentieren Auszüge daraus:
Von Jan Keetman, Istanbul
...
... Was einmal geholfen hat, das hilft auch wieder; was Heuschnupfen kurierte, nützt auch
gegen Malaria. So ungefähr posaunen selbst ernannte Strategen seit dem
Niedergang der Taliban durch die US-Presse. Man bombardiere Saddam
Husseins Armee, dann lasse man die von den USA bewaffnete Opposition
von Norden und Süden vorstürmen, und am Schluss treten vielleicht auch
noch ein paar US-Spezialkräfte am Boden in Erscheinung. Selbst
Expräsident Richard Nixon hat sich aus dem Jenseits zu Wort gemeldet,
jedenfalls in der Kolumne des viel beachteten Kolumnisten William Safire,
der ihn die Idee in die Welt setzen liess, den Norden Iraks mit der Türkei
zusammenzuschliessen. Die Türkei würde wegen der Erdölquellen von
Kirkuk schon mitmachen, und im Handumdrehen sei das Irakproblem
verschwunden: Denn dann gäbe es das Land, von dem noch ein
schiitischer Süden abzuziehen wäre, nicht mehr.
Grosse Begeisterung haben diese Pläne im Irak bisher aber nicht
hervorgerufen. «Al-Ittihad», das Parteiblatt der Patriotischen Union
Kurdistans (PUK), einer der wichtigsten Oppositionsgruppen, plädierte
jüngst für Verhandlungen mit Saddam Hussein. Dafür gebe es vier Gründe:
«Erstens: Wir sind Irakis, irakische Kurden. Wir bestehen auf der Einheit
des irakischen Volkes und des irakischen Territoriums. Zweitens: Wir
lehnen die Beseitigung (des Regimes) und die willkürliche Bombardierung
Iraks ab. Drittens: Wir streben demokratische Veränderungen im Irak an.
Viertens: Die Beseitigung (des Regimes) würde zu einem totalitären
Regime führen, das für die arabischen Staaten und die USA attraktiv ist.»
Aus diesen Zeilen spricht auch Angst. Kurz zuvor noch hatte der
PUK-Vorsitzende Dschelal Talabani ein Gesprächsangebot von Saddam
Hussein abgelehnt. Daraufhin drohte Bagdad mit militärischer Gewalt; man
werde Talabani die Zunge herausschneiden, hiess es. Wenn Saddam
Hussein dies sagt, ist das keine leere Drohung; schon mehrfach hat das
Regime diese Strafe bei Oppositionellen vollzogen.
... Schon zwei Mal haben die USA die KurdInnen aus taktischen Gründen plötzlich fallen
lassen; 1975 liess der damalige Aussenminister Henry Kissinger die
aufständischen KurdInnen ebenso im Stich wie 1991 George Bush senior.
Doch selbst wenn die USA wollten – sie könnten einen plötzlichen Überfall
Saddam Husseins (wie jenen im Jahre 1996 auf die Millionenstadt Arbil)
nicht sofort stoppen.
Doch es ist nicht nur die Angst, die Zeche für anderer Leute Planspiele
zahlen zu müssen ... Es herrscht auch die Erkenntnis, dass bei der Sache nicht viel Gutes herauskommen
kann. Viele arabische Staaten würden sich mit Händen und Füssen einer
Schwächung des arabischen Charakters des Irak widersetzen – auch
wenn die sunnitischen AraberInnen nur 20 Prozent der irakischen
Bevölkerung stellen (die SchiitInnen aber 55 Prozent). Zerfiele der Irak gar
in mehrere Teile, blieben die sunnitischen AraberInnen ohne einen Tropfen
Öl, mit wenig Landwirtschaft und Industrie zwischen dem ölreichen
kurdischen Norden und dem ebenfalls ölreichen schiitischen Süden sitzen,
welcher sich wohl am Iran orientieren würde.
Die in US-Planspielen erwogene Angliederung des Nordens an die Türkei
stellt für die PUK keine Option dar. 1991, als die KurdInnen nicht mehr
weiterwussten, hat die PUK einen Anschluss an die Türkei noch ernsthaft
diskutiert; inzwischen aber hat sie die harte Hand Ankaras in Form von
Bombenangriffen mehrmals zu spüren bekommen. ... In Ankara existieren derzeit zwei
politische Denkrichtungen. Die eine will den türkischen Nationalstaat auf
keinen Fall gefährden, die andere sucht den Anschluss an die Europäische
Union (EU). Aus Sicht der Nationalstaatsbewahrer wäre ein Anschluss des
kurdischen Nordirak ein Albtraum. Die irakische Verfassung erwähnt
nämlich die Kurden und steht ihnen eine vage Autonomie zu; ausserdem
ist im Irak zum Beispiel Unterricht in kurdischer Sprache eine
Selbstverständlichkeit. Dies und vieles mehr müsste Ankara den «neuen
Türken» entweder wegnehmen oder im eigenen Land einführen. Beides
scheint undenkbar. Zudem ist türkischen Kommentatoren sehr wohl
aufgefallen, dass die türkisch-kurdische Partei Hadep einen Anschluss des
Nordirak bereits grundsätzlich begrüsst hat. Das war für sie Alarmsignal
genug.
Eine um vier Millionen Menschen und ein weiteres Siedlungsgebiet
gestärkte kurdische Minderheit könnte ausserdem separatistische
Tendenzen stärken – mit der Folge, dass sich der vergrösserte türkische
Südosten mitsamt den Erdölquellen gleich verabschiedet. Das Argument
von der Unverletzlichkeit der Grenzen hätte Ankara im Falle eines
Anschlusses des Nordirak gerade selber ausser Kraft gesetzt – da könnte
man schlecht meckern. Auch die Nachbarn hätten wahrscheinlich wenig
dagegen einzuwenden, wenn die dank einer US-Intervention plötzlich
übermächtige Türkei wieder geschwächt würde. Aus den gleichen Gründen
lehnt auch die türkische Pro-Europa-Fraktion einen Anschluss ab. Dazu
kommt, dass eine Türkei, zu der auch Mosul gehört und die erst 150
Kilometer vor Bagdad endet, noch weniger Chancen auf einen EU-Beitritt
hat.
So halten sich die Türkei und die irakischen KurdInnen zurück. Nach ihrer
Loyalitätsbekundung Bagdad gegenüber widmete «Al-Ittihad» gleich eine
Titelgeschichte dem Geschmack der berühmten irakischen Datteln. Und
die zweite grosse kurdische Partei des Irak, die KDP von Mesud Barsani,
hat in letzter Zeit ohnehin alle Offerten aus Bagdad begrüsst. Kurz nach
Saddam Husseins Aufruf zum Dialog schickte die KDP eine
Verhandlungsdelegation in die Hauptstadt.
Die Strategen in Washington müssen sich also schon mehr einfallen
lassen, wenn sie die Türkei überzeugen und gleichzeitig die KurdInnen
dazu bringen wollen, ihr Leben im Kampf mit einer Streitmacht zu
riskieren, deren Kampfkraft jene der Taliban um mehr als das Zehnfache
übersteigt – und dies mit der Furcht im Hinterkopf, sie könnten wieder
fallen gelassen werden, wenn nicht direkt im Kampf, dann bei der
Neuordnung danach. Dann hätten sie nicht einmal mehr ihr halbautonomes
Provisorium. ...
Aus: WoZ-Online 20.12.2001
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