Irak: Nach dem Krieg sterben die Menschen weiter
Ein Spendenaufruf von "Monitor" zugunsten eines Kinderkrankenhauses
Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag aus der 502. Sendung von "Monitor" vom 24. April 2003.
Bericht: Arnim Stauth
Amerikaner und Briten hatten schnelle Hilfe für notleidende Zivilisten im
Irak versprochen. Tatsächlich rollten schon bald nach Kriegsbeginn die
ersten Hilfskonvois über die Grenze in den Irak. Doch dort, wo Hilfe
dringend benötigt wird, in den Krankenhäusern, kommt sie nicht an.
Dort fehlt es am Nötigsten, obwohl die Ärzte den alliierten Militärs
längst Listen mit allen benötigten Medikamenten gegeben haben.
Doch Hilfe blieb aus und die Medikamentenschränke leer. Was sich
stetig füllt, sind die Sterberegister in den Krankenhäusern des Irak.
Sonia Mikich: "Der erstaunlich schnelle Sieg im Irak-Krieg führte zum
Zusammensturz einer Diktatur. Der Kollateral-Nutzen, wenn man so
will. Lagen die Warner und Mahner, die Friedensmarschierer, der
Papst und der Kanzler also völlig falsch?
Ich sehe jedenfalls keinen Widerspruch darin, sich über das Ende
eines Gewaltregimes zu freuen und der brüchigen Waffenruhe zu
misstrauen. Mir beweisen umfallende Saddam-Statuen und schiitische
Massendemonstrationen keineswegs, dass die Welt sicherer
geworden ist. Und das war doch der Kriegsgrund - oder?
Im Internet (www.iraqbodycount.com) gibt es eine Initiative, die die Zahl
der toten Zivilisten im Irak täglich auflistet. Denn weiterhin sterben
Menschen im Irak. Für heute errechnete die Initiative "bodycount" die
Mindestzahl von 1930 toten Männern, Frauen, Kindern.
Unser Reporter Arnim Stauth ist seit Beginn des Krieges im Irak. Er
hat Erschütterndes zu erzählen. Von Unbekannten, die vielleicht schon
bald in die bodycount-Statistik aufgenommen werden."
Vor bald drei Wochen kamen wir zum ersten Mal nach Basra, britische
Truppen hatten gerade die Universität erobert, im Zentrum wurde noch
geschossen. Nach Ende der Kämpfe besuchten wir als erstes das
Kinderkrankenhaus, dort lag Abdallah, 14 Monate alt. Inschallah, wenn
Gott will, sagten seine Ärzte, wird Abdallah überleben. Der Junge hatte
sich an verseuchtem Wasser infiziert, nichts konnte Durchfall und
Erbrechen stoppen, er war völlig ausgetrocknet und abgemagert.
Wenn wir auf den Autobahnen im Irak unterwegs sind, begegnen wir
endlosen Militärkonvois. Klimaanlagen, Trinkwasser, Panzergranaten,
Klohäuschen: Zehntausende Tonnen jeden Tag, die Kosten: völlig egal.
Abdallah bekam nichts von den fremden Soldaten. Zwei Tage nach
unserem ersten Besuch sehen wir den Jungen wieder, die Salzlösung
aus dem Tropf hat ihn vor dem Tod bewahrt. Jetzt braucht er
kalorienreiche Flüssignahrung, aber im Kinderkrankenhaus gibt es die
nicht. Es fehlen auch die Medikamente, um die Krebsgeschwulst in
Murtjas Bauch zu bekämpfen. Der Krieg hat ein durch das
Wirtschaftsembargo seit 1990 beschädigtes Gesundheitssystem noch
weiter geschwächt. Dass dies geschehen würde, davor hatten
Hilfsorganisationen eindringlich gewarnt.
Was Amjad braucht, passt in einen kleinen Karton und würde um die
10.000 Dollar kosten. Amjad ist Bluter. Eine Granate hat ihm das Bein
zerfetzt, nach der Amputation braucht er ein Mittel für die
Blutgerinnung. Ein paar Päckchen hat der kuwaitische Rote Halbmond
geschickt, aber es reicht nur für ein Viertel der nötigen Dosis. Ich
möchte sonst keine Hilfe, sagt Amjad, nur dieses Mittel.
Im Kinderkrankenhaus haben die Ärzte gerade die letzten
Eintragungen gemacht im Sterberegister. Schon vor dem Krieg erlebte
im verarmten Irak jedes achte Kind nicht seinen fünften Geburtstag.
Doch jetzt ist die Kindersterblichkeit hier in der Klinik noch einmal
gestiegen.
Da ist der letzte Eintrag, Fatima hieß das Kind, 17 Tage alt, gestorben
am 22. April. Die Todesursache: eine Infektion der Atemwege.
Abdallah hat den 22. April überlebt, sein kleiner Körper wehrt sich mit
allen Kräften gegen den Tod. In winzigen Schlucken hat ihm seine
Mutter zwei Tassen Milch eingeflößt, aber das ist nicht genug, um
weiteren Gewichtsverlust zu stoppen. Etwas mehr als sechs
Kilogramm zeigt die Waage, zehn wären für ein Kind in seinem Alter
normal. Die Ärzte sagen, wir haben den britischen Truppen und dem
Roten Kreuz längst die Liste gegeben mit allen Medikamenten, die wir
brauchen.
Zerschossene irakische Panzer vor dem britischen Hauptquartier in
Basra. Die Besatzungsmächte sind nach der Genfer Konvention
verantwortlich für den Erhalt der medizinischen Versorgung im Irak.
Chris Vernon, Oberst, Britische Armee:
"Aber wir haben noch vor 12
Tagen Krieg geführt, wir sind eine Kampftruppe. Wir sind eine sehr
flexible Armee, wir können von Kriegsführung umschalten auf die
Aufgaben einer Polizeitruppe. Aber ganz klar: unsere Priorität ist im
Moment weder die öffentliche Ordnung noch humanitäre Aufgaben.
Erstmal müssen wir die letzten Anhänger Saddam Husseins
ausmerzen."
In der Logik der Militärs ist für Kinder, die Hilfe jetzt sofort oder gar
nicht mehr brauchen, kein Platz. Sachra hat Leukämie, und an
Leukämie ist vor einem Jahr schon ihr Bruder gestorben. Abdallah
gestern Mittag. Auch die 300 Dollar, die es kosten würde, ihn wieder
auf die Beine zu bringen, sind in diesem milliardenteuren Krieg nicht
eingeplant. Abdallahs Schicksal ist viel zu unbedeutend, verglichen mit
den nationalen Interessen der USA und ihrer folgsamen Gehilfen.
Aus: Monitor, wdr-ARD, 24. April 2003
Liebe Zuschauerinnen,
liebe Zuschauer,
wir freuen uns über die überwältigende Resonanz zu unserem
gestrigen Irak-Beitrag.
Viele Zuschauer haben bei uns angerufen und Emails geschrieben, um
für die Kinder im irakischen Krankenhaus in Basra zu spenden.
Wir haben ein Sammelkonto eingerichtet. Wir sind kein wohltätiger
Verein und können Ihnen von daher keine Spendenquittungen
ausstellen. Wir verbürgen uns dafür, daß Ihre Spenden direkt von
unserem Korrespondenten Arnim Stauth an das Krankenhaus
übergeben werden.
MONITOR-Sammelkonto "Abdallah"
Sparda-Bank West eG
Konto 13360610
BLZ 370 60 590
Mit freundlichen Grüßen
Ihre MONITOR-Redaktion
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