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"Wir werden nicht mit den USA kooperieren, um den Irak zu erobern"

Ayatollah Al-Hakim im Gespräch mit der libanesischen Zeitung Al-Mustaqbal

Den folgenden Beitrag haben wir dem Nachrichtenblatt des obersten Rates der Islamischen Resistance im Irak, Büro Wien und Berlin, "IRAK - Aktuell", vom April 2002 entnommen. Wir müssen nicht darauf hinweisen, dass wir dem Rat der Islamischen Resistance ebenso kritisch gegenüber stehen wie dem Regime von Saddam Hussein. Doch um Sympathie geht es hier nicht, sondern um die Einschätzung der Opposition im Irak und deren Neigung, bei einem evtl. Angriff der USA eine militärische Rolle zu übernehmen. Der Fall des Irak ist mit Afghanistan nicht zu vergleichen: Dort eine mit den USA verbündete hochgerüstete "Nordallianz", hier eine militärisch wohl bedeutungslose Opposition, über deren Anhang im Land man nur spekulieren kann.


Am 21. 3. 2002 führte ein Korrespondent der libanesischen Zeitung Al-Mustaqbal ("Die Zukunft") mit Ayatollah Muhammad Baqr al-Hakim, Vorsitzender des Obersten Rates der Islamischen Resistance im Irak, in dessen Teheraner Büro ein Interview.

Gefragt nach einem möglichen amerikanischen Angriff meinte Al-Hakim, im Falle eines tatsächlichen Angriffs der Amerikaner hätte er keine Wahl, denn Amerika hätte dabei nur die Verteidigung seiner eigenen Interessen und Ansichten im Sinn, die nicht mit denen des Rates übereinstimmten. Ebenso ist die Verteidigung des Regimes nur auf seinen Machterhalt ausgerichtet, nicht aber auf die Verteidigung des Volkes oder des Staatsgebietes. Er halte es aber für möglich, daß die USA die Zugeständnisse des Regimes akzeptieren. Sollte es aber zu einem Angriff kommen, so sei der Oberste Rat weder auf seiten des Regimes noch auf seiten der USA. Der Rat verfolge schon seit langer Zeit einen eigenen Plan, er arbeite eng mit der irakischen Opposition zusammen, um diesen Plan, der sich auf grundlegende und wichtige Punkte stützt, zu verwirklichen. Er sei der Ansicht, ein Umsturz im Irak könne nur direkt durch das Volk erfolgen, und er arbeite darauf hin, das Volk und den Irak vor dem Schaden, der durch einen solchen Angriff entstehen könnte, zu bewahren. Er sei auch dagegen, daß ein Umsturz durch die Eroberung des Irak durch eine ausländische Armee oder durch einen Militärputsch erfolge, sondern seiner Ansicht nach sollte die Armee das Volk bei seinen Bemühungen unterstützen. Darüber hinaus sei der Machtkampf zwischen dem Irak und den USA nicht ehrenwert.

Auf die Frage nach einem möglichen Sturz des Regimes meinte Al-Hakim, dies sei das Ziel der irakischen Opposition, denn es gäbe seit über zwanzig Jahren keinen Dialog mit dem Regime. Dies sei die dokumentierte Meinung der Opposition, und das sei auch nichts Neues. Es sei dies das logische Ziel des Volkes, doch wie solle der Sturz des Regimes herbeigeführt werden? Er erwarte von den Vereinten Nationen und auch von den USA als treibende Kraft bei der UNO, das Regime zum Ende der Unterdrückung des Volkes zu veranlassen, damit das Volk die Lage im Irak selbst ändern könne. Auf dieser Grundlage arbeite auch der Oberste Rat. Die internationale Gemeinschaft trage die Verantwortung dafür, die Unterdrückung des irakischen Volkes durch das Regime, die auch auf dem Einsatz von schweren Waffen beruht, zu unterbinden.

Al-Hakim versicherte, der Rat werde nicht an kriegerischen Handlungen an der Seite von ausländischen Mächten teilnehmen, und das sei auch die Haltung der irakischen Opposition. Wenn das Volk die Chance bekäme, dann würde es selbst den Umsturz herbeiführen, und der Rat würde es dabei unterstützen. Wenn es diese Chance aber nicht gibt, dann wird der Rat auch nicht anderen Mächten bei der Eroberung des Irak beistehen.

Al-Hakim fügte hinzu, es hätte keine detaillierten Gespräche mit den USA über dieses Thema gegeben. Man hätte zwar den USA und auch anderen Staaten der internationalen Gemeinschaft die Meinung des Rates dargelegt, aber auch darauf hingewiesen, daß es das beste sei, die internationale Gemeinschaft würde dahingehend Druck auf das Regime ausüben, nicht schwere Waffen gegen das eigene Volk einzusetzen, denn das sei das wahre Problem im Irak.

Weiters sagte Al-Hakim, der Rat habe vor allem die Interessen des irakischen Volkes und die Zustände im Land im Auge, deshalb stünde er mit allen Kräften, die einen Bezug zum Irak haben, im Dialog, und es gäbe auch kein Problem in dieser Hinsicht. Was die Feldarbeit anbelangt, so sei diese bislang aber kein Gegenstand des Dialoges gewesen. Die irakische Opposition ist sich seit langem einig, daß es nach dem Sturz des Regimes eine Übergangsregierung geben müsse, die etwa ein Jahr im Amt bleiben und die verschiedensten Volksgruppen repräsentieren solle. Danach sollten allgemeine Wahlen durchgeführt werden und es solle auch ein Abkommen geben, wonach die irakische Regierung eine einheitliche Regierung für den gesamten Irak sein solle. Auch das Staatsgebiet solle eine Einheit bleiben, ebenso wie das irakische Volk mit all seinen ethnischen und religiösen Gruppierungen. Diese Regierung solle Stabilität innerhalb des Landes garantieren und dafür sorgen, daß alle Volksgruppen in ihren Rechten und Pflichten gleichgestellt sind. Mit den Nachbarstaaten sollten freundschaftliche Beziehungen unterhalten werden und der Staat müsse sich verpflichten, internationale Abkommen einzuhalten, insbesondere die Abkommen der arabischen Liga, der islamischen Konferenz und der Vereinten Nationen.

Auf die Frage, welche Möglichkeit die Opposition habe, das Vakuum nach dem Sturz des Regimes zu füllen, meinte Al-Hakim, die Opposition sei dazu sehr wohl in der Lage, denn sie hat auch derzeit sehr viele Optionen, es gäbe sehr erfahrene politische Kader und auch auf militärischer Ebene sehr schlagkräftige und fähige Einheiten. Den überzeugendsten Beweis für die Fähigkeit der Opposition lieferten die Erfahrungen im irakischen Kurdistan.


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