Ist mit der irakischen Opposition ein Staat zu machen?
Zwei Interviews aus aktuellem Anlass: George Galloway und Hans Branscheidt
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Interviews, die beidem am selben Tag (22.08.2002) erschienen sind. Das erste Interview versucht etwas von der Situation im Irak einzufangen; es wurde mit dem britischen Labour-Abgeordneten George Galloway geführt. Im zweiten Interview mit Hans Branscheidt, der in Deutschland die "Koalition für einen demokratischen Irak" vertritt, geht es eher um Spekulationen über die irakische Opposition im Ausland. Anlass war der Überfall auf die irakische Botschaft in Berlin vom 20. August. Diesem Interview ist ein kurzer persönlicher Kommentar angehängt.
London treu an der Seite Washingtons?
jW sprach mit George Galloway. Der Abgeordneter
der Labour-Partei im britischen Unterhaus kehrte
kürzlich von einer politischen Reise in den Irak
zurück
Frage: Sie sind einer der wenigen Menschen aus dem Westen, die
in den letzten Wochen persönlich mit dem irakischen
Staatschef gesprochen haben. Welchen Eindruck machte
Saddam Hussein auf Sie? Fühlt er sich von den
Kriegsdrohungen in die Ecke gedrängt?
Was auch immer man von ihm halten mag, Hussein ist der
Präsident des Iraks, und er hat das Land fest unter seiner
Kontrolle. Es gibt derzeit keinerlei Aussicht auf einen internen
Coup. Hussein ist sehr ruhig und selbstbewußt. Er weiß, daß
die Kosten eines Krieges für die USA und ihre Verbündeten
beträchtlich wären, sowohl am Kriegsschauplatz selbst als
auch in der ganzen Region. Er glaubt, daß diese Kosten die
westlichen Staaten davon abbringen werden, den Irak
anzugreifen.
Hussein ist auch auf jeden anderen Fall gut vorbereitet. Er hat
diplomatisch die Initiative ergriffen. Er hat die
Waffeninspektionen im Prinzip akzeptiert. Er will die genauen
Bedingungen noch diskutieren, was nur allzu verständlich ist,
wenn man bedenkt, daß mehrere UN-Vertreter im nachhinein
zugegeben haben, bei den vergangenen Inspektionen für die
USA und Israel spioniert zu haben. Er hat die Beziehungen zu
seinen Nachbarn verbessert, vor allem zu Saudi-Arabien. Die
Geschäftsbeziehungen mit Saudi- Arabien sind sehr intensiv
geworden. Die Beziehungen zu Syrien sind heute besser als in
den Jahrzehnten zuvor. Unter der Oberfläche laufen auch
intensive Vorbereitungen für eine militärische Verteidigung des
Landes.
F: Saddam Hussein gibt sich kampfbereit. Welchen Eindruck
haben Sie bei Ihrem Besuch gewonnen, steht die irakische
Bevölkerung auf der Seite der Staatsführung?
Es würde erst nach einer gewaltigen Bombardierung und einer
Invasion zu sozialen Unruhen kommen. Es ist bekannt, daß es
im Irak viele Menschen gibt, die Husseins Regime hassen. Im
Westen wird weniger darüber berichtet, daß es auch viele gibt,
die es nicht hassen und die bereit sind, für die Regierung zu
kämpfen. Dann gibt es noch diejenigen, die nicht hinter
Hussein stehen, aber sich gegen eine Invasion wenden
würden.
Viele würden sich mit den fremden Truppen zu verbünden
versuchen, aber nicht so viele, wie die westlichen Strategen
hoffen. Während des Krieges zwischen dem Iran und dem Irak
haben auch viele westliche Beobachter angenommen, die
irakischen Schiiten würden sich auf die Seite des Irans stellen.
Sie haben sich da jedoch getäuscht: Die Irakis standen hinter
der irakischen Führung.
F: Wie gefährlich wird ein Waffengang für die USA und ihre
Verbündete?
Die USA und ihre Verbündeten müßten für einen Krieg einen
sehr hohen Preis bezahlen. Es würde ein Krieg der Städte
werden. Die irakischen Truppen würden nicht in der Wüste auf
den Angriff warten. Sie würden sich in die Städte zurückziehen
und dort Straße um Straße kämpfen. Hussein hat mir gesagt:
"Wir werden Sie auf der Straße bekämpfen, von den Dächern,
von Haus zu Haus." Es werden viele Menschen zu Tode
kommen und es werden nicht nur Irakis sein.
Die Gefahren auch für die dem Westen freundlich gesinnten
Regimes in der Region sind offensichtlich. Über das arabische
Satellitenfernsehen werden die Bilder dieses Krieges in die
ganze Welt gehen. Mit jedem brennenden Haus, das im
Fernsehen gezeigt wird, werden die Menschen in der
arabischen Welt wie Lava auf die Straße strömen. Die
Marionettenregierungen des Westens sind in höchster Gefahr.
Deswegen bemühen sie sich in der Region im Moment so eifrig,
diesen Krieg zu verhindern.
F: In dem Interview, das Sie mit Saddam Hussein am 8. August
geführt haben, erklärte sich der irakische Präsident bereit,
UN-Inspekteure ins Land zu lassen. Wenige Tage später
erklärte sein Informationsminister Mohammed Said al Sahhaf,
die Waffenkontrollen seien 1998 endgültig beendet worden.
Wie glaubwürdig ist die irakische Führung?
Hussein hat sein Angebot, die Inspektionen fortzusetzen, in
der Zwischenzeit in einem Brief an den Generalsekretär der
Vereinten Nationen wiederholt. Natürlich ist es für die irakische
Führung auch eine taktische Frage. Wenn Bush plant, den Irak
zu bombadieren, möchte Saddam Hussein die
Waffeninspektoren nicht als Trojanisches Pferd ins Land
lassen. Und warum sollte er auch? Hussein steht
verständlicherweise auf dem Standpunkt, daß der Westen nur
entweder Inspektionen oder eine Invasion haben kann, nicht
aber beides.
F: Welche Alternativen sehen Sie zu Krieg und Sanktionen?
Die beste Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben
zwischen Nachbarn sind gute nachbarliche Beziehungen. Der
Irak ist dabei, die Verbindungen zu seinen Nachbarn
wiederaufzubauen. Die arabische Liga glaubt, daß es möglich
ist, den Irak wieder in die arabische Welt einzugliedern.
Ich kann und will kein guter Ratgeber für die westlichen
Regierungen sein, weil ich die Prämisse der westlichen Politik
ablehne. Die Strategie des westlichen Imperialismus ist seit
langem, die arabischen Staaten zu spalten und schwach zu
halten. Der Westen kann sich auf diese Weise die Reichtümer
der Region teilen und sein illegitimes Kind, den Staat Israel, am
Leben halten. Nach meiner Überzeugung müssen die Araber
solidarisch als eine Nation zusammenkommen und die
Kontrolle über ihre Ressourcen übernehmen.
F: Großbritannien war in der Vergangenheit der wichtigste
Verbündete der USA im Mittleren Osten. Was werden Sie tun,
um Ihre Regierung in dieser Frage unter Druck zu setzen?
Ich bin überzeugt, daß selbst die Amerikaner den Irak nicht im
Alleingang besetzen können. Selbst George W. Bush jun.
brächte das nicht fertig. Deshalb ist der Widerstand in ganz
Europa und besonders in Großbritannien so wichtig. Zwei von
drei Briten sind heute gegen diesen Krieg. 161 Abgeordnete im
Unterhaus unterstützen einen Antrag gegen jede Beteiligung
Großbritanniens. Das Parlament ist bis Mitte Oktober vertagt,
und es gibt kaum Aussicht darauf, daß Premierminister Tony
Blair es vorzeitig zurückrufen wird. Wir werden für diesen
Widerstand die Straße in Bewegung setzen, um das Parlament
zu bewegen. Wir werden am 28. September eine
Demonstration veranstalten, die die größte in der Geschichte
Großbritanniens sein wird. Diese Demonstration wird die
Konferenz der Labour-Partei erschüttern, die am nächsten Tag
beginnen wird. Diese Mobilisierung der Massen auf der Straße
wird funktionieren.
F: Wie haben Sie in Großbritannien die deutsche Debatte über
einen möglichen Krieg gegen den Irak erlebt? Gibt die
deutsche Opposition gegen den Krieg den Antikriegskräften in
Großbritannien Auftrieb?
Ich begrüße die Entscheidung der deutschen Regierung, sich
nicht an einem solchen Krieg zu beteiligen. Ich glaube, diese
Entscheidung der Deutschen gehört zu den positivsten
Entwicklungen der letzten Wochen. Auch die kanadische
Regierung hat sich ja gegen einen Krieg gewandt. Ich möchte
der Linken in Deutschland dazu gratulieren, daß sie Schröder in
diese Richtung gedrängt hat.
Interview: Monika Krause, London
Aus: junge Welt, 22. August 2002
Wer stürzt Saddam?
Der Nahost-Experte Hans Branscheidt von der "Koalition für einen demokratischen Irak" ist ein
ausgewiesener Kenner der Oppositionsszene.
ND: Kannten Sie die Gruppe "Demokratische Irakische Opposition in Deutschland" vor der
Geiselnahme in Berlin?
Branscheidt: Ich hatte gehört, dass seit einiger Zeit, vor allem in Berlin, eine jedem unbekannte kleine neue
Gruppe unter diesem Namen versucht, ihre politischen Ziele vorzustellen und dabei sowohl
Kontakte zur irakischen Opposition hier zu Lande als auch zu Medien sucht. Das klang aber alles
sehr harmlos.
ND: Wo lässt sie sich im Oppositionsspektrum einordnen?
Es handelt sich wohl um eine säkular orientierte und nicht um eine
fundamentalistisch-islamistische Gruppe. Es wird spekuliert, dass sie Ex-Baathisten nahe steht,
also Ausgeschlossenen aus Saddam Husseins Baath-Partei. Und es gibt Hinweise auf einen
sunnitischen Hintergrund dieser Gruppierung.
ND: Wollte sich hier eine Strömung, die sich von den USA bisher vernachlässigt fühlte, ins
Geschäft bringen?
Ich kann die Aktion nicht anderes interpretieren. Sie brachte ja auch weltweite Aufmerksamkeit.
Hier versucht jemand ganz offensichtlich, sich für eine Post-Saddam-Ära ins Spiel zu bringen.
ND: Und warum in Berlin?
Die Besetzung der Botschaft, so ist die Erklärung der Gruppe zu verstehen, sollte ein symbolischer
Akt sein, und die Wahl Berlin sehe ich als politische Entscheidung - vor dem Hintergrund der
Worte von Kanzler Schröder, dass die Bundesrepublik einen Sonderweg gegenüber dem Irak
beschreiten wolle.
ND: Die USA unterstützen die irakische Opposition massiv. Ein Nordallianz ŕ la
Afghanistan allerdings ist nicht zu sehen.
Die Situation ist überhaupt nicht zu vergleichen. Selbst jene Gruppen, die bei den jüngsten
Gesprächen in Washington dabei waren, haben großen Wert darauf gelegt, dass es zu keiner
dauerhaften Besetzung des Irak durch USA-Truppen kommt. Sie bestehen darauf, dass jede
Veränderung, auch die Ausfüllung eines eventuellen Vakuums nach Saddam Hussein, von der
Bevölkerung selber ausgehen muss und von den Gruppierungen, die sie repräsentieren. Sie sollen
in Referenden bzw. in freien Wahlen bestätigt werden.
ND: Dabei besteht doch nicht einmal Einigkeit darüber, ob es überhaupt eine militärische
Intervention geben soll. Der Oberste Rat für die Islamische Revolution in Irak (SCIRI) etwa,
die wichtigste schiitischen Oppositionsgruppe, hat sich dagegen ausgesprochen.
Ich denke, die Schiiten wie auch die Kurden in Nordirak werden bis zuletzt außerordentlich
zurückhaltend sein, weil sie von den US-Amerikanern zunächst einmal wissen wollen, was diese
überhaupt vorhaben. Die entscheidende Frage ist: Entsteht ein wirklich neuer demokratischer Irak
oder regiert etwa bei dauerhafter Besetzung durch die USA eine Militärjunta von Washingtons
Gnaden.
ND: Rechnen Sie mit einer Intervention?
Es spricht einiges dafür. Aber auch in den USA dürften noch manche Probleme überlegt werden,
denn es besteht ein großes Risiko. Wobei mir scheint, dass es vor allem die pragmatische Frage
ist, jetzt oder erst in, sagen wir mal, fünf Jahren. Da eine solche Operation dann für die USA aber
eher noch schwieriger sein dürfte, tippe ich auf eine Intervention Anfang nächsten Jahres. Der letzte
Golfkrieg begann ja auch im Januar.
Fragen: Olaf Standke
Aus: Neues Deutschland, 22. August 2002
Kommentar
Das Interview mit Hans Branscheidt über die Hintergründe der Geiselnahme in der irakischen Botschaft finde ich enttäuschend und ärgerlich.
Enttäuschend, weil ich mir von einem "Nahost-Experten" mehr Informationen über die Lage der Opposition im Irak erwartet hätte. So wüsste man doch gern, auf welche Kräfte und Gruppierungen sich die vornehmlich im Ausland angesiedelte "demokratische" Opposition, etwa der "Irakische Nationalkongress (INC), stützt, welche unterschiedlichen Interessen sie vertreten (wenn sie überhaupt etwas vertreten) und wie sie zur drohenden militärischen Invasion durch die USA stehen.
Ärgerlich finde ich das Interview, weil die Frage eines US-Krieges rein "pragmatisch" erörtert wird. Für Branscheidt spielen völkerrechtliche oder humanitäre Probleme des Krieges überhaupt keine Rolle. Ihn interessiert nur, ob "danach" auch "freie Wahlen" stattfinden werden. Was aber bringt der Krieg der irakischen Bevölkerung - oder sarkastischer formuliert: Wie viele Tote dürfen es denn sein? Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die Nahostregion, ja auf den Weltfrieden? Wie reagiert die arabische Welt? Wie ist die Drohung Israels einzuschätzen, notfalls auch neuartige Atomwaffen einzusetzen, falls der Irak mit Massenvernichtungsmitteln angreift? Von einem führenden Repräsentanten der zu Recht renommierten Nichtregierungsorganisation "medico international" kann man doch erwarten, dass er solche Probleme diskutiert. (Der ND-Redakteur hätte aber auch etwas forscher nachfragen können!) Am Ende des Interviews "tippt" Hans Branscheidt auf den kommenden Januar als Termin für den US-Angriff, so als handle es sich dabei um ein harmloses Ratespiel. Ich tippe mir angesichts der darin zum Ausdruck kommenden Kriegs-Gleichgültigkeit an die Stirn.
Pst
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