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Brief und Erklärung von IALANA zum angekündigten US-Angriffskrieg

Beschlussvorlage für die Generalversammlung: UNO soll beim Internationalen Gerichtshof Rechtsgutachten beantragen / Request to the International Court of Justice

Im Folgenden dokumentieren wir
  • eine Erklärung der Deutschen Sektion von IALANA zum Angriffskrieg gegen Irak,
  • einen Brief von IALANA an die Bundesregierung, in dem diese aufgefordert wird, in der UN-Generalversammlung tätig zu werden, damit dort eine Resolution verabschiedet wird zur Einleitung eines Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag,
  • und den Textentwurf für eine solche Resolution (in deutscher und englischer Spraqche).


Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen - Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms

Erklärung der IALANA zum angekündigten US-Angriffskrieg gegen Irak

Der gestern von US-Präsident Bush für den Fall, dass der irakische Diktator Saddam Hussein und bestimmte Mitglieder seiner Familie den Irak nicht bis zum Donnerstag, 20. März, 02.00 Uhr (CET) verlassen, angekündigte Angriffskrieg verstößt gegen das Völkerrecht.

Es gibt keinerlei Rechtsgrundlage im Völkerrecht, die es einem Staat erlaubt, einen Regierungswechsel in einem anderen Staat oder gar eine geostrategische Neuordnung in einer ölreichen Region militärisch zu erzwingen. Auch die UN-Sicherheitsratsresolution 1441 (2002) enthält nach Wortlaut und Entstehungszusammenhang keine Billigung oder Autorisierung des Einsatzes militärischer Gewalt für das von ihr allein verfolgte Ziel einer militärischen Abrüstung des Irak. Erst recht enthält sie keine Rechtfertigung für die militärische Durchsetzung eines Regierungswechsels oder die sonstigen Ziele der Bush-Regierung.

Deshalb ist auch die von Bundesswehr-General a. D. Klaus Naumann in den ARD-TAGESTHEMEN vom 18. März 2003 aufgestellte Behauptung, die Resolution 1441 rechtfertige im Zusammenspiel mit der 12 Jahre alten, zur militärischen Befreiung Kuwaits ermächtigenden Resolution 678 einen US-Krieg gegen Irak, juristisch nicht haltbar. Die Resolution 678 (1990) ist durch die Befreiung Kuwaits schon wegen Zweckerreichung und Zeitablaufs "verbraucht". Zudem enthielt sie ohnehin keine Ermächtigung zur Erzwingung eines Regierungswechsels. Die vernebelnde Berufung von General a. D. Naumann auf eine nicht näher bezeichnete "angelsächsische Rechtsauslegung" ändert daran nichts. Auch eine solche Auslegung müsste sich am strikten Gewaltverbot der UN-Charta orientieren, die als Ausnahmen nur das Recht der Selbstverteidigung (Art. 51) und den Gewalteinsatz durch den UN-Sicherheitsrat (Art. 42 und 53) vorsieht. Bezeichnend ist, dass die Rechtmäßigkeit des Krieges bislang ganz überwiegend nur von den Rechtsbrechern, nämlich den Verantwortlichen der Bush- und Blair-Administration sowie einigen ihrer Militärs, geltend gemacht wird, während UN-Generalsekretär Kofi Annan sowie die große Mehrheit der Staatengemeinschaft und der Völkerrechtswissenschaftler unzweideutig auf den bevorstehenden Bruch der UN-Charta und damit des Völkerrechts hinweisen.

Zwingende Konsequenz für die deutsche Bundesregierung aus der Völkerrechtswidrigkeit des Irakkrieges muss die Verweigerung jeglicher Unterstützung oder Mitwirkung an diesem Angriffskrieg sein. Dies betrifft vor allem
  • die Gewährung von Überflugrechten für US-Militärflugzeuge,
  • die Nutzung der US-Basen in Deutschland,
  • die AWACS-Flüge,
  • die Einbeziehung der Fuchs-Spürpanzer in den Konflikt,
  • die militärische Hilfeleistung für sonstige den US-Aggressor unterstützende Staaten sowie
  • das Abstimmungsverhalten in den NATO-Gremien.
Wegen der verbindlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 25 GG (die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind unmittelbarer Bestandteil des Bundesrechts) und Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung der Regierung an Recht und Gesetz) sowie wegen des ausdrücklichen Verbots jeder Vorbereitung eines Angriffskrieges (Art. 26 GG) ist eine andere politische Entscheidung verfassungswidrig. Ein politischer Entscheidungsspielraum ist nur für Handlungen eröffnet, die mit dem Völker- und Verfassungsrecht in Einklang stehen. Wer anderes behauptet, wie nach Zeitungsberichten etwa der Bundeskanzler mit dem Hinweis, man werde "keine Juristerei betreiben", redet einem Abschied vom Rechtsstaat das Wort.

***

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Bundesaußenminister,

die IALANA fordert die Bundesregierung auf, in der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Einholung eines Rechtsgutachtens des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zur Rechtmäßigkeit eines Krieges gegen den Irak zu beantragen. Art. 96 Abs. 1 der UN-Charta sieht ein solches Vorgehen ausdrücklich vor.

Durch dieses Vorgehen würde eine Entscheidung getroffen über die von einigen Staaten behauptete Rechtmäßigkeit eines Präventivkrieges sowie des Einsatzes militärischer Gewalt, ohne eine diesen Einsatz ausdrücklich gestattende Resolution des UN-Sicherheitsrates.

Mit einem solchen Rechtsgutachten würde die Bundesregierung auch eine Antwort auf die Frage erhalten, welche rechtlichen Bewertungen sie bei einer Entscheidung über eine indirekten Unterstützung eines Irakkrieges, z. B. durch Genehmigung von Überflugrechten, zugrundelegen muss.

Angesichts der sich aus Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes und § 80 des Strafgesetzbuches ergebenden drastischen Folgen einer Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges (Mindestfreiheitsstrafe von 10 Jahren) sollte die Bundesregierung ein hohes Interesse an der Klärung dieser Frage haben.

Ein Entwurf für einen entsprechenden Beschluss des Sicherheitsrats ist nachfolgend in deutscher und englischer Sprache dargestellt.

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Philipp Boos
- Rechtsanwalt -
Geschäftsführer IALANA

***

Beschlussvorlage für die Generalversammlung

Die Generalversammlung,

feststellend, dass Artikel 96 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen die Generalversammlung zur Einholung eines Rechtsgutachtens des Internationalen Gerichtshofs über jede Rechtsfrage ermächtigt,

in Erinnerung rufend, dass der Generalsekretär in seinem Report "Agenda for Peace" empfohlen hat, dass die für die Einholung von Rechtsgutachten kompetenten Organe der Vereinten Nationen von der Anrufung des Gerichtshofs häufiger Gebrauch machen sollten,

zur Kenntnis nehmend, das bestimmte Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen eine neue Theorie eines Präventivkrieges vertreten, der rechtmäßig gegen andere Staaten eingesetzt werden könne, welche weder Gewalt eingesetzt haben noch mit dem Einsatz von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates drohen,

zur Kenntnis nehmend, dass bestimmte Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen kurz davor stehen, militärische Gewalt gegen einen anderen Mitgliedsstaat einzusetzen, ohne dass eine Entscheidung des Sicherheitsrats vorliegt, dass die bisher eingesetzten und vom Sicherheitsrat autorisierten friedlichen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, um die Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit herbeizuführen,

beschließt gemäß Artikel 96, Absatz 1 der Charta der Vereinten Nationen, vom Internationalen Gerichtshof, umgehend ein Rechtsgutachten über die folgende Rechtsfrage einzuholen:

Sind einzelne Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen berechtigt, militärische Gewalt gegen einen anderen Mitgliedsstaat einzusetzen, wenn

a) sie die Rechtmäßigkeit auf die Befürchtung gründen, dass dieser Staat zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft unmittelbar oder mittelbar Massenvernichtungswaffen gegen einen anderen Staat einsetzten wird, oder

b) aufgrund ihrer eigenen, nicht vom Sicherheitsrat bestätigten Feststellung, die bisherigen vom Sicherheitsrat autorisierten Maßnahmen gegen den betreffenden Staat zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit unzulänglich seien würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben?

Englischsprachige Beschlussvorlage für die Generalversammlung:

The General Assembly,

Noting that Article 96, paragraph 1 of the Charter of the United Nations empowers the General Assembly to request the International Court of Justice to give an advisory opinion on any legal subject,

Recalling that in his report entitled "Agenda for Peace" the Secretary-General recommended that United Nations organs competent to seek advisory opinions should turn to the Court more frequently for such opinions,

Observing that certain States members of the United Nations are propounding a novel theory of preemptive war which may legally be waged against countries which have neither used nor are threatening to use force against the territorial integrity or political independence of another State,

Noting that certain States members of the United Nations are about to use force against another member State absent a decision by the Security Council that the measures not involving the use of force previously authorized by the Security Council would be inadequate or have proved inadequate to maintain or restore international peace and security,

Decides, pursuant to Article 96, paragraph 1, of the Charter of the United Nations, to request the International Court of Justice to render, on an extremely urgent basis, its advisory opinion on the following question:

Are individual member States of the United Nations legally entitled to use force against another member State, basing their claim to legality on the fear that such State may, at some undetermined time in the future, use, directly or indirectly, weapons of mass destruction against another State, or on their own determination, unsupported by the Security Council, that measures previously authorized by the Council against the State in question would be inadequate or have proved to be inadequate to maintain or restore international peace and security?


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