Die Aggressionspolitik der USA im Nahen Osten
Bomben auf Irak: "Routine" - Von Klaus Heidegger*
Die Tatsache, dass US-amerikanische Kampfflugzeuge Bomben auf
Ziele im Irak feuern, ist nicht neu. Das wiederholte sich seit dem
Golfkrieg 1990/91 in regelmäßigen Abständen. Der eben installierte
US-Präsident nannte bezeichnenderweise die Bomben des 16. Feber
2001 eine „Routineaktion“.
Man könnte also aus den Archiven der Friedenszeitungen Dutzende Artikel
neu auflegen. Sie würden zum Winter 2001 genauso passen wie zum Herbst
1998 usw. Auch in der Clinton-Administration gab es phasenweise dichte
Bombardements. Das Grundmuster bleibt gleich. Ohne Information des
UN-Sicherheitsrates und nachfolgende Legitimation geschehen diese Angriffe.
Die Grundlagen des Völkerrechts werden kaltschnäuzig ignoriert. Die von
Bush propagierte Begründung, man müsste die Sicherheit in den
„Flugverbotszonen“ durchsetzen, hat weiterhin keinen Rückhalt auf
völkerrechtlicher Ebene, denn: Die Zonen hatten die USA und ihre
Verbündeten nach dem Golfkrieg ohne Zustimmung des Weltsicherheitsrates
definiert. Die geostrategischen Hintergründe sind allemal dieselben: Die USA
brauchen für ihre Weltherrschaft - insbesondere in der Frage der Ölressourcen
- die Kontrolle im Nahen Osten. Die Kriegsindustrie - wiederum dominiert von
amerikanischen Rüstungskonzernen - hat ein bleibendes Interesse, dass mit
militärischen Aktivitäten der Profit stimmt. Je gefährlicher die Weltlage, desto
mehr Rüstungsgüter werden eingekauft. Bush steht im Sold der
amerikanischen Rüstungsgiganten. Schließlich war sein Wahlkampf einer der
teuersten.
US-amerikanische Doppelmoral
Über die US-amerikanische Doppelmoral in ihrem Vorgehen gegenüber dem
Irak wurde ebenfalls bereits viel Druckertinte verwendet: Jener Staat, der das
größte Potenzial an Massenvernichtungswaffen besitzt, der bis zum heutigen
Tag ständig den atomaren Abrüstungs- und
Rüstungsbeschränkungsvereinbarungen - wie dem Umfassenden
Teststoppvertrag (CTB) oder dem Nichtverbreitungsvertrag (NPT) - Hindernisse
in den Weg legt, gerade jener Staat wirft dem Irak vor,
Massenvernichtungswaffenprogramme zu verfolgen. Kurzum: Wer so viel
Dreck am Stecken hat, erweist sich mehr als unglaubwürdig. Hinzu kommt,
dass Ex-Verteidigungsminister William Cohen in einem Briefing für den neuen
US-Präsidenten George W. Bush erklärt hatte, er sei der Meinung, dass der
Irak heute gegenüber den Nachbarländern keine Gefahr mehr darstelle.
Bush Jr. setzt fort, was Bush Sen. vor genau 10 Jahren vollzog. In den 42
Jänner- und Februartagen des Jahres 1991 waren es 110.000 Luftangriffe und
an die 90.000 Tonnen Bomben, die die wirtschaftlichen Lebensgrundlagen des
Irak systematisch vernichteten. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Herrschaft der Golfkriegs-„Veteranen“
Neu ist seit dem Amtsantritt von George W. Bush erstens die Unverfrorenheit,
mit der dies geschieht. Das republikanische Kabinett scheint jegliche
Hemmungen verloren zu haben. Jede der Aktionen erinnert an primitive
Hollywood-Filme mit dem ewiggleichen Schema von gut/böse. Jeder der
sicherheitspolitischen Schritte von Präsident Bush folgt einer klaren Logik,
passt wie ein Puzzlestück zum anderen. Zuerst umgibt sich der neue
Präsident mit altbekannten Kriegsherren. Die sicherheitspolitischen
Schlüsselressorts wurden mit politischen und militärischen „Veteranen“ des
Golfkrieges 91 besetzt. Colin Powell ist heute Außenminister und war damals
führender General im Golfkrieg. Heute kann er in neuer Funktion die
Kriegsgeschichte von damals weiterführen. Es kann jemanden mit Grauen
erfüllen, wie das Außenministerium der USA von den Militärs in die Hand
genommen wurde. Dick Cheney, heute US-Vizepräsident, war zur Zeit des
Golfkrieges „Verteidigungs“-Minister. Hat auch er eine alte Rechnung mit
Saddam Hussein zu begleichen?
Eskalation in Israel/Palästina
Neu ist zweitens, dass die Bomben im Februar 2001 auf die Vorstädte von
Bagdad in eine Zeit fallen, in der die kriegerische Eskalation in
Israel/Palästina einen unvergleichbaren Höchststand und mit dem Amtsantritt
von Ariel Sharon eine katastrophale Dynamik eingenommen hat. Die direkten
und miteinander verwobenen Beziehungen sind offensichtlich und werden nicht
einmal verheimlicht. Gleichzeitig mit den Bomben auf den Irak beschließt die
USA, die Militärhilfe für den Staat Israel zu erhöhen, liefert neue
Patriot-Raketen und das Sharon-Kabinett treibt die Palästinenser durch eine
brutale Politik mehr und mehr in die Verzweiflung, in der Gewalt als einziger
Ausweg mehr erscheint.
Legitimation für Aufrüstung
Neu ist drittens, dass Bush getreu seiner militärischen Logik die
Aggressionspolitik nach außen mit einer destabilisierenden militärischen
Aufrüstung im eigenen Land verbindet. Deutlichstes Zeichen ist der Aufbau der
nationalen Raketenabwehr (NMD). Je böser die „Schurkenstaaten“
erscheinen, desto besser kann Bush mit seinem republikanischen Team das
milliardenteure NMD-Rüstungsprojekt gegenüber der amerikanischen
Öffentlichkeit durchsetzen. Bush perfektioniert die bekannte
„Schurkenstaaten“-Doktrin und verwirklicht die eitlen „Star-Wars-Programme“
seiner republikanischen Vorgänger. So macht das Zündeln im Nahen Osten
durchaus seinen perversen Sinn.
Konsequenzen
Wer den Preis einer derartigen US-Außen- und Militärpolitik bedenkt, müsste
ganz laut aufschreien. Bomben auf den Irak bedeuten:
-
Eine gravierende Verschlechterung der Beziehungen zwischen den
„westlichen“ Staaten Europas und Nordamerikas, NATO und EU einerseits
und den islamisch geprägten Staaten im Nahen und Mittleren Osten
andererseits. Fortschritte der letzten Jahre werden durch die Bombenpolitik
der USA zunichte gemacht. Islamische und islamistische Regierungen und
Organisationen im arabischen Raum erfahren den Westen als reale
Bedrohung. Ein gegenseitiges Aufschaukeln im Wettrüsten ist die Folge. Was
den Irak betrifft, hatte es gerade in jüngster Zeit bedeutsame Fortschritte der
Versöhnung gegeben. Die Sanktionspolitik des Westens gegenüber dem Irak
funktionierte in vielen Bereichen nicht mehr. Es scheint, dass das Timing der
neuen US-britischen Angriffe bewusst gewählt wurde, um die
Friedensprozesse zu desavouieren.
-
Die Auswirkungen der Bombardements gehen weit über das Verhältnis
USA-Irak hinaus. Die Verletzung des ABM-Vertrages durch NMD führt zu
Aufrüstungserscheinungen bei den anderen Atommächten - insbesondere
China und Indien.
-
Die Bomben von Bush setzen eine negative Kettenreaktion in Gang. Den
Preis zahlen unmittelbar überall die Armen und Schwachen: Die Palästinenser
in den Flüchtlingslagern und in den von Israel weiterhin besetzten Gebieten,
für die mit Bush und Sharon die greifbare Hoffnung auf Frieden erneut
zerschlagen wurde. Die Palästinenser fühlen sich seit den Golfkriegs-tagen in
besonderer Weise mit dem Schicksal von Saddam Hussein verbunden. Bush
treibt sie mit seinen Bomben in eine weitere Radikalisierung. Den Preis zahlt
das 23-Millionen-Volk der Irakis, wo vor allem Kinder und Jugendliche aufgrund
der fortdauernden Sanktionspolitik jährlich zu Zehntausenden sterben. Den
Preis zahlen die Armen in den USA - insbesonders unter den Farbigen - weil
die staatlichen Gelder für Rüstungsprogramme statt für soziale Programme
verwendet werden. Den Preis zahlen die Verarmten in den
Entwicklungsländern insgesamt. In vielen dieser Staaten verschlingt der
Rüstungshaushalt jene Gelder, die für Entwicklungsprogramme dringendst
notwendig wären.
Kaum Empörung
Doch kaum ist Empörung wahrzunehmen. Die Weltgemeinschaft scheint sich
an das wütende Tun des selbsternannten Weltpolizisten gewöhnt zu haben
oder verharrt in ohnmächtiger Apathie. Die Partner der USA - allen voran
Joschka Fischer - geben sich bündnis-NATO-treu. Die Zivilgesellschaft findet
keinen Ansatzpunkt für eine breite Protestbewegung. Die Bedeutung für das
kleine Österreich liegt auf der Hand. Wer auf kriegerischem Wege die Welt
regieren will, kann nie und nimmer sicherheitspolitischer Partner sein. Eine
NATO-Mitgliedschaft brächte die Verstrickung in den Krieg mit sich. Dagegen
böte der Status der Neutralität gerade jetzt Chancen, im Konfliktfeld
Irak/Palästina - USA vermittelnd einzugreifen.
* Dr. Klaus Heidegger ist von Pax Christi Tirol und Aktivist der
Neutralitätsbewegung
Aus: Guernica, Zeitung der Friedenswerkstatt Linz, 1/2001
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