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Jahr der Beruhigung in Irak?

Der Ökonom Khair El-din Haseeb über seine Erwartungen *

Khair El-din Haseeb (79), ehemals Chef der Irakischen Zentralbank, leitet das Zentrum für Studien der Arabischen Einheit in Beirut.



ND: Glauben Sie, dass sich unter Barack Obama die USA-Politik in Irak ändern wird?

Khair El-din Haseeb: Es gibt interne Gründe der USA, die die Besatzungstruppen zwingen, Irak zu verlassen. Der neue Präsident hat bereits gesagt, dass er die Soldaten innerhalb von 16 Monaten zurückziehen will. Im übrigen: Wenn sich die USA als Demokratie bezeichnen, können sie die Ergebnisse verschiedener Umfragen nicht ignorieren. Die überwältigende Mehrheit der Iraker will, dass die Amerikaner abziehen. Und selbst eine Mehrheit der Amerikaner will, dass ihre Streitkräfte Irak verlassen.

Was ist das größere Problem für die USA-Regierung: die Lage in Irak oder der israelisch-palästinensische Konflikt?

Irak hat Priorität. Die Lösung des Palästinenserproblems wird viel Zeit brauchen, und die Obama-Regierung ist nicht in der Lage, eine faire Lösung dort vorzuschlagen. Wenn sich die USA-Truppen aber aus Irak zurückziehen, wenn es dort nach den Wahlen eine neue Regierung gibt, wird sich das Kräfteverhältnis in der Region ändern. Und das wird zu einer Lösung der Palästinafrage beitragen. Nicht sofort, aber auf lange Sicht. Es wird dazu beitragen, dass sich die arabischen Regime ändern, dass sie eine neue nationale und patriotische Politik entwickeln und ihre Karten ausspielen – das Öl und ihr Geld. Damit können sie durchaus Einfluss auf die USA und den Westen allgemein nehmen.

Westliche Medien und die USA-Regierung behaupten, die Sicherheitslage in Irak habe sich verbessert. Stimmt das?

Ja, die Situation hat sich beruhigt, allerdings nicht wegen der militärischen »Druckwelle«, von der die Amerikaner sprechen. In Bagdad gibt es 21 Bezirke, die durch Mauern voneinander getrennt sind. Die Leute können sie nur durch Tore verlassen oder betreten. Also gibt es weniger Störenfriede dort, aber mit Bewegungsfreiheit hat das nichts zu tun. Auch der Waffenstillstand der Gruppe von Muktada Sadr hat dazu beigetragen, dass es nicht mehr so viele Tote gibt. Andere Gruppen wurden von den USA schlicht »gekauft«, und die Waffen des Widerstands sind alt und funktionieren nicht mehr richtig. Das alles hat zur Beruhigung der Lage beigetragen. Aber die Zahl der Toten durch Anschläge ist immer noch sehr hoch.

Wer hat kürzlich die Christen in Mossul angegriffen?

Die Angriffe gingen vor allem von (kurdischen) Peschmerga aus. Ob sie von ihren Führern dazu angestachelt wurden oder im Auftrag anderer aktiv wurden, weiß ich nicht. Aber wegen der internationalen Reaktion auf diese Angriffe war die Regierung in Bagdad gezwungen, eine Armeedivision nach Mossul zu schicken. Daraufhin mussten sich die Peschmerga aus den vorwiegend von Christen bewohnten Stadtteilen zurückziehen.

Bagdad ist sehr bemüht, Flüchtlinge zurückzuholen. 195 Millionen US-Dollar wurden bereitgestellt, um Rückkehrern zu helfen.

Viele Leute können einfach nicht mehr in Syrien oder Jordanien bleiben, weil sie ihre ganzen Ersparnisse ausgegeben haben. Sie müssen zurückkehren, egal wie die Situation dort ist. Es ist die Pflicht dieser irakischen Regierung, diese Leute zu unterstützt. Schließlich ist ihre Politik dafür verantwortlich, dass diese Leute bedroht und vertrieben wurden. Nicht die UN oder Syrien oder Jordanien sind dafür verantwortlich, nein, die irakische Regierung ist verantwortlich. Und sie hat eine Menge Geld dank des hohen Ölpreises im vergangenen Jahr. Aber ich bin nicht sicher, ob sie alle Flüchtlinge wirklich zurück haben will. Denn die würden der Regierung bei der nächsten Wahl zeigen, was sie von ihr halten.

Fragen: Karin Leukefeld

* Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2009


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