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Nackte Aggression

Nötig sind jetzt eine neue Resolution und eine UN-Generalversammlung

Von Bernhard Graefrath

USA-Präsident George Bush hat nach seinem Ultimatum an den Irak einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ausgelöst. Dieser Krieg verletzt das Gewaltverbot des geltenden Völkerrechts. Er richtet sich nicht nur gegen den Irak. Er dient den USA auch dazu, das kollektive Sicher- heitssystem der UN endgültig auszuschalten. Die Weltmacht duldet keine gleichberechtigten Partner mehr. Sie akzeptiert nur gehorsame Gefolgschaft. Die Versuche, dieses Ziel auf dem Wege der Erpressung der UNO zu erreichen, sind gescheitert. Die UNO hat sich nicht zum Werkzeug der US-Politik machen lassen, obgleich sie lange Zeit bemüht war, eine Konfrontation mit den USA zu vermeiden und allzu schnell ihre Beobachter aus der demilitarisierten Zone zwischen Irak und Kuwait und die Inspekteure aus dem Irak angesichts der Kriegsdrohungen von Bush zurückgezogen hat. Schon mit der einstimmigen Annahme der Resolution 1441 waren die Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates bis an den Rand des Möglichen gegangen.

Präsident Bush behauptet, der Sicherheitsrat sei »seiner Verantwortung nicht gerecht geworden«. Richtig ist, die USA haben mit ihrer Kriegs- politik den Sicherheitsrat gestoppt, der Sicherheitsrat hat sich aber nicht vor den Karren der Bush-Administration spannen lassen. Es ist den USA nicht gelungen, diesen Krieg mit Hilfe eines Mandats durch eine neue Sicherheitsratsresolution legitimieren zu lassen. Darum aber ging es, denn auch die USA wissen nur zu genau, keine der zahl- reichen Irak-Resolutionen seit der Resolution 687 (1991) rechtfertigt den Einsatz militärischer Mittel gegen den Irak. Die gegenteiligen Behauptungen der Bush-Administration halten einer ernsthaften Nach- prüfung ebensowenig stand wie deren ständige Behauptung, daß der Irak eine Bedrohung für den Frieden in der Welt darstelle und im Besitz von Atomwaffen sei oder ein Atomwaffenprogramm betreibe.

Auch die Resolution 1441 rechtfertigt keinen Einsatz militärischer Mittel durch einzelne Mitgliedstaaten der UN. Sie führt zwar den Begriff »erhebliche Verletzungen« ein und droht im Falle der Fest- stellung solcher Verletzungen durch den Sicherheitsrat mit »ernst- haften Konsequenzen«. Aber auch diese müßten durch den Sicherheits- rat beschlossen werden. Es bleibt nicht einzelnen Mitgliedern des Sicherheitsrates überlassen zu entscheiden, welche Konsequenzen wann eintreten.

Der Erfolg des französischen Widerstands gegen den ursprünglichen amerikanischen Resolutionsentwurf bestand gerade darin, daß jeglicher Automatismus hinsichtlich der Feststellung »erheblicher Verletzungen« und der daran zu knüpfenden »ernsthaften Konsequenzen« ausgeschlossen wurde. Das wurde nach Annahme der Resolution durch viele Mitglieder des Sicherheitsrates ausdrücklich hervorgehoben. Auch findet sich in der Resolution keine Formel, die den Frieden von der Geduld des amerikanischen Präsidenten oder seiner Administration abhängig macht. Die einzige Konsequenz, die die Resolution für den Fall vorsieht, daß dem Sicherheitsrat eine Verletzung gemeldet wird, ist »sofort zusammenzutreten, um über die Situation und die Notwendigkeit der vollinhaltlichen Befolgung aller einschlägigen Ratsresolutionen zu beraten, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu sichern«. Also keinerlei Festlegung hinsichtlich der Konsequenzen einer möglichen Verletzung von Verpflichtungen durch den Irak. Die Berichte der Inspektoren haben unterstrichen, daß der Irak gemäß der Resolution 1441 im wesentlichen mit den Inspektoren zusam- mengearbeitet, ihre Tätigkeit nicht behindert hat und daß die Inspektoren keine Massenvernichtungswaffen oder Programme zu ihrer Herstellung gefunden haben. Bis unmittelbar vor dem amerikanischen Überfall hat der Irak auf Geheiß der UNO noch seine Raketen zerstört. Alle Propaganda kann nunmehr die nackte Aggression der USA im Nahen Osten nicht mehr vertuschen.

Das bleibt ein Erfolg für das geltende Völkerrechtssystem, auch wenn es nicht gelungen ist, den Bush-Krieg zu verhindern. Dieser Erfolg wurde möglich durch die Koordination des weltweiten Widerstands der Völker mit der konsequenten Haltung der Mehrheit der Staaten im Sicherheitsrat. Die Resolution 1441 - von den USA als Feigenblatt für den Bush-Krieg gedacht - hat sich als Hindernis erwiesen, das wichtige Zeit für die Formierung des weltweiten Widerstands brachte.

Jetzt kommt es darauf an, nicht wie hypnotisiert auf die High-Tech- Bomben-Berichte zu starren. Gerade diese Manipulation wird zur Zeit von den tonangebenden Medien im Interesse der USA betrieben. Noch haben die Völker und die friedliebenden Staaten in der UNO diploma- tische Möglichkeiten, den Bush-Kriegern in den Arm zu fallen und das Abschlachten wehrloser Menschen mit hochtechnisierten Waffen zu stoppen.

Eine Gruppe von Staaten im Sicherheitsrat könnte eine Resolution vorlegen, die die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen und den Abzug aller fremden Truppen aus Irak fordert, die Fortschritte bei der Umsetzung der Resolution 1441 würdigt, beschreibt, welche Schwerpunkte noch bleiben und eine gezielte Fortsetzung der Inspek- tionen im Irak und einen schnellen Abbau der Sanktionen vorsieht. Sie könnte zugleich bekräftigen, daß nach der UN-Charta einseitige militärische Aktionen völkerrechtswidrig sind, eine Verletzung des Gewaltverbots des Artikel 2 Absatz 4 darstellen und die volle Verantwortlichkeit der Staaten begründen, die solche Aktionen aus- gelöst haben. Ein derartiger Resolutionsentwurf würde den deutlich geäußerten Willen der Völker für eine friedliche Lösung der Probleme im Nahen Osten wiedergeben. Die Resolution sollte deshalb auch die Formeln aus den Resolutionen 687 und 1284 wieder aufnehmen, wonach die Existenz von Massenvernichtungswaffen den Frieden im Nahen Osten gefährdet und die Schaffung einer von Massenvernichtungswaffen freien Zone für den Frieden im Nahen Osten nützlich wäre. Auch wenn eine solche Resolution durch ein Veto der USA im Sicherheitsrat gestoppt werden kann, wäre es nützlich, sie einzubringen. Sie würde Kräfte für eine konstruktive Friedenspolitik mobilisieren und die Völker- rechtswidrigkeit des Bush-Krieges offenlegen. Sie würde die Potenzen des geltenden Völkerrechts unterstreichen und beweisen, daß die UNO als Friedensorganisation der Völker nicht ausgeschaltet ist und sich auch weiterhin nicht zum Gehilfen der USA-Politik degradieren läßt.

Für den Fall, daß eine solche Resolution scheitert, können immer noch neun Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates oder eine Mehrheit von UN-Mitgliedstaaten die Einberufung einer Sondertagung der UN- Generalversammlung verlangen, um dem Krieg gegen den Irak entgegen- zutreten. Zwar hätte eine Resolution der Generalversammlung nur empfehlenden Charakter, ihre politische Bedeutung aber wäre offen- kundig. Bereits die Einberufung einer Sondertagung mit dieser Thematik wäre eine politische Demonstration. Eine ausführliche Debatte im Plenum, die allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, ihre Position darzulegen, hätte beträchtliches internationales Gewicht.

Auf keinen Fall darf sich die UNO angesichts des Bush-Krieges wie nach dem Kosovo- und Afghanistan-Krieg von den USA in die Rolle des Krankenpflegers und Friedhofswärters drängen und als Sachwalter für den Wiederaufbau der von den USA hinterlassenen Trümmerland- schaft einsetzen lassen. Zwar soll den Opfern geholfen werden, aber das ändert nichts an der Verantwortlichkeit der Täter. Die Mißachtung des Gewaltverbots bleibt ein zu verfolgendes Delikt, auch wenn es einige Zeit dauert. Die UNO wird ihre Bedeutung für die friedliche Zusammenarbeit der Völker so lange behalten, wie sie sich mit den ihr zur Verfügung stehenden Kräften dem Angriffskrieg widersetzt und sich nicht für eine imperialistische Politik mißbrauchen läßt.


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