Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Irak, der Golfkrieg und der Nahe Osten

Ein Krieg, der die Weltpolitik, aber nicht den Nahen Osten veränderte

Die Wochenzeitung "Freitag" erinnerte mit ihrer Ausgabe vom 4. August an die zehn Jahre zurückliegende Invasion des Irak in Kuwait, die den Zweiten Golfkrieg auslösen sollte. Die Invasion der USA und ihrer "Alliierten" veränderte schlagartig die Bühne der Internationalen Politik. Die USA begannen ihr Verständnis von einer "Neuen Weltordnung" durchzusetzen. Das neue Paradigma der US-dominierten Weltpolitik heißt seither "Interventionismus". Der nachfolgende Beitrag von Torsten Wöhlert beleuchtet die damaligen Ereignisse und fragt nach den bleibenden Ergebnissen für den Nahen Osten.

Nach dem Waffengang am Golf gerieten starre Fronten in Bewegung.
Jetzt droht erneut Stillstand

Von Torsten Wöhlert

Der zweite Golfkrieg begann wie der erste - mit einer irakischen Invasion. 1980 versuchte Saddam Hussein, die Revolutionswirren in Iran auszunutzen, um einen alten Grenzstreit für sich zu entscheiden. Der verlustreiche Waffengang dauerte acht Jahre und warf beide Länder in ihrer Entwicklung um Dekaden zurück.

Schon bei diesem Krieg verdienten alle kräftig mit, in Ost wie in West. An dem Exportwahn hat sich wenig geändert. Die Golfregion zählt nach wie vor zu den gefragtesten Märkten für Rüstungsgüter aus aller Welt. Neu ist jedoch, die gewachsene Fähigkeit einiger Staaten, atomare, biologische und chemische Massenvernichtungswaffen in eigener Regie zu produzieren. Wie weit fortgeschritten das irakische ABC-Programm war, erschloss sich den UN-Inspektoren erst nach dem Krieg.

Das provoziert die Frage: Wie bedrohlich wäre Bagdad heute, wenn sich Saddam Hussein 1990/91 rechtzeitig aus Kuwait zurückgezogen hätte? War der Golfkrieg nicht doch ein zu rechtfertigender Abrüstungskrieg? Oder: Gehört diese gewaltsame Abrüstung Iraks nicht wenigstens auf die Haben-Seite einer zehnjährigen Kriegsbilanz?

Die Vorstellung, Diktatoren vom Schlage Saddam Husseins könnten über derartiges Teufelszeug verfügen und besäßen obendrein noch die Fähigkeit, es über lange Distanzen ans Ziel bringen zu lassen, zählt zu den Schreckensszenarien des 21. Jahrhunderts. Dieser Gefahr zu begegnen, ist ein sicherheitspolitischer Imperativ. Aber nicht durch gewaltsame Abrüstung, wie im Falle Iraks oder durch obskure Raketenabwehrsysteme, die erstens keinen wirklichen Schutz bieten und zweitens weltweit neue Rüstungswettläufe in Gang setzen werden.

Nein, die Schurken an den Machthebeln dieser Welt sind nur politisch abzurüsten: Mit einem strengen Exportkontrollsystem, das in erster Linie politischen Willen bei den Exporteuren voraussetzt, auf Gewinn zu verzichten; mit gutem Beispiel, das den x-fachen atomaren Overkill der ständigen Sicherheitsratsmitglieder ernsthaft zur Disposition stellt - und nicht nur als vage Absicht auf dem Papier belässt; und mit einer Diplomatie, die diesen Namen verdient.

Von dieser Diplomatie aber hat uns der Golfkrieg um Meilen entfernt. Nährte er doch vor allem in den USA die Illusion, als einzig verbliebene Supermacht jene Kunst des Kompromisses nicht mehr zu benötigen, die der Welt in den vierzig Jahren zuvor einen atomaren Schlagabtausch erspart hat. Nachdem die Waffen am Golf schwiegen, versprach die neue Pax Americana vor allem eins: Stabilität nach den Regeln Washingtons.

An die hat sich Irak bis heute nicht gehalten. Mit dem Ergebnis, dass die Sanktionsschraube der vergangenen zehn Jahre das Land an den Rand des Kollaps brachte. Hans von Sponeck, der aus Protest gegen das Sanktionsregime zurückgetretene UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, verwies vor wenigen Wochen im Freitag (24. 3. 2000) nicht nur auf die verheerenden materiellen Folgen des Embargos. Ihm ging es auch um moralische, geistige und soziale »Kollateralschäden« an der heranwachsenden Generation in Irak. Hier wird eine ganze Gesellschaft auf lange Zeit so deformiert, dass die nächsten Saddams nahezu programmiert sind. Das UN-Embargo kommt einem permanenten Krieg gegen die irakische Zivilbevölkerung gleich. Es ist unmoralisch und politisch kontraproduktiv. Denn: Die Herrschenden in Irak ficht der Boykott nicht an. Im Gegenteil.

Nachdem Washington Saddam Hussein aus regionalpolitischem Kalkül an der Macht ließ, sitzt seine Clique zehn Jahre nach der Invasion immer noch fest im Sattel. Das haben auch die Nachbarn zur Kenntnis nehmen müssen und sind dabei, ihre Fühler gen Bagdad auszustrecken. Man ist bereit, sich wieder zu arrangieren. Und stellt fest, dass sich wenig geändert hat. Saddams Herrschaft ist brutal. Die Regimes der benachbarten Ölscheichs sind aber auch kein Hort von Menschenrechten und Demokratie. Nur, dass es für die Verbündeten der Pax Americana deshalb weder Schelte noch Bomben gibt.

Nach dem Golfkrieg ließ die Bush-Administration verlauten, Washington wolle auch in den Ölmonarchien auf Reformen drängen. Das war kein Altruismus, sondern kluge Einsicht in die unsichere Basis, auf der diese Regimes fußen. Solange die Petrodollar reichlich flossen, ließen sich soziale Sprengsätze relativ leicht entschärfen. Diese Zeiten aber sind vorbei. Selbst ein so reiches Land wie Saudiarabien kämpft mit Haushaltsdefiziten, wenn der Ölpreis in den Keller rutscht. Dabei wissen die monarchischen Rentiers seit Jahren, wie dringend sie das Schwarze Gold in eine zukunftsträchtige Währung umwandeln, sprich: ihre wirtschaftliche Basis verbreitern müssen.

Das aber hieße, eine moderne Mittelklasse zu fördern, die - über kurz oder lang - auch die politischen Verhältnisse in den Scheichtümern in Frage stellen dürfte. Genau davor aber haben die traditionellen Öleliten am Golf Angst. Um so unverständlicher sind die zögerlichen Reaktionen des Westens, und hier vor allem der USA, auf die rasanten Veränderungen in Iran. Die Islamische Republik ist weit davon entfernt, ein demokratisches Vorbild zu sein. Und doch haben Teherans Reformer in den letzten Jahren individuelle und politische Freiräume erstritten, die in den Golfmonarchien ihresgleichen suchen. Von Irak ganz zu schweigen. Geht dieser Prozess weiter, kann Iran durchaus zum Stabilitätsanker in der Golfregion werden.

Der Schlüssel dafür liegt jedoch in Palästina. Saddam Hussein hatte das 1990/91 auf zynische Weise erkannt und sich als Verteidiger der arabischen Sache im Konflikt um das Heilige Land aufgespielt. Letztlich vergebens, weil die arabischen Eliten über diese Brücke nicht gehen wollten. Auf der Straße jedoch verfehlte Saddams Schachzug seine beabsichtigte solidarisierende Wirkung nicht. Zu deutlich war die Kluft zwischen der Vehemenz, mit der Washington daran ging, einen arabischen Aggressor abzustrafen und dem wohlwollenden Verhalten gegenüber der seit Jahrzehnten anhaltenden Okkupation palästinensischen Territoriums durch Israel.

So gesehen, war die im Herbst 1991 eröffnete Madrider Friedenskonferenz, zu der sich auf starken amerikanischen Druck hin auch Israel einfand, der Preis, den die USA für ihr kriegerisches Engagement am Golf zahlen mussten - und wollten. Verhandelt wurde und wird auf zwei Ebenen - bilateral zwischen Israel und seinen Nachbarn und multilateral im größeren regionalen Kontext über fünf Themenkomplexe: Rüstungskontrolle und Sicherheit, Flüchtlinge, Wasser, wirtschaftliche Entwicklung und Umweltfragen.

Dahinter stand eine Doppelstrategie, die im besten Fall eine gegenseitige Befruchtung beider Verhandlungsstränge versprach. Davon ist jedoch wenig zu merken. Nach dem Osloer Abkommen zwischen Israel und der PLO, 1993, dem Friedensschluss mit Jordanien, 1994, und den palästinensisch-israelischen Folgevereinbarungen gab es auch auf der multilateralen Ebene Bewegung. Seitdem jedoch die Verhandlungen Israels mit Syrien und den Palästinensern auf der Stelle treten, bewegt sich auch multilateral nur noch sehr wenig.

Ein erfolgreicher Gipfel in Camp David hätte diese Starre aufbrechen können. So aber verhärten sich die Fronten. Dass dies an der Jerusalem-Frage exemplarisch wird, unterstreicht einmal mehr, wie eng bilaterale Verhandlungsspielräume sind, je dichter es an den den Kern des Nahostkonfliktes geht. Selbst wenn Arafat wollte: Ohne den »Segen« der arabischen »Brüder« bleibt jeder Kompromiss in Sachen Jerusalem Makulatur. Diktatoren vom Schlage Saddam Husseins wissen diese Symbolik für sich zu nutzen. Das hat 1990/91 gefährlich Wirkung gezeigt. Und es wird wieder funktionieren, wenn der palästinensisch-israelische Konflikt ums Heilige Land weiter ungelöst bleibt.


Aus: Freitag, 4. August 2000

Zurück zur Irak-Seite

Zurück zur Seite "Regionen"

Zurück zur Homepage