Die USA im Krieg
Von Eduardo Galeano
Den folgenden Beitrag hat Eduardo Galeano ("Die offenen Adern Lateinamerikas") im Dezember 2002 geschrieben. Wir dokumentieren ihn in einer deutschen Übersetzung. Zuvor hatten ehrenamtliche Übersetzer/innen des coorditrad@attac.org den Text ins Englischen übertragen.
Zeiten der Angst
Die Welt lebt in einem Zustand des permanenten Terrors - aber der
Terror verbirgt sein Gesicht. Manche behaupten, Saddam Hussein
stecke dahinter, er habe es satt, Feind Nr. 1 zu sein, andere führen
den Schrecken auf Osama bin Laden zurück, jenem professionellen
Handlungsreisenden in Sachen Angst. In Wirklichkeit steckt hinter
der globalen Panik etwas, was sich 'der Markt' nennt. Und mit
'Markt' ist keineswegs der freundliche Tante-Emma-Laden an der Ecke
gemeint, wo man sein Gemüse u. Obst kauft. Vielmehr hat dieser Markt
kein Gesicht, er ist ein allmächtiger, omnipräsenter Terrorist, der
sich aufführt, als wäre er Gott, und weil er meint, er ist Gott,
glaubt er auch, es gäbe ihn ewig. Die Schar seiner Jünger schreit:
"Vorsicht, der Markt ist nervös" u. warnt: "macht ja den Markt nicht
böse". Das Sündenregister des Markts läßt viele vor Angst erzittern.
Seine ganze Existenz scheint der Markt damit verbracht zu haben,
Leuten die Nahrung zu rauben u. Jobs kaputtzumachen; er hat ganze
Staaten als Geißeln genommen u. Kriege angezettelt. Um sein Produkt,
den 'Krieg', an den Mann zu bringen, muss der Markt Angst streuen.
Angst erzeugt noch mehr Angst. Tag für Tag sieht man die Zwillings-
türme von New York erneut auf den TV-Bildschirmen kollabieren. Oder
was ist mit der Bedrohung durch Anthrax? Einerseits hat die offizielle
Ermittlungskommission nichts oder sogut wie nichts über jene tödlichen
Briefe herausgefunden, gleichzeitig steigen die Militärausgaben, die
Rüstungsschulden, der USA, in geradezu spektakulärer Weise. Die Unsum-
men, die dieser Staat in seine Kriegsmaschinerie investiert, machen
uns staunen. Die Summen, die hier in anderthalb Monaten ausgegeben
werden, würden ausreichen, die ganze Welt zu ernähren - glaubt man den
Zahlen der UN. Gibt der Markt das Startsignal, so schnellt der Zeiger
auf der Angstskala in den 'roten Bereich', u. alle Ängste scheinen
sich zu bewahrheiten. Kriege töten im Namen der Prävention, im Namen
des Zweifels - Beweise sind unerheblich. Jetzt ist eben der Irak an
der Reihe - u. wird erneut verurteilt. Eine einfache Rechnung: der
Irak besitzt die zweitgrößten Erdöl-Reserven der Welt. Damit ist er
im Besitz dessen, was der Markt so nötig braucht, um den Benzin-Bedarf
einer verschwenderischen Konsum-Gesellschaft zu decken.
Spieglein, Spieglein an der Wand - wer ist der Schrecklichste im
ganzen Land?
Die Weltmächte monopolisieren das Recht auf Massenvernichtungswaffen,
so, als wäre es ihr natürliches Recht. Zur Zeit der Eroberung (des
Kontinents) Amerika, als der globale Markt gerade erst am Enstehen
war, starben wesentlich mehr Eingeborene durch Pocken u. Grippeviren,
als durch Gewehrfeuer u. Schwert. Die europäischen Erobererer ver-
danken den Sieg ihrer Invasion daher nicht zuletzt Viren u. Bazillen.
Einige Jahrhunderte später stellen diese natürlichen Verbündeten
erneut eine Zerstörungswaffe in den Händen der Weltmächte dar. Eine
Hand voll Länder kontrolliert das Bio-Arsenal der ganzen Welt. Nur
wenige Jahrzehnte ist es her, da gestatteten die USA Saddam Hussein,
die Kurden mit Bio-Waffen zu bekämpfen. Damals war eben Saddam der
Liebling der westlichen Welt, u. die Kurden konnte niemand leiden.
Diese Waffen wurden übrigens Mithilfe von Lieferungen einer Firma
aus Rockville/Maryland, USA, produziert.
Der Markt ruft nach Liberalisierung - nicht nur in militärischer
sondern in jeglicher Hinsicht. Allerdings gilt diese Liberalisierung
nicht für jedermann. Die Arsenale befinden sich in den Händen einiger
weniger - u. das im Namen der Weltsicherheit. Saddam Hussein erschreckt
die Menschen, die Welt hat Angst. Eines der schlimmsten Bedrohungs-
szenarien: Irak könnte bakteriologische Waffen zum Einsatz bringen oder
noch schlimmer, er könnte im Besitz von Atomwaffen sein. Ausgerechnet
der Präsident jenes einzigen Landes der Welt, das je Atomwaffen gegen
Zivilisten einsetzte, erklärt uns nun, die Menschheit könne diese
(irakische) Bedrohung nicht länger hinnehmen. War es etwa der Irak,
der in Hiroshima u. Nagasaki alte Menschen, Frauen u. Kinder tötete?
Sehen Sie sich das neue Jahrtausend doch nur an: ganze Populationen
müssen fürchten, morgen nichts mehr zu essen zu haben oder kein Dach
über dem Kopf. Menschen wissen nicht mehr, was mit ihnen passiert,
wenn sie krank werden oder einen Unfall erleiden. Ganze Populationen
von Menschen fragen sich, werde ich morgen überhaupt noch Arbeit haben?
Und wenn ja, wird man mich dann zwingen, doppelt soviel zu arbeiten?
Wird meine Rente von den Schwankungen der Börse bzw. vom Inflations-
teufel aufgefressen? Stadtbewohner fürchten sich vor neuen Angriffen
in der Zukunft bzw. davor, an der nächsten Straßenecke ausgeraubt zu
werden. Wird man in meine Wohnung einbrechen u. mir die Gurgel durch-
schneiden? Die Landbevölkerung fragt sich, wielange können wir unser
Land noch halten? Die Fischer fragen sich, ob sie in Zukunft wohl noch
unverseuchte Flüsse u. Meere vorfinden werden. Einzelpersonen wie ganze
Staaten wissen nicht mehr, wie sie ihre Schulden bezahlen sollen -
zumal diese durch Wucherer in Zukunft noch mehr hochgeschraubt werden.
Steckt hinter alledem etwa Al-Kaida?
Die Wirtschaft tötet, ohne dass man davon in der Zeitung liest. So
sterben beispielsweise weltweit jede Minute 12 Kinder an Hunger. Die
Terrororganisation, die unsere Welt konstituiert (beschützt durch
militärische Gewalt), läßt 1 Milliarde Menschen an chronischem Hunger
leiden, während gleichzeitig 600.000 Menschen übergewichtig sind.
Die Wirtschaft brummt, aber der Lebensstandard sinkt. Die Staaten
Ecuador u. El Salvador haben den Dollar als Landeswährung eingeführt.
Jetzt flieht die Bevölkerung. Nie haben diese Länder soviel Elend,
soviel Emigration, gesehen. Dieser Export an Menschenmaterial ins
Ausland, er erzeugt Trauer, Unruhe u. Gräben. 2001 schickten alle
ecuadorianischen Arbeitsemigranten zusammen mehr Geld in ihre Heimat,
als Ecuadors Gesamteinnahmen aus Bananen-, Shrimps-, Thunfisch-,
Kaffee- u. Kakaoexport betrugen. Uruguay u. Argentinien verlieren
ihre jungen Männer. Arbeitsemigranten (deren Großeltern ja einstmals
in diese Länder eingewandert sind) hinterlassen zerstörte Familien,
während sie selbst die schmerzenden Erinnerungen verdrängen müssen:
"Doktor, meine Seele blutet. Welches Krankenhaus kann mich heilen?"
In Argentinien gibt es eine Fernsehshow, in der der Hauptpreis
in einem Job besteht. Die Kandidatenschlange ist endlos. Die Show
sucht die entsprechenden Kandidaten aus, u. die Zuschauer stimmen ab.
Es gewinnt derjenige mit dem tränenreichsten Auftritt, weil er das
Publikum zum weinen bringt. Sony Pictures verkauft diese erfolgreiche
Show jetzt schon weltweit. Was wird das für ein Job sein? Egal. Wie
wird er bezahlt? Laß dich überraschen.
Die Verzweiflung der Arbeitslosen bzw. die Angst, den Job zu verlieren,
bringt die Menschen dazu, selbst Inakzeptables zu akzeptieren. Auf
diese Weise konnte sich weltweit das 'Modell WalMart' etablieren.
Dieser US-Top-Konzern verbietet Gewerkschaften u. verlangt unbezahlte
Überstunden. Der 'Markt' exportiert dieses lukrative System. Wobei
gilt: je mieser der Zustand der nationalen Ökonomie, desto leichter
läßt sich das Arbeitsrecht schreddern. Und mit ihm bleiben die übrigen
Rechte auf der Strecke. So reift der Same des Chaos zur Frucht des
Ordnungsstaats. Armut u. Müßiggang erzeugen Kriminalität, Kriminalität
wiederum verbreitet Panik, was den Boden für noch Schlimmeres bereitet.
So wird beispielsweise in Argentinien das Militär zur Verbrechensbe-
kämpfung eingesetzt. Dabei ist das Militär selbst massivst ins Ver-
brechen verwickelt. "Kommt und rettet uns vor der Kriminalität!" ruft
ausgerechnet Carlos Menem, ein treuer Diener des 'Marktes' u. Ver-
brechensexperte aus eigener Erfahrung - er war ja lange genug
Präsident.
Billige Kosten, hohe Profite, keine Kontrollen. Ein Öltanker bricht
entzwei und spuckt seine tödlich schwarze Fracht mitten ins Meer.
Diese schwarze Masse schwimmt direkt an die galicische Küste, sogar
noch weiter. Die weltweit profitabelsten Geschäfte - für gewöhnlich
führen sie zu zwei Dingen: zu hohen Gewinnen auf der einen Seite u.
'Naturkatastrophen' auf der andern. Die giftigen Gase, die durch das
Erdöl entstehen sind Hauptursache des Klimawandels u. des Ozonlochs
(dieses Loch besitzt mittlerweile ungefähr die Größe der Vereinigten
Staaten). In Äthopien u. andern afrikanischen Ländern haben Dürren
zur größten Hungersnot seit 20 Jahren geführt - Millionen Menschen
sind davon betroffen. Gleichzeitig wurden Deutschland u. mehrere
andere europäische Länder von der schlimmsten Flutkatastrophe seit
50 Jahren heimgesucht. Und noch etwa entsteht durch Erdöl: Krieg.
Armer Irak.
Brecha, Uruguay, im Dezember 2002
Übersetzund aus dem Englischen: Andrea Noll
Orginalartikel: "The USA Is At War"
http://www.zmag.de/article/article.php?id=410
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