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"Der Krieg änderte mein Leben"

Irakische Flüchtlinge in Syrien leben nach wie vor unter schwierigen Bedingungen

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Rund 1,2 Millionen irakische Flüchtlinge leben in Syrien. Der Bäckereibesitzer Sajid Arabaiye ist einer von ihnen. Im Gegensatz zu den meisten Flüchtlingen hat er aber Glück. Er bekam von den syrischen Behörden eine Arbeitserlaubnis – sein Geschäft läuft gut.

»Geht ein Mann mit seiner Frau im Suk einkaufen. Weil so viel los ist, verliert er sie und fängt an, sie zu suchen.« Schon beim ersten Satz des Witzes, den der Bäckereibesitzer Sajid Arabaiye zum Besten gibt, beginnen seine Mitarbeiter zu grinsen. Offensichtlich kennen sie die Pointe und doch hören alle gespannt zu. »Der Mann sucht also seine Frau und trifft dabei einen anderen Mann, der auch nach jemandem sucht. 'Wen suchst du, kann ich dir helfen?', fragt der erste den zweiten Mann. 'Ich suche meine Frau.' 'Was für ein Zufall', sagt der erste Mann, 'ich auch. Wir können ja gemeinsam suchen, wie sieht deine Frau denn aus?' 'Sie ist eine Schönheit', sagt der zweite Mann zum Ersten. 'Blonde lange Haare, grüne Augen, groß und schlank. Und wie sieht deine Frau aus?' 'Ach, vergiss es', antwortet der erste Mann. 'Komm, wir suchen nach deiner.'«

Laut prusten alle los in der kleinen Bäckerei Baghdady auf der »Straße der Iraker« in Saida Zeyneb, einem Vorort von Damaskus. Sajid Arabaiye schmunzelt vergnügt hinter seinen dicken Brillengläsern und fragt: »Wollt ihr noch einen hören?« Die Iraker sind bekannt für ihre Witze. Die irakischen Flüchtlinge haben nicht nur ihr Leid, ihre Trauer, ihren Verlust mit ins Exil gebracht, nach Jahren der Ungewissheit scheint sich so mancher in Syrien einzurichten.

»Wir hatten keine andere Wahl«

Irakische Cafés ziehen die arbeitslosen Männer schon früh am Morgen an. Minna Simma, eine in Sirup eingelegte Pistazienmasse, eingehüllt in eine Art Puderzucker, ist ein Markenzeichen der Bäckerei. In seiner Heimat, im Bagdader Stadtteil Dora, hatte er die gut gehende Bäckerei Al Darwish mit vier Filialen in Dora, Karada Meryem und zwei in Neu Bagdad aufgebaut, erzählt Sajid Arabaiye. 20 Jahre ging alles gut, doch nach dem Krieg 2003 »änderte sich mein Leben völlig«.

2005 entschied sich der Bäcker, Irak zu verlassen, für die Flucht gab es verschiedene Gründe: »Ich bin Schiit und meine Frau ist Sunnitin, es war schwierig, zusammen noch irgendwohin zu gehen. Unsere Bäckereien wurden immer wieder angegriffen. Ich wurde bedroht, mein Bruder entführt, irgendwann hatten wir keine andere Wahl.« 2007 bewarb er sich um eine Arbeitserlaubnis bei den syrischen Behörden, die er erhielt. Aus Sicherheitsgründen gab er seinem Geschäft in Damaskus den Namen Al Baghdady. »Man weiß ja nie, welche Leute hier vorbeikommen«, sagt er vorsichtig. Heute beschäftigt er 22 Leute: »13 Iraker, 9 Syrer«, sagt der Bäcker stolz. Eigentlich ist Sajid Arabaiye Agraringenieur. Weil er aber wegen der Kriege und Sanktionen (1990-2003) in Irak nicht weiter studieren konnte, verlegte er sich aufs Bäckerhandwerk. Alle seine irakischen Mitarbeiter haben Schlimmes durchgemacht, sagt Arabaiye. Abu Haithem Assada stand kurz vor seinem Doktor in Russisch an der Bagdad Universität, als er fliehen musste. Heute arbeitet er in der Backstube und ist für Elektroreparaturen zuständig.

Die Erfolgsgeschichte ist eine Ausnahme

Diwar Sorbay ist Künstler. Er hat seine Galerie auf seinem Handy gespeichert und hofft, mit Unterstützung des UN-Hilfswerks für Flüchtlinge (UNHCR) eines Tages auf eine Ausstellung. Sein Bruder Anwar ist Computeringenieur, in der Bäckerei sitzt er an der Kasse. Von der neuen irakischen Polizei war er verhaftet und ins Gefängnis Risafa geworfen worden, das wegen seiner Überbelegung und Gewalt berühmt und berüchtigt ist. »Eineinhalb Jahre hat man mich da festgehalten«, erzählt Anwar, dem ein Lächeln deutlich schwerer über das Gesicht huscht, als seinem Bruder Diwar. »Angeblich soll ich Terrorist gewesen sein.« Ein dritter Bruder der beiden habe sich vor sechs Monaten auf den Weg nach Irak gemacht und gilt seitdem als verschollen, ergänzt Sajid Arabaiye: »Wir befürchten, dass er ermordet wurde.«

Niemand denkt an Rückkehr, solange die Regierung Maliki an der Macht ist. Dennoch wird der Bäcker nach Bagdad fahren, um die Hochzeit eines Bruders zu feiern. Weder die Kinder noch seine Frau werden ihn begleiten.

Dem Rückzug der US-Truppen aus den Städten kann er nichts Gutes abgewinnen, an den Abzug 2011 glaubt er nicht: »Wie können wir den US-Amerikanern vertrauen?«, fragt er. »Sie werden erst gehen, wenn es in Irak kein Öl mehr gibt. Unser Land haben sie verbrannt, das soziale Gefüge haben sie zerstört, sie haben Hass und Misstrauen gesät.« Auch das finanzielle Angebot der irakischen Regierung kann ihn nicht zur Rückkehr bewegen. Nur seinen zwei Brüdern und deren Frauen, die noch in Bagdad leben, vertraut er noch: »Wenn sie sagen, alles ist gut, dann kehren wir zurück.«

Die Erfolgsgeschichte der Bäckerei Al Baghdady in Damaskus ist eine Ausnahme. Die überwiegende Mehrheit der irakischen Flüchtlinge führt ein extrem schwieriges Leben in Syrien, das sie zwar aufnahm und willkommen hieß, der Mehrheit aber die Arbeitsaufnahme verweigert. Auch dem UNHCR, der von 1,2 Millionen Flüchtlingen ausgeht, von denen knapp 210 000 registriert sind, gehen die Gelder aus. Das regionale UNHCR-Büro in Damaskus teilte vor wenigen Tagen mit, dass sowohl die finanzielle als auch die medizinische Hilfe für die irakischen Flüchtlinge ab August gekürzt werden müsse. Trotz einer Fünf-Millionen-Dollar-Spende aus Saudi Arabien reiche das Geld nicht, erläutert die Sprecherin Carole Laleve. »Wir haben für 2009 nur 38 Prozent dessen erhalten, was wir für die irakischen Flüchtlinge in Syrien und Jordanien brauchen.« 397 Millionen US-Doller werden benötigt, um alle Flüchtlinge und die Inlandsvertriebenen in Irak zu versorgen. Die besonders gefährdeten Flüchtlinge, wie alleinstehende Kinder und Frauen, Kranke und Minderheiten würden von den Kürzungen am meisten betroffen, so Laleve.

Die Kürzungen werden drastische Folgen haben. So soll die finanzielle Hilfe an alleinerziehende Mütter gestrichen werden, Babywindeln und Monatsbinden werden nicht mehr verteilt. Auch die Finanzierung von Ausbildungsmaßnahmen wie Computerkursen soll gestrichen werden. Besonders treffen wird es die Flüchtlinge, die außerhalb von Damaskus leben, wie die »irakischen Palästinenser«, die in zwei Lagern an der irakisch-syrischen Grenze und in einem dritten Lager in Nordostsyrien, in Hassakeh, leben. Fahrten dorthin werden reduziert und Vereinbarungen mit Nichtregierungsorganisationen, die die Flüchtlinge vor Ort betreuen, werden gestoppt. Die USA und Australien als die größten Geber, doch auch Großbritannien und die EU haben ihre Zahlungen an den UNHCR für das Jahr 2009 deutlich reduziert.

Angst, nach Bagdad zu fahren

Die 40-jährige Armenierin Sosaik Assoian überlegt wie viele andere Iraker, ob sie nicht trotz aller Unsicherheiten wieder zurückkehren soll. Ihre zwei Töchter haben angefangen zu studieren, der Sohn geht noch zur Schule. Doch wie ihre Schwester Mary, die ihren Bruder pflegt, der unter Down Syndrom leidet, glaubt Sosaik nicht, dass Christen noch eine Zukunft in Irak haben. Weil ihr Mann Syrer ist, gelten die Kinder ebenfalls als Syrer und erhalten, wie auch der Ehemann, keine Hilfe vom UNHCR. Nur die Mutter gilt als irakischer Flüchtling und hätte aufgrund ihrer hervorragenden englischen Sprachkenntnisse wohl auch die Möglichkeit, in ein anderes Land ausgesiedelt zu werden. »Doch ohne meine Kinder werde ich nie gehen, vielleicht ohne meinen Mann, aber nie ohne meine Kinder.«

Am Busbahnhof von Saida Zeyneb merkt man derweil die Ferienzeit, sagt Ahmed Fadel, dessen Reiseunternehmen derzeit täglich drei Busse mit je 50 Fahrgästen nach Irak schickt, die Reisen hätten bis zu 60 Prozent zugenommen. Die einfache Fahrt kostet umgerechnet etwa 25 US-Dollar und dauert zwölf Stunden. Doch wie die fünfköpfige Familie von Ibtissam Al Ibady, die nach Bagdad fährt, um die Großeltern zu besuchen, hat niemand vor, dort zu bleiben. »Wir haben alle große Angst, jetzt nach Bagdad zu fahren«, sagt sie. Das Wichtigste wäre, dass die US-Amerikaner Irak verlassen und es wieder »richtig sicher« sei: »Erst dann werden wir zurückkehren.«

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juli 2009


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