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Demokratie in einem arabischen Staat
Democracy in an Arab State

Von Robert Fisk / by Robert Fisk

Der folgende Beitrag ist unter der Überschrift "Democracy in an Arab State" in UK Independent am 13. Februar 2004 erschienen. Die Übersetzung lieferte Andrea Noll. Der englische und deutsche Text wurden ZNET (www.zmag.de ) entnommen.


‘Demokratie’ ist hier gleichbedeutend mit ‘Fantasie’. Für unsere großen Führer ist der Irak derzeit ein so heißes Pflaster, dass sie alles - beziehungsweise jeden - opfern, nur um sich selbst zu retten. Die BBC, die CIA, der britische Geheimdienst - und sämtliche Journalisten, die es wagen, mit dem Finger auf die Lügen zu zeigen, die uns in den Krieg trieben -, sie alle werden mit weiteren Lügen bombardiert. Und in dem Moment, in dem wir sagen, der Irak war noch nie ein fruchtbarer Boden für Demokratie nach westlichem Muster, wird uns vorgeworfen, wir seien Rassisten. Ob wir denn glaubten, die Araber bringen keine Demokratie zustande, fragt man uns. Ob wir glaubten, das seien keine vollwertigen Menschen? Dieser Mist wächst auf demselben Missbrauchs-Haufen wie jener, der jede, aber auch wirklich jede Israelkritik als Antisemitismus abstempelt. Es genügt, die Welt daran zu erinnern, dass die neokonservative Clique um die pro Israel-Proselyten Perle, Wolfowitz, Feith, Kristol und wie die Herren alle heißen, ihren Beitrag dazu leistete, Präsident Bush und US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit grotesk falschen Prophezeiungen (ein neuer Naher/Mittlerer Osten aus demokratischen, israelfreundlichen arabischen Staaten) in den Krieg zu treiben, und schon wird uns erklärt, es sei Rassismus, auch nur den Namen dieser Leute in den Mund zu nehmen. Erinnern wir uns, wofür die Neokonservativen im goldenen Herbst 2002 eintraten, als Tony mit George in Kampfstellung ging, um den Hitler von Bagdad zu vernichten. Die Landkarte des Nahen/Mittleren Ostens wollten sie neugestalten und der Region die Demokratie bringen. Deren Diktatoren würden entweder gestürzt oder mit an Bord kommen (deshalb ist es jetzt ja auch so wichtig, die Welt davon zu überzeugen, dass der groteske Gaddafi ein “Staatsmann” ist (danke, Jack Straw), weil er seine noch in den Kinderschuhen steckenden Nuklearpläne aufgab), vom Nil bis zum Euphrat würde die Demokratie erblühen. Schließlich wollten die Araber ja die Demokratie. Sie würden sich darauf stürzen. Sie würden uns lieben, uns willkommenheißen, preisen, umarmen - weil wir der Region dieses heißersehnte Gut verschafften. Die Neokonservativen irrten - natürlich.

Der jüngste Versuch, diese Männer zu verteidigen, stammt aus der Feder von David Brooks in The New York Times. “In Wahrheit”, so schreibt dieser, “haben die Leute, die man mit dem Etikett ‘Neokonservative’ versieht (...) untereinander praktisch kaum Kontakt (...) So wurde beispielsweise hundertmal auf Richard Perles klammheimliche Macht über die Regierungspolitik angespielt, aber wie mir hohe Regierungsoffizielle mitteilen, fanden gar keine wichtigen Treffen zwischen ihm und Bush oder Cheney statt, seit Letztere im Amt sind (...) Alles deutet darauf hin, dass Bush seine Schlussfolgerungen unabhängig zog”. Schön, dass die “hohen” Regierungsoffiziellen uns das wissen lassen - einmal abgesehen von der unfreiwilligen Komik, die hinter der Bemerkung steckt, ein Bush ziehe eigenständige Schlussfolgerungen. Brooks möchte sogar das Wort “neokonservativ” (‘neocon’) aus dem Wortschaft des Irakkriegs verbannt wissen - mit der absurden Phrase: “‘con’ steht als Kürzel für ‘konservativ’, und ‘neo’ als Kürzel für ‘jüdisch’”. Folglich gilt jetzt eventuell schon als antisemitisch, wer nur das Wort “neokonservativ” (neoconservative) benutzt. Und wirklich schließt Brooks seinen Artikel mit den Worten: “der Antisemitismus lebt wieder auf”. Wenn das das stichhaltigste Argument gegen Kritiker ist, müssen die Herren Wolfowitz, Perle und der Rest wirklich schon auf der Flucht sein. Nein, sie haben nie behauptet, das mit der Demokratie würde funktionieren. Sie haben auch nie Einfluss auf Präsident Bush genommen. Sie besitzen doch gar keine Macht, oder? Mit Bush haben sie kaum je ein Wort gewechselt. Überhaupt - wer soll das sein: Neokonservative? Und doch waren es die Neokonservativen - und Israel - die mit am leidenschaftlichsten für eine Irak-Invasion eintraten. Dabei bedienten sie sich einer nur allzu wahren, verheerenden Tatsache, die für weite Teile des Nahen/Mittleren Ostens zutrifft: die meisten arabischen Staaten sind schmutzige, brutale, korrupte Diktaturen. Wen wundert’s. Die meisten dieser Diktatoren sind ja unsere Geschöpfe. Mit Prinzen und Königen haben wir angefangen, und falls diese nicht genügend Kontrolle über die Massen ausübten, unterstützten wir eine heruntergekommene Bande von Generälen und Obristen, die meist eine Art britische Militäruniform trugen, mit einem Adler anstatt der Krone an der Mütze. Auf diese Weise wurde - indirekt - König Farouk durch Oberst Nasser ersetzt (später kamen General Sadat bzw. der Luftwaffengeneral Mubarak an die Macht). König Idris musste Oberst Gaddafi weichen - unser Außenministerium liebte den jungen Gaddafi. Und König Faisals Monarchie im Irak, die er nach dem Ersten Weltkrieg schuf, wurde schlussendlich durch die Baath-Partei und Saddam Hussein ersetzt. Also wollten wir nie, dass die Araber die Demokratie bekommen. Die Ägypter haben es in den 30gern versucht. Sah so aus, als würden sie König Farouk aushebeln, also sperrten die Briten die Opposition ins Gefängnis. Der Westen hat die Grenzen der meisten arabischen Nationen gezogen, er schuf die Staaten und setzte fügsame Führer ein - um sie natürlich sofort zu bombardieren, falls sie den Suezkanal nationalisieren, die IRA unterstützen oder in Kuwait einmarschieren. Aber selbstverständlich wollten die Neokonservativen und Mr. Bush - und damit unweigerlich auch Mr. Blair -, dass diese Nationen die Demokratie bekommen.

Viele Araber hätten inzwischen wirklich gern ein Stück vom teuren Gut ‘Demokratie’ ab. Wenn Araber in den Westen immigrieren, wenn sie einen amerikanischen, britischen, französischen Pass oder den irgendeines anderen westlichen Landes bekommen und sich in diesen Ländern niederlassen, sind sie nicht minder zur “Demokratie” befähigt wie wir andern. Die Iraker aus Dearborn in Michigan sind so wie alle Amerikaner und wählen - überwiegend - die Demokraten; bei Arbeit und Sport verhalten sie sich nicht anders als jeder andere freiheitsliebende Bürger der USA. Es hat also nichts mit den Genen zu tun, dass die arabische Welt es einfach zu keiner Demokratie bringt. Das Volk ist nicht das Problem. Das Problem ist der Rahmen, der Aufbau dieser patriarchalischen Gesellschaften und - am entscheidendsten - die Künstlichkeit der Staaten, die wir für sie schufen. Derlei Staaten bringen keine Demokratien hervor, sie können es nicht. Die Diktatoren, die wir bezahlten, die wir bewaffneten und hätschelten, regierten mit Folter, gestützt auf ihren Stamm. Angesichts einer Nation, an die sie vielfach nicht glauben mochten, setzten die arabischen Völker ihr ganzes Vertrauen in ihren Stamm. Die Könige waren Stammeskönige - das Haschemitengeschlecht beispielsweise stammt aus dem Nordosten des Landes, das wir heute Saudi-Arabien nennen. Auch die Diktatoren waren Stammesleute. Saddam - das wurde der Welt ja ständig gesagt -, ist ein Tikriti. Diese ruchlosen Männer konnten sich durch ein Netzwerk an Stammesbünden und religiösen Bündnissen an der Macht halten.

Natürlich sagten wir den Irakern, wir würden ihnen die Demokratie bringen - als wir in ihr Land eindrangen. Sie würden freie Wahlen bekommen. Ich erinnere mich noch an den Moment, als mir klar wurde, was für ein unehrliches Versprechen das ist. Es war, als Paul Bremer, der gescheiterte US-Prokonsul im Irak, plötzlich nicht mehr von Demokratie sprach sondern von einer “repräsentativen Regierung” - was durchaus nicht das gleiche ist. Es war, als Leute vom Schlage Daniel Pipes - ein rechtsgerichteter Vetter jener Neokonservativen, die wir nicht länger so nennen dürfen -, damit anfingen, nicht mehr für die “Demokratie” im Irak einzutreten sondern für einen “demokratisch gesinnten Autokraten”. Bremer sagt, vor der “Übergabe” der “Souveränität” im Juni könne es keine Wahlen geben. Aber diese “Übergabe” an sich ist schon eine Lüge, da sie die mythische “Souveränität” des Irak an eine Gruppe Iraker delegiert, die zuvor von Amerikanern und Briten ausgesucht wurde. Diese werden - toi, toi, toi - zu einem späteren Zeitpunkt jene demokratischen Wahlen abhalten, die wir dem irakischen Volk fälschlicherweise versprachen und die die Schiiten des Irak jetzt so lautstark einfordern. Aber selbst wenn es je zu Wahlen kommt, die meisten Iraker werden im Sinne ihres Stamms und ihrer Religion wählen. So hat ihr politisches System seit fast hundert Jahren funktioniert, und so funktioniert derzeit auch der von den Amerikanern verlesene “Interimsrat”.

Hier sind wir also wieder. Keine Massenvernichtungswaffen, keine Verbindung zwischen Saddam und dem 11. September. Und keine Demokratie. Gebt der Presse die Schuld, der BBC, den Panikmachern - nur nicht Bush und Blair und auf keinen Fall den amerikanischen Neokonservativen, die mithalfen, die USA ins Desaster zu stoßen. Es gibt sie ja noch nicht mal, und falls Sie anderer Meinung sind - Sie wissen, wie man Sie dann nennt.

* Robert Fisk ist ein international anerkannter Journalist des "Independent" in London. Seine Berichte über den Nahen Osten. Er ist regelmäßiger Autor des ZNet, außerdem schreibt er noch für "The Nation" und weitere Publikationen.

Independent/ZNet 13.02.2004

Democracy in an Arab State

by Robert Fisk

For democracy, read fantasy. Iraq is getting so nasty for our great leaders these days that anything - and anyone - is going to be thrown to the dogs to save them. The BBC, the CIA, British intelligence - any journalist that dares to point out the lies that led us to war - get pelted with more lies. The moment we suggest that Iraq never was fertile soil for Western democracy, we get accused of being racists. Do we think the Arabs are incapable of producing democracy, we are asked? Do we think they are subhuman?

This kind of tosh comes from the same family of abuse as that which labels all and every criticism of Israel anti-Semitic. If we even remind the world that the cabal of neo-conservative, pro-Israeli proselytisers - Messers Perle, Wolfowitz, Feith, Kristol, et al - helped to propel President Bush and US Defence Secretary Donald Rumsfeld into this war with grotesquely inaccurate prophecies of a new Middle East of democratic, pro-Israeli Arab states, we are told that we are racist even to mention their names. So let's just remember what the neo-cons were advocating back in the golden autumn of 2002 when Tony was squaring up with George to destroy the Hitler of Baghdad.

They were going to re-shape the map of the Middle East and bring democracy to the region. The dictators would fall or come onside - thus the importance of persuading the world now that the preposterous Gaddafi is a "statesman" (thank you, Jack Straw) for giving up his own infantile nuclear ambitions - and democracy would blossom from the Nile to the Euphrates. The Arabs wanted democracy. They would seize it. We would be loved, welcomed, praised, embraced for bringing this much sought-after commodity to the region. Of course, the neo-cons got it wrong.

The latest contribution to the defence of these men came from David Brooks in The New York Times. "In truth," he writes, "the people labelled 'neo-cons'... don't actually have much contact with one another... There have been hundreds of references, for example, to Richard Perle's insidious power over administration policy, but I've been told by senior administration officials that he has had no significant meetings with Bush or Cheney since they assumed office... All evidence suggests that Bush formed his conclusions independently."

It's good of the "senior" officials to let us know this - let alone the unconsciously hilarious aside that Mr Bush reaches conclusions on his own. Brooks even tries to erase the word "neo-conservative" from the narrative of the Iraq war with the absurd line that "con is short for 'conservative' and neo is short for 'Jewish'". For now, the mere use of the phrase "neo-conservative" can be anti-Semitic: Brooks actually ends his article by announcing that "anti-Semitism is resurgent".

If that's the best critics can be threatened with, then Messers Wolfowitz, Perle and the rest are on the run. They didn't say democracy would work. They didn't influence President Bush. They didn't have the power. They hardly talked to him. Neo-conservatives? Who? But it was the neo-cons who were - along with Israel itself - among the most fervent advocates of an Iraqi invasion.

They had seized upon a devastating and all-too-true fact of life in most of the Middle East: that Arab states are largely squalid, corrupt, brutal dictatorships. No surprise there. We created most of these dictators. We kicked off with kings and princes and - if they didn't exercise sufficient control over the masses - then we supported a wretched bunch of generals and colonels, most of whom wore a variety of British military uniforms with eagles instead of crowns on their hat badges.

Thus King Farouk was supplanted, indirectly, by Colonel Nasser (and by General Sadat and Air Force General Mubarak), King Idris by Colonel Gaddafi - the Foreign Office loved the young Gaddafi - and King Faisal's post-First World War monarchy in Iraq was replaced, eventually, by the Baath Party and Saddam Hussein.

So we never wanted the Arabs to have democracy. When the Egyptians tried this in the 1930s and looked like booting out Farouk, the British clapped the opposition into prison. We Westerners drew the borders of most of the Arab nations, created their states and propped up their obedient leaders - bombing them, of course, if they nationalised the Suez Canal, helped the IRA or invaded Kuwait. But the neo-cons and Mr Bush - and then, inevitably, Mr Blair - wanted them to have democracy.

Now there are a lot of Arabs who would like a bit of this precious substance called democracy. Indeed, when they emigrate to the West and settle down with US or British or French or any other Western passport, they show the same aptitude as ourselves for "democracy". The Iraqis of Dearborn, Michigan, are like any other Americans, and they vote - largely Democrat - and play and work like any other freedom-loving US citizens. So there's nothing genetic about the Arab world's inability to seize democracy.

The problem is not the people. The problem is the environment, the make-up of the patriarchal society and - most important of all - the artificial states which we created for them. They do not and cannot produce democracy. The dictators we paid and armed and stroked ruled by torture and by tribe. Faced with nations which they in many cases did not believe in, the Arab peoples had confidence only in their tribes. The kings were tribal - the Hashemites come from the north-east of what we now call Saudi Arabia - and the dictators were tribal. Saddam, as all the world is told repeatedly, was a Tikriti. And these ruthless men held power through a network of tribal and sectarian alliances.

When we bashed into their country, of course, we told the Iraqis we were going to give them democracy. They would have free elections. I remember the first time I realised how dishonest this promise was. It was when Paul Bremer, America's failed proconsul in Iraq, stopped talking about democracy and started referring to "representative government" - which is not the same thing at all. That was when folk like Daniel Pipes, a right-wing cousin of those neo-cons we can no longer mention, started advocating not "democracy" for Iraq but a "democratically-minded autocrat".

Bremer says there can be no elections before the June "handover" of "sovereignty" - in itself a lie because the "handover" will give the mythical "sovereignty" of Iraq to a group of Iraqis chosen by the Americans and the British. They will - prayers are now called for - later hold the democratic elections we falsely promised the Iraqi people and which the Iraqi Shias are now vociferously demanding. And even if these elections are ever held, most Iraqis will vote according to tribe and religion. That is how their political system has worked for almost a hundred years and that is how the American-selected "interim council" works today.

And so here we go again. No weapons of mass destruction. No links between Saddam and 11 September. No democracy. Blame the press. Blame the BBC. Blame the spooks. But don't blame Messers Bush and Blair. And don't blame the American neo-conservatives who helped to push the US into this disaster. They don't even exist. And if you say they did, you know what you're going to be called.

Independent/ZNet february 13, 2004


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