Die USA, Algerien, der Irak und (Nord)Korea:
Unterschiedliche Maßstäbe im Krieg gegen den Terrorismus
Im Folgenden dokumentieren wir einen Essay, der am 4. Januar im britischen The Independent erschien.
Von Robert Fisk
Ich glaube, langsam wird mir das klar. Nordkorea bricht all seine
Abkommen über Nuklearwaffen mit den Vereinigten Staaten, wirft die
UNO Inspektoren aus dem Land und beginnt damit eine Bombe pro Jahr
zu produzieren, und Präsident Bush sagt, es ist "ein diplomatisches
Thema". Der Irak übergibt ein 12000 Seiten Dokument über seine
Waffenproduktion und gestattet es UNO Inspektoren das ganze Land zu
durchqueren und - wenn sie in 230 Durchsuchungen nicht einmal ein
Marmeladenglas voll chemischer Waffen finden - verkündet Präsident
Bush, dass der Irak eine Gefahr für Amerika ist, sich nicht ent-
waffnet hat und es vielleicht eine Invasion geben muss. Also so ist
das.
Leser fragen mich immer in den eloquentesten Briefen, wie er damit
davonkommen kann? Gute Frage, wie kommt Tony Blair damit davon? Vor
nicht langer Zeit verkündete unser werter Premierminister im House
of Commons in seinem üblichen schulmeisterlichen Ton - der Ton den
man insbesondere für unaufmerksame und schwache Buben in der Klasse
benutzt - dass die Fabriken für Massenvernichtungswaffen Saddams
"bereit [Pause] und in Betrieb sind [Pause], jetzt". Aber auch der
Dear Leader in Pyongyang hat Fabriken die "bereit [Pause] und im
Betrieb sind [Pause], jetzt". Und Tony Blair ist still.
Warum dulden wir das? Warum die Amerikaner. In den letzten paar Tagen
gab es nur die kleinsten Andeutungen, dass die amerikanischen Medien -
die größten und schuldigsten Unterstützer der Kampagne der Unwahrheit
des Weißen Hauses - wenn auch nur sehr ängstlich, einige Fragen
stellte. Monate, nachdem der Independent seinen LeserInnen das erste
Mal auf die freundlichen persönlichen Besuche Donald Rumsfelds bei
Saddam in Baghdad zur Spitzenzeit der Benutzung von Giftgas gegen
Iraner im Jahr 1983, aufmerksam gemacht hat, hat die Washington Post
sich endlich entschieden, seinen eigenen LeserInnen ein bisschen von
dem zu erzählen, was vorgeht. Der Reporter Michael Dobbs baute die
übliche Drumherumrede-Klauseln ein ("Die Meinungen unter Nahost-
experten gehen auseinander - ob Washington mehr tun hätte können, um
den Fluss von Technologie zur Produktion von Massenvernichtungswaffen
zu verhindern"), aber die Wahrheit bleibt da: wir haben das Monster
erschaffen und Mr. Rumsfeld war auch eine Person in dieser Geschichte.
Aber keine amerikanische - oder britische - Zeitung traute sich eine
weitere, fast genauso gefährliche, Beziehung zu untersuchen, welche
die derzeitige Regierung der USA hinter unserem Rücken schmiedet:
mit dem vom Militär gestütztem Regime in Algerien. Schon seit 10
Jahren ist einer der dreckigsten Kriege der Welt in diesem Land
ausgetragen worden, angeblich zwischen "Islamisten" und "Sicher-
heitskräften", in welchem fast 200.000 Menschen - die meisten
Zivilisten - getötet worden sind. Aber in den letzten fünf Jahren
sind zunehmend mehr Beweise aufgetaucht, dass Teile dieser selben
Sicherheitskräfte in einige der blutigsten Massaker involviert
waren, mit eingeschlossen dem Hals-aufschneiden von Babies. Der
Independent hat sehr detaillierte Berichte über die algerische
Polizeifolter und die außergerichtlichen Exekutionen von Frauen
wie von Männern veröffentlicht. Und doch hat die USA, als Teil
dieses obszönen "Krieg gegen den Terrorismus", sich mit dem
algerischen Regime angefreundet. Sie hilft dabei mit die algerische
Armee neu zu bewaffnen, und verspricht weitere Unterstützung.
William Burns, der US Assistant Secretary of State for the Middle
East, verkündete, dass Washington "von Algerien viel darüber
lernen kann, wie man den Terrorismus bekämpfen kann".
Und natürlich hat er Recht. Die algerischen Sicherheitskräfte können
Amerikaner darüber informieren, wie man einem männlichen oder weib-
lichen Gefangenen einreden kann, dass sie ersticken werden. Die
Methode - Personal der USA können Experten für diese besondere
Foltermethode im Keller der Château Neuf Polizeistation im Zentrum
Algiers in Anwendung sehen - ist es den Mund des gefesselten Opfers
mit einem Lappen zu bedecken und diesen dann mit einer Reinigungs-
flüssigkeit vollzusaugen. Der Gefangene erstickt langsam. Es gibt
natürlich auch das gewöhnliche Nägel-ausreißen und die üblichen
Drähte an den Penissen und Vaginas und - ich werde den Augenzeugen-
bericht nie vergessen - die Vergewaltigung einer alten Frau in
einer Polizeistation, von welcher sie blutbedeckt zurückkam, und
die anderen Gefangenen dazu aufforderte Widerstand zu leisten.
Einige der Zeugen die diese Abscheulichkeiten mit ansahen, waren
algerische Polizisten, welche in London zuflucht suchten. Aber
man kann beruhigt sein, Mr. Burns hat recht, Amerika hat viel von
den Algeriern zu lernen. Zum Beispiel - man sollte nicht fragen,
warum das niemals zu den Zeitungen gedrungen ist - ist der General-
stabschef der algerischen Armee in den Hauptquartieren des NATO
Südkommandos in Neapel freundlich willkommen geheißen worden.
Und die Amerikaner sind dabei zu lernen. Ein mit dem CIA zusammen-
arbeitender Regierungsbeamter für Nationale Sicherheit gab letzten
Monat preis, dass, was Gefangene betrifft, "unsere Leute sie durch
das Adrenalin direkt nach der Aktion (sic) etwas herumtreten". Ein
anderer US Beamter für "Nationale Sicherheit" gab bekannt, dass
"Schmerzkontrolle von verwundeten Patienten eine sehr subjektive
Sache ist". Aber seien wir fair. Die Amerikaner könnten diese
Gemeinheit von den Algeriern gelernt haben. Sie könnten sie genauso
vom Taliban gelernt haben.
Inzwischen geht die Diskriminierung der Muslime innerhalb der
USA geschwind voran. Am 17. November fanden sich Tausende
IranerInnen, IrakerInnen, SyrerInnen, LybierInnen, AfghanInnen,
BahrainInnen, EritreerInnen, LibanesInnen, MarokkanerInnen,
OmanerInnen, KatarerInnen, SomalierInnen, TunesierInnen,
JemenitInnen, EmiratInnen bei Bundesstaatlichen Stellen ein
um ihre Fingerabdrücke abzugeben. Die New York Times - die
bei der Berichterstattung über die Geschichte seit dem 11.
September feigeste unter allen amerikanischen Zeitungen -
zeigte (natürlich nur im fünften Absatz ihres Berichts), dass
"in der vergangenen Woche Beamte - hunderten Männern Handschellen
anlegten, als sie sich zur Abnahme der Fingerabdrücke meldeten.
In einigen Fällen hatten die Männer ausgelaufene Studenten- oder
Arbeitsvisa; in anderen Fällen konnten die Männer keine ange-
messenen Dokumente für ihres Immigrationsstatus vorlegen".
In Los Angeles gingen den Polizisten die Plastikhandschellen aus,
als sie die Männer zum Einsperren zusammentrieben. Von den 1000
Männern die seit dem 11. September ohne Gerichtsverfahren und
Anklagen inhaftiert worden sind waren viele in den USA geborene
Amerikaner.
Tatsächlich wissen viele Amerikaner nicht einmal wofür das frostige
Akronym des "US Patriot Act" steht. "Patriot" bezieht sich nicht auf
Patriotismus. Der Nme steht für den "United and Strengthening America
by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct
Terrorism Act". [Akt zur Stärkung und Einigung Amerikas durch die
Verfügungstellung von angemessenen Mitteln, die zur Abwehrung und
Verhinderung von Terrorismus nötig sind]. Amerikas 200 Millionen
Dollar "Total Awareness Programme" ["Totales Informiertseinprogramm"]
wird es der Regierung der USA erlauben die E-Mail- und Internet-
aktivität ihrer Bürger zu Überwachen und Aufzeichnungen über die
Bewegungen aller Amerikaner zu machen. Und auch wenn uns das von
unseren Journalisten nicht gesagt worden ist, besteht die Verwaltung
der USA nun darauf von den europäischen Regierungen Zugang zu allen
Daten ihrer eigenen Bürger zu erhalten. Die letzte - und groteskeste -
dieser Forderungen galt dem Zugang zu den Computeraufzeichnungen der
staatlichen französischen Linie Air France, um Tausende ihrer Passa-
giere "zu analysieren". Alles dies geht weit über die wildesten Träume
Saddams und des Dear Leaders Kim hinaus.
Die neuen Regeln winden sich ihren Weg sogar in den akademischen
Bereich. Man nehme die nette kleine Universität von Purdue in
Indiana, wo ich vor einigen Wochen vortrug. Mit Bundesgeldern
schafft es nun ein "Institut für Heimatsicherheit", dessen 18
"Experten" Manager von Boeing und Hewlett-Packard und Beamte aus
dem US Defence und State Department miteinschließen wird, um
"Forschungsprogramme" über "kritische Missionsbereiche" zu
organisieren. Was, frage ich mich, werden diese Bereiche sein?
Das wird sicher nichts mit der Ungerechtigkeit im Nahen Osten,
dem arabisch-israelischen Konflikt, oder der Anwesenheit von
Truppen der USA in arabischen Ländern zu tun haben. Schließlich
war es Richard Perle, der finsterste pro-Israel Berater George
Bushs, der letztes Jahr verkündete, dass "Terrorismus vom Kontext
unabhängig gemacht werden muss".
Inzwischen steuern wir - von diesem Grundsatz ausgehend - auf einen
Krieg im Irak zu, wo es Öl gibt, aber vermeiden Krieg in Korea, wo
es kein Öl gibt. Und unsere Führer kommen damit davon. Indem wir so
vorgehen bedrohen wir die Unschuldigen, foltern unsere Gefangenen
und "lernen" von Männern, die auf der Anklagebank für Kriegsver-
brechen sitzen sollten. Dies ist also unser wahres Gedenken an die
Männer und Frauen, welche durch die Verbrechen gegen die Menschlich-
keit am 11. September 2001 so brutal umgebracht worden sind.
Übersetzt von: Matthias
Orginalartikel: "Double Standards In War On Terror"
The Independent / ZNet 04.01.2003
http://www.zmag.de/article/article.php?id=396
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