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Heftiger Streit um die Einheit Iraks

Kurdenpräsident Barsani hadert mit Bagdads Premier Maliki um Verfassungsauslegung

Von Karin Leukefeld *

Ein lange schwelender Streit über die Auslegung der irakischen Verfassung hat in der vergangenen Woche zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Kurden und irakischen Stämmen geführt. Auch unter den Schiiten gibt es unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft Südiraks.

Tausende Iraker demonstrierten landesweit, um Ministerpräsident Nuri al-Maliki gegen Kritik von der kurdischen Autonomiebehörde zu unterstützen. Auslöser der Proteste waren Äußerungen von Massud Barsani, dem Präsidenten der kurdischen Autonomieregion. Dieser hatte Maliki beschuldigt, mit irakischen Stämmen in mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebieten eine Allianz gebildet zu haben, um die Zentralgewalt seiner Regierung auf »kurdische« Gebiete auszudehnen. Das sei ein Verfassungsbruch, erklärte Barsani und schreckte nicht vor einer schweren Beleidigung zurück: Das Gleiche habe auch Saddam Hussein getan, warf er Maliki vor. Der Diktator hätte irakische Stämme, die »Jash« (Maultiere), gegen die kurdischen Peschmerga eingesetzt.

Hintergrund des Streits ist die Entscheidung von Maliki, mit einer Allianz irakischer Stämme, den »Unterstützungsräten«, in den Unruheprovinzen Diyala, Kirkuk und Mossul gegen Kriminelle und Banden vorzugehen, um die Gewalt einzudämmen. Die drei Provinzen gehören zu den instabilsten Gebieten in Irak, was die US-Armee und die Kurden auf versprengte Al-Qaida-Gruppen zurückführen.

Andere Stimmen meinen, der Streit über die Zukunft der Gebiete schüre die Gewalt. Präsident Barsani und seine kurdische Regierung in Erbil möchten per Volksbefragung vor allem Kirkuk übernehmen, weil sie der Ansicht ist, dort leben mehrheitlich Kurden. Die ebenfalls ansässigen Turkmenen, Assyrer und Araber sind gegen einen Anschluss an die kurdischen Gebiete. »Die irakischen Stämme unterstützen die nationale Position von Maliki, der Iraks Einheit bewahren will«, erklärte Farhan al-Aud, Parlamentsmitglied und Berater von Maliki. »Sie wollen die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und eine Revision der Verfassung.«

Der Streit um die Einheit Iraks schwelt seit der US-Invasion 2003. In der neuen Verfassung setzten die Kurden – mit Unterstützer der US-Vertreter in Irak – ihr Recht auf ein Referendum in der Provinz Kirkuk durch, das sie als »Herz Kurdistans« bezeichnen. Bisher wurde das Referendum verschoben, weil selbst die USA den Ausbruch von Gewalt befürchten.

Inzwischen haben sich die kurdischen Ansprüche allerdings auch auf Teile von Mossul und Diyala ausgedehnt, wofür nicht zuletzt die Anschläge gegen Yesiden (2007) und in jüngster Vergangenheit gegen Christen als Vorwand dienen. Kurdische Peschmerga und Sicherheitskräfte wurden in den Provinzen aufgestockt, was Kritik der dort lebenden nicht-kurdischen Iraker auslöste, die sich von der wachsenden kurdischen Präsenz unterdrückt fühlen.

Weder irakische Armee noch irakische Polizeikräfte haben Zugang zu den kurdischen Autonomieprovinzen, was von arabischen Irakern offen kritisiert wird. »Was für ein Verfassungsbruch soll das sein, wenn die Regierung die irakischen Stämme in die Zukunft des neuen Iraks einbezieht?«, fragte der Provinzgouverneur Aqil al-Khazali bei der Demonstration in Kerbela unter Hinweis auf die Anschuldigungen Barsanis gegen Maliki. »Sind die Peschmerga etwa verfassungsgemäß?« Damit bezog sich Khazali auf die in der Verfassung verankerte Forderung nach Auflösung aller Milizen. Während die arabischen Iraker die Peschmerga Milizen nennen, sind sie für die kurdische Autonomieregierung die kurdischen Streitkräfte.

Maliki hatte kürzlich Veränderungen an der irakischen Verfassung gefordert, wobei die bevorstehenden Provinzwahlen am 31. Januar und Unzufriedenheit über die Verfassung bei vielen Irakern eine Rolle gespielt haben dürften. Besonders die Möglichkeit von Provinzen, sich als autonomer Zusammenschluss (Föderation) von der Zentralregierung abzusetzen, ist Maliki ein Dorn im Auge. Unterstützt wird er von seiner Dawa-Partei, der Sadr-Bewegung sowie von assyrischen Christen und sunnitischen Parteien.

Der eng mit Iran verbundene Hohe Islamische Rat in Irak (SIIC) unter Führung von Abdulaziz al- Hakim hingegen favorisiert ein Modell wie die Kurdenregion auch für den Süden. SIIC will neun südirakische Provinzen zusammenfassen und autonom regieren. Mit gemischten Gefühlen dürfte SIIC daher den Vorstoß der (ebenfalls schiitischen) Fadila-Partei in Basra verfolgt haben, die einen Autonomiestatus ausschließlich für die Ölprovinz Basra fordert. Der vorgelegte Antrag, mit dem sich die Fadila-Partei bei den Provinzwahlen einen Stimmenzuwachs erhoffen dürfte, ermöglicht es den Antragstellern, weitere 140 000 Stimmen (10 Prozent) zu sammeln, die für ein Referendum erforderlich sind. Die (gleichfalls schiitische) Sadr-Bewegung zeigte sich empört: »Da wird mit Feuer gespielt, das ganz Irak verschlingen könnte«, sagte Scheich Salah al-Obeidi, ein Sprecher von Muktada al-Sadr, in Nadschaf. »Im Ergebnis könnte so die Teilung Iraks erzwungen werden.«

* Aus: Neues Deutschland, 24. November 2008


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