"Verschwörung gegen internationale Prinzipien" - Gehört das zur Vorbereitung des Irak-Kriegs?
Jose Bustani, weltweit geachteter Chef der Chemiewaffenkontrollbehörde, wird entlassen
Jose Bustani, brasilianischer Diplomat und seit fünf Jahren Generaldirektor der
Internationalen Chemiewaffenkontrollbehörde (OPCW - Organisation for the
Prohibition of Chemical Weapons) wurde am 22. April 2002 entlassen. Während seiner Amtszeit wurden zwei
Millionen Chemiewaffen zerstört und zwei Drittel aller Produktionsanlagen
inspiziert. "Er hat mehr für den Weltfrieden getan als irgendjemand sonst",
schreibt der Londoner Guardian. Seit Beginn dieses Jahres passt Bustani aber offenbar
nicht mehr ins US-Konzept, weil er an der Gleichbehandlung aller
Mitgliedsländer der OPCW, inklusive der Vereinigten Staaten, festhält - vor
allem jedoch, weil er sich für die Mitgliedschaft des Irak in der OPCW
einsetzt. Damit aber wäre dem geplanten und mehrfach angekündigten US-Krieg der Boden entzogen, und
deshalb startete die US-Regierung eine beispiellose Kampagne gegen den
Chef einer internationalen Behörde. Druck und Erpressung brachten
schließlich den gewünschten Erfolg: Bustani
wurde entlassen. Doch zuvor verteidigte er in einer ungewöhnlich offenen
und engagierten Rede seine Haltung vor den Repräsentanten der
Mitgliedsstaaten. Wir dokumentieren Auszüge in der Übersetzung von Hans Thie, die in der Wochenzeitung "Freitag" veröffentlicht wurde.
Jose Bustani
Ich werde angeklagt, die Mitgliedschaft des Irak in der OPCW
voranzutreiben, obwohl dieser Versuch in voller Übereinstimmung mit den
Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates steht und obwohl das dem
Mandat der OPCW entspricht. Bedeutet die Unzufriedenheit mit meiner
Amtsführung, dass die Universalität der Konvention einige Länder
einschließen sollte, aber andere nicht, wie zum Beispiel den Irak?
Ich werde angeklagt - trotz voller Übereinstimmung mit Artikel X der OPCW
- ein glaubwürdiges System für den Schutz von Mitgliedstaaten gegen
einen Angriff, auch gegen einen terroristischen Angriff, mit Chemiewaffen
zu etablieren. Sollen mehr als zwei Drittel der Mitgliedstaaten ohne
Verteidigung gegen eine solche Bedrohung bleiben, während die Fähigkeit
einer kleinen Zahl anderer Staaten, sich und ihre Verbündeten zu
schützen, intakt bleibt?
Ich werde angeklagt, der internationalen Gemeinschaft in ihrem Kampf
gegen den Terrorismus die Unterstützung der OPCW und ihrer
einzigartigen Chemiewaffen-Expertise angeboten zu haben. Ist das ein
Verbrechen? Oder ist das nicht vielmehr ein vernünftiges Angebot, das die
OPCW, in enger Konsultation mit anderen internationalen Organisationen
und im Kontext des 11. September, allen interessierten Mitgliedsstaaten
unterbreiten sollte? (...)
Ich will hier offen reden: Es geht heute um einen Angriff auf die OPCW. Die
Verschwörer hätten gern hinter verschlossenen Türen und ohne Aufsehen
gehandelt. Sie waren sich absolut sicher, dass sie nach Belieben auf dem
globalen Schachbrett spielen können - ohne Konsultation und ohne
Erklärung gegenüber dem Rest der Welt und insbesondere gegenüber den
anderen Mitgliedsstaaten der OPCW. Aus diesem Grunde wurde in
flagranter Verletzung von Buchstaben und Geist der
Chemiewaffenkonvention die brasilianische Regierung aufgefordert, meine
Entlassung zu betreiben. Später hat man mich mit Ultimaten aufgefordert,
zurückzutreten. Selbst als eine klare Mehrheit von 41 Mitgliedern des
Exekutivrates es ablehnte, das einseitige Handeln der USA zu
unterstützen, wurde die Kampagne fortgesetzt.
Wie ich Ihren Außenministern bereits geschrieben habe, sollte noch ein
wichtigerer und grundsätzlicherer Punkt berücksichtigt werden. Hier geht
es um weit mehr als die Person des Generaldirektors und um mehr als die
Chemiewaffenkontrollbehörde. Kein Generaldirekter einer internationalen
Organisation ist jemals während seiner Amtszeit entlassen worden. Mehr
noch, kein Generaldirektor sollte ohne vernünftiges Verfahren, ohne
Nachweis von Fehlverhalten, ohne offene Diskussion und ohne
unabhängige Untersuchung der Anschuldigungen entlassen werden.
Diejenigen von Ihnen, die unsere Organisation kennen, wissen, dass ich
mich keiner Verfehlungen schuldig gemacht habe. Sie wissen, dass es
sich um manipulierte Anschuldigungen handelt. Sie wissen, dass es kein
Missmanagement gab und dass jeder Cent ordnungsgemäß bilanziert
wurde. Der letzte Bericht der Wirtschaftsprüfer für das Jahr 2001 hat dies
erneut gezeigt. (...)
Sie wissen, dass mein Angebot einer vollständigen und unabhängigen
Untersuchung zurückgewiesen wurde, weil eine solche Untersuchung
ergeben hätte, dass die Anschuldigungen völlig haltlos sind. Die
Entscheidungsgrundlage der US-Regierung, die Ihnen vorliegt, ist ein
Präzedenzfall. Künftig kann der Chef einer internationalen Behörde
jederzeit aus dem Amt entfernt werden kann, weil ein einziger
Mitgliedsstaat seinen "Managementstil" nicht mag oder seine
"Glaubwürdigkeit" bezweifelt. (...)
Hier und heute steht sehr viel auf dem Spiel: für die OPCW, für andere
internationale Organisationen und für die internationale Gemeinschaft
insgesamt. Es ist an der Zeit, sich dieser Herausforderung zu stellen. Es
ist an der Zeit, klare Prioritäten zu setzen, wie sie von der Mehrheit
gesehen werden und nicht nur von einigen Wenigen. Aus diesem Grunde
habe ich mich geweigert, dem Druck weniger Mitgliedsstaaten
nachzugeben. Ich möchte Ihnen allen die Gelegenheit geben, Ihre Wahl zu
treffen, zu bestimmen, welche Zukunft, wenn überhaupt, multilaterale
Organisationen in dieser zunehmend gefährlichen, komplexen und
instabilen Welt haben sollen.
Sie mögen überrascht sein zu hören, dass, wenn ich resigniert hätte und
zurückgetreten wäre, meine Gegner mir einen würdevollen Abgang
verschafft und meine Verdienste hervorgehoben hätten. Aber ich sage
Ihnen: Ich brauche keinen heldenhaften Abschied. Wenn ich gehe - und
das liegt jetzt in Ihrer Hand - gehe ich ehrenhaft. (...)
Ich weigere mich zurückzutreten, nicht weil ich an meiner Position hänge,
sondern weil ich das Recht jedes einzelnen Mitgliedslandes, auch des
kleinsten, seine Position zu äußern und seine Verantwortung
wahrzunehmen, verteidigen will. Ich sehe es als meine Pflicht an, Ihnen
allen, und nicht nur den Mächtigsten unter Ihnen, das Recht zu geben,
mich abzulösen.
Obwohl dieses einmalige, rüde und willkürliche Verfahren, das heute im
grauen Den Haag über die Bühne gehen soll, weitgehend vor der
Öffentlichkeit verborgen bleiben wird, ist es ein wunder Punkt in der
Geschichte internationaler Beziehungen. Ich hoffe, dass Sie alle, die
Mitgliedstaaten, in vollem Bewusstsein dieser historischen
Herausforderung gerecht werden. Die Wahl, die Sie treffen, wird darüber
entscheiden, ob Multilateralismus überleben wird, oder ob es zu einem
Unilateralismus kommt, der sich hinter internationalen Organisationen
versteckt.
Aus: Freitag 18, 26. April 2002 ("Wer dem Irak-Krieg im Wege steht")
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