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Menetekel Bürgerkrieg auch in Irak

UN-Menschenrechtsmission kommt zu wenig überraschenden Erkenntnissen

Von Roland Etzel *

Irak steht vor einem Bürgerkrieg. Das ist die Quintessenz des Berichts einer UN-Arbeitsgruppe, der am Mittwochabend im Hauptquartier der Vereinten Nationen veröffentlicht wurde.

»Irak steht am Scheideweg«, erklärte der Leiter der UN-Menschenrechtsmission in Bagdad, Francesco Motta, gegenüber AFP. Das Land befinde sich nach seiner Einschätzung »noch nicht im Bürgerkrieg«, die Gewaltstatistiken seien aber besorgniserregend.

Das ist schon erstaunlich, was der ehrenwerte italienische Diplomat da bekannt gab, erstaunlich weltfremd. Bedurfte es wirklich des Berichts der Mission, um festzustellen, was eigentlich seit Beginn der Invasion der USA und ihrer »Koalition der Willigen« im März 2003 blutiger Alltag ist: dass Jahr für Jahr Abertausende Menschen durch Bombenanschläge sterben; dass das Land unregierbar geworden ist infolge des anhaltenden gnadenlosen Machtkampfes zwischen den an religiösen Gruppen orientierten Parteien; dass die abziehende Besatzungsmacht USA auch politisch ein Trümmerfeld hinterlassen hat, dessen fatale Nachwirkungen noch auf Jahrzehnte hinaus zu spüren sein werden?

Das alles ist nicht neu. Was Erkenntnisse über die tägliche Gewalt betrifft, so hätte die UN-Kommission einfach auf Zahlen von Iraq Body Count (IBC) zurückgreifen können, einer humanitären Organisation, die seit Jahren die grauenvollen Opferzahlen infolge kriegerischer bzw. terroristischer Handlungen im Zweistromland dokumentiert. Allerdings wäre es dafür nötig gewesen, den Widerstand der USA dagegen zu ignorieren, die die IBC-Erkenntnisse aus naheliegenden Gründen nicht gelten lassen wollen.

In Bagdad herrscht heute eine Regierung unter Führung des Schiiten Nuri al-Maliki, die offenbar weder in der Lage noch willens ist, einen Interessenausgleich mit Kurden und Sunniten des Landes herbeizuführen. Die kurdischen Nordprovinzen führen ein Eigenleben, in dessen Bereich Bagdad nichts zu sagen hat. Allerdings steht der andauernde Streit zwischen Bagdad und der Kurdenadministration um die erdölreiche Provinz Kirkuk immer wieder am Rande zum heißen Krieg.

Der höchste Vertreter der Sunniten wiederum, Vizepräsident Tarik al-Haschemi, wurde der Finanzierung des Terrorismus beschuldigt und zum Tode verurteilt. Das Urteil vertiefte die Kluft zwischen Schiiten und Sunniten erheblich, auch wenn Haschemi sein Leben durch Flucht in die Türkei retten konnte. All diese Konfliktlinien waren bereits zur Zeit der US-amerikanischen Besatzung angelegt, wenn nicht gar durch sie gefördert worden. Nach dem Abzug der US-Kampftruppen Ende 2011, die entgegen ihrer Behauptung keinerlei demokratische Strukturen im Zweistromland hinterließen, brachen dann alle Dämme.

Derzeit nimmt das Blutvergießen wieder zu, heißt es im Bericht. Die Gewalt werde von der Unzufriedenheit der Sunniten mit der schiitischen Regierung und vom Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien angefacht. Viele radikale Gruppen würden dadurch angestachelt, befürchtet das UN-Team. Es bestehe die Gefahr, dass die Lage außer Kontrolle gerate, aber die Entwicklung sei »noch nicht unumkehrbar«. Anhaltspunkte selbst für diesen äußerst verhaltenen Optimismus liefert Motta allerdings nicht.

Wenn es also am Ende des Berichts heißt, die Vereinten Nationen seien »sehr besorgt über die anhaltende Gewalt«, so entbehrt dies nicht eines gewissen Zynismus, wenn die zumindest Mitverantwortung der USA und ihrer Willigen nicht einmal am Rande erwähnt wird.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 12. Juli 2013

Auszug aus dem "Report on Human Rights in Iraq: July – December 2012"

Violence and armed violence continued to take their toll on civilians in Iraq. According to the Government of Iraq, 1,704 civilians were killed and 6,651 were injured in the second half of 2012, resulting in a total of 3,102 killed and 12,146 injured for 2012. According to UNAMI, 1,892 civilians were killed and 6,719 were injured in the last six months of 2012, resulting in a total of at least 3,238 civilians who were killed and 10,379 who were injured for the year. These figures indicate that the trend of recent years of a reduction in the numbers of civilian casualties has reversed and that the impact of violence on civilians looks set to increase in the near to medium future. Terrorists and armed groups continued to favour asymmetric tactics that deliberately target civilians or were carried out heedless of the impact on civilians.

Quelle: UNAMI HUMAN RIGHTS OFFICE and OFFICE OF THE HIGH COMMISSIONER FOR HUMAN RIGHTS, June 2013, Baghdad.




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