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Blair und Brown unter Rechtfertigungsdruck

Großbritanniens Rolle vor dem Irak-Krieg wird jetzt von einem Ausschuss untersucht - mehr oder weniger

Von Reiner Oschmann *

Der Auswärtige Ausschuss im britischen Unterhaus hat für den Einsatz der internationalen Truppen in Afghanistan eine düstere Bilanz gezogen. Durch das »Fehlen einer realistischen Strategie« seien in dem Land »längst nicht die Ergebnisse erzielt worden, die erhofft wurden«, erklärte der Auswärtige Ausschuss des britischen Unterhauses in einem am Sonntag veröffentlichten Bericht zur globalen Sicherheit.

Seit Wochenende tagt in London auch ein Untersuchungsausschuss, den Premier Gordon Brown (Labour) am liebsten ganz vermieden und nachdem dies nicht mehr möglich war, gern wenigstens der Öffentlichkeit ferngehalten hätte. Auch das ist nicht mehr drin. Der Ausschuss trat Freitag zusammen, wird von fünf Honoratioren gestellt und vom früheren hohen Staatsbeamten Sir John Chilcot geleitet.

Auf einer Pressekonferenz ließ er ausdrücklich die Frage offen, ob er und die Mitglieder seines Ausschusses kritisch zum Irakkrieg der USA und Britanniens standen. Letzteres ist ein Hinweis darauf, was von dem Gremium zu erwarten sein könnte: Der Ausschuss, der den Abschlussbericht nicht vor der nächsten Parlamentswahl (fällig spätestens Juni 2010) vorlegen, öffentlich tagen, »definitiv« Ex-Regierungschef Tony Blair und eventuell Brown vorladen will, dürfte der klassische Versuch des hierin gewieften britischen Establishments werden, den Bär zu waschen, ohne ihn zu nässen.

Die Forderung nach öffentlicher Untersuchung der Rolle, die Downing Street an der Vorbereitung der Irakinvasion von März 2003 hatte, steht seit langem. Sie wurde in den bisherigen vier Ausschüssen weder öffentlich noch neutral vorgenommen, obwohl bzw. gerade weil es sich dabei um die kontroverseste außenpolitische Frage Großbritanniens der letzten 50 Jahre handelt. Blair hatte mit Billigung seines Finanzministers Brown 40 000 Soldaten nach Irak geschickt. Bis heute fielen 179. Ende Juli waren alle Briten mit Ausnahme von rund 150 Militärberatern abgezogen. Der Krieg kostete den Steuerzahler laut »Guardian« rund 6,5 Milliarden Pfund.

Den Untersuchungsausschuss hatte Brown als »beispiellos« angekündigt. Er sollte hinter verschlossenen Türen tagen, keinen Zugang zu »den heikelsten Informationen« haben und ohne strafrechtliche Folgen bleiben. Das trug Brown sofort den Vorwurf ein, die Weißwäscher bestellt zu haben. Die Ankündigung löste Kritik auf allen Seiten aus, und Brown musste öffentlicher Arbeit des Ausschusses mit weitergehenden Befugnissen zustimmen.

Der Druck auf Brown und Blair ist zuletzt durch neue Erkenntnisse, wie Britannien in den Krieg gelogen wurde, weiter gewachsen. Der »Observer« enthüllte, dass es Blair selbst war, der aus Angst »vor einem Schauprozess« Brown drängte, den Irak-Ausschuss geheim einzurichten. Dieser Umstand wird Blair, als Kandidat für den neuen EU-Ratspräsidenten im Gespräch, kaum nutzen. Der »Guardian« zitierte aus einem Geheimtreff bei Blair im Juli 2002, neun Monate vor der Irakinvasion. Der Chef des Auslandsgeheimdienstes MI6, Dearlove, berichtete dort von einem Besuch in Washington, bei dem er in puncto Kriegsplanung gegen Irak gespürt habe, dass »nachrichtendienstliche Arbeit und Fakten so geordnet wurden, dass sie vorgefasster Politik entsprechen« - nicht umgekehrt.

Als Blair am 3. Februar 2003 im Parlament die Hoffnung äußerte, Krieg könne vermieden werden, wusste er laut Geheimmemorandum vom 31. Januar bereits von 1500 Bombenzielen, die das Weiße Haus in Irak bestimmt hatte. Dem Memo zufolge sicherte Blair Bush »feste Unterstützung« für eine von den USA geplante Provokation gegenüber Saddam Hussein zu: Wegen der Schwierigkeit für die NATO, Massenvernichtungswaffen in Irak zu finden, wollte Washington ein U2-Spionageflugzeug als UN-Maschine über den Irak schicken - in der Hoffnung, Saddam werde es abschießen und so einen Kriegsvorwand liefern.

Eine Gruppe von 13 britischen Ärzten erklärte, dass der britische Experte für biologische Kriegführung aus dem Verteidigungsministerium, Dr. David Kelly, der sich im Sommer 2003 kritisch zu Blairs Kriegsbegründung geäußert und kurz darauf mutmaßlich Selbstmord begangen hatte, ermordet worden sein könnte. Die Ärzte machten laut »Morning Star« darauf aufmerksam, dass es seinerzeit »unüblicherweise keine Leichenobduktion gegeben hat«. Dr. David Halpin, einer der Mediziner, sagte: »Wir haben Hinweise auf Verschleierung. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass Dr. Kelly ermordet wurde.«

* Aus: Neues Deutschland, 4 August 2009


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