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Gesundheitsstatus der Iraker verschlechtert sich - Zahl der Toten steigt weiter

IPPNW fordert: Zerstörtes Gesundheitswesen muss dringend repariert werden - Presseerklärung

Im Folgenden informieren wir über eine Presseerklärung sowie weitere Presseinformationen, welche die IPPNW am 11. November 2003 in London und in 13 weiteren Ländern veröffentlicht hat.


Berlin, den 11.11.03 Ein internationales Team von Ärzten und Wissenschaftlern der IPPNW, der Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, forderte heute in London die britische und die US-Regierung auf, endlich für ein funktionierendes Gesundheitswesen im Irak zu sorgen und verlässliche Daten über die Erkrankten, Verletzten und Toten im Irak zu sammeln.

Das internationale Wissenschaftlerteam hat unter Federführung der britischen IPPNW-Sektion, Medact, in den vergangenen Monaten sämtliche zur Verfügung stehenden Informationen über die Gesundheits- und Umweltfolgen des Irakkrieges zusammengetragen und ausgewertet.

Ihr Ergebnis: Bis heute hat der Irakkrieg mindestens 20.000 irakische Tote gekostet. Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl der Todesopfer weit höher liegt, da viele Tote nicht gezählt wurden. Mindestens 40.000 Iraker sind verletzt worden. Und schlimmer noch: Die Zahl der Toten und Verletzten steigt weiter an. Durch Streubomben wurden insgesamt 340.000 kleine Sprengsätze auf den Irak abgeworfen. Seit dem Krieg sind 1.000 Kinder durch Munitionsreste, vor allem Sprengsätze, verletzt worden. Dazu kommen nach Expertenschätzungen 1000-2000 Tonnen Uranmunition. Bis heute ist nicht geklärt, ob diese Munition für das Ansteigen der Krebsraten im Irak nach dem vorvergangenen Irakkrieg verantwortlich ist.

Zu den Verletzungen kommt der generelle Gesundheitsstatus der irakischen Bevölkerung. Die Gesundheitslage im Irak, besonders die der Kinder, führte bereits vor dem Krieg zu internationaler Besorgnis. Eins von acht Kindern starb vor seinem fünften Geburtstag und ein Viertel der Babys wurde unterernährt geboren. Die nach wie vor mangelhafte Wasserversorgung und der Zusammenbruch der offiziellen Nahrungsmittelversorgung hat die Situation dieser extrem verletzlichen Gruppe weiter verschlechtert. Durchfallerkrankungen, Thyphus und Cholerafälle treten vermehrt auf. Unicef berichtete, dass sich die Unterernährung irakischer Kinder nach dem Krieg verdoppelt hat und sieben von zehn Kindern unter Durchfall litten. Das irakische Gesundheitssystem war nicht in der Lage auf diese Krise zu reagieren. Sieben Prozent der Krankenhäuser wurden während des Krieges zerstört, zwölf Prozent geplündert, Gerät und medizinisches Personal fehlen nach wie vor. Impfstoffe und Arzneimittel können aufgrund der immer wieder ausfallenden Stromversorgung nicht ausreichend gekühlt werden.

"Die gesundheitlichen Folgen des Irakkrieges werden die Menschen im Irak auf Jahre, wenn nicht Generationen verfolgen", sagt Mike Rowson, Direktor der britischen IPPNW-Sektion MEDACT.

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Berlin, 11.11.03, Neuer Bericht zeigt gesundheitliche Langzeitfolgen des Krieges gegen Irak auf und die Opferzahlen steigen weiter

Die Gesundheitsfolgen des Irak-Krieges 2003 werden die Menschen im Irak auf Jahre, wenn nicht sogar auf Generationen verfolgen. Das ist das Ergebnis eines neuen Berichts, den eine globale Gesundheitsorganisation am 11. November in London und weiteren 13 Ländern vorstellen wird.

Der britische MedizinerInnenorganisation Medact (britische Organisation der IPPNW) belegt, welchen hohen Blutzoll der Krieg gegen Irak und seine Folgen von Kriegsbeteiligten und Zivilbevölkerung bereits gefordert haben. Gerade sie werden auch weiterhin mit Tod, Verletzungen sowie psychischen und physischen Krankheiten bezahlen müssen - und ihre Anzahl wird weiter steigen.

Der neue Bericht, Fortgesetzter Kollateralschaden: Die Gesundheits- und Umweltfolgen des Krieges gegen Irak, schätzt, dass dieser Krieg bereits über 20.000 irakische Tote verursacht haben kann und widmet sich besonders der Verschlechterung des generellen Gesundheitszustandes der irakischen Bevölkerung seit dem Krieg.

Die Gesundheitslage im Irak, besonders die der Kinder, rief bereits vor dem Krieg internationale Besorgnis auf den Plan. Eines von acht Kindern starb bereits vor seinem fünften Geburtstag und ein Viertel der Babys wurde unterernährt geboren. Die Auswirkungen des Krieges des Jahres 2003 verschlimmerten diesen Gesundheitszustand noch, denn sie betrafen Menschen, die bereits geschwächt waren.

Besonders solche verletzlichen Gruppen wie Frauen und Kinder leiden besonders unter dem Zusammenbruch von Recht und Gesetz, der fehlenden Sicherheit und der zerstörten Infrastruktur. Die heimgesuchte irakische Gesundheitsversorgung war nicht in der Lage auf diese Krise zu reagieren. Für jeden Ali Abbas, den schwer verwundeten Vollwaisen, der nun intensive Behandlung in Großbritannien erfährt, finden sich Tausende von schwer versehrten Kindern ohne einen gesicherten Zugang zu entsprechender Gesundheitsversorgung, ganz zu schweigen von einer ausgereiften Rehabilitation.

Die Ergebnisse hat Medact seit März 2003 in einer umfassenden unabhängigen Untersuchung der gesundheitlichen und Umweltfolgen des Krieges zusammengetragen. Die Untersuchung führte ein internationales Autoren- und Berater-Team durch, die alle Experten im Bereich Gesundheit und Konflikt sind.

"Der eingeschränkte Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen, die Armut, Unterernährung und die Störung der öffentlichen Versorgung einschließlich der Gesundheitsdienste wird weiterhin schlimme Folgen für den Gesundheitszustand der irakischen Bevölkerung haben", erklärt die Autorin des Berichts Dr. Sabaya Farooq.

Der schlechte Gesundheitszustand wird zudem durch die umfassende kriegsverursachte Kontaminierung von Erde, Flüssen und der Luft gefährdet. "Die gesundheitlichen und umweltbezogenen Konsequenzen des Krieges werden noch auf Jahre zu spüren sein", unterstreicht der Präsident von Medact und internationaler Gesundheitsexperte Dr. June Crown, die der Pressekonferenz vorsitzen wird.

Die im Bericht vorgelegte Analyse der Gesundheitslage nach dem Krieg weist darauf hin, dass Gesundheit und Wohlbefinden langfristig von der Wiederherstellung der Sicherheit, der Revitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft und der Sanierung aller gesellschaftlichen Dienstleistungen, die Einfluss auf die Gesundheit - einschließlich der Gesundheitsdienste -, ausüben, abhängen wird.

"Die internationale Gemeinschaft hat die Pflicht, die langfristigen Auswirkungen dieses Konfliktes durch Einhalten gemachter Finanzierungszusagen so weit wie möglich zu entschärfen. Zugleich tragen die Geber die Verantwortung, Mittel nicht von anderen Krisenländern abzuziehen", sagt der Direktor von Medact, Mike Rowson.

(Der Bericht wurde auf einer Pressekonferenz in London am Dienstag, den 11. November 2003 in den Räumen der Britischen Ärztekammer, Tavistock Square, London WC 1 vorgestellt.

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Berlin, 11.11.03, Fortgesetzter Kollateralschaden: Die Gesundheits- und Umweltfolgen des Krieges gegen den Irak

Kurzfassung des Berichts "Fortgesetzter Kollateralschaden: Die Gesundheits- und Umweltfolgen des Krieges gegen Irak"

Den Blutzoll des Krieges gegen den Irak und seine Nachwirkungen tragen Soldaten und Zivilisten durch Tod, Verletzungen und psychischen und physischen Erkrankungen. Zwischen 21.700 und 55.000 Menschen starben zwischen dem 20. März und dem 20. Oktober 2003 (dem Redaktionsschluss des Berichts) und die Gesundheits- und Umweltfolgen des Konfliktes werden noch auf Jahre zu spüren sein.

Diese Opferzahlen hat die umfassende, unabhängige Untersuchung des "Iraqi Health Monitoring Project" (Projekt Irakische Gesundheitsbeobachtung) durch Mitarbeiter des Gesundheitswesens recherchiert. Die Untersuchung hat Medact unterstützt von Oxfam, organisiert. Die Schlussfolgerungen des Berichts greifen für viele Gesundheitsindikatoren auf zuverlässigen Informationen aus öffentlichen Quellen und die Beobachtungen von Experten und Organisationen in-und außerhalb des Irak zurück.

Die Auswirkungen eines Krieges werden üblicherweise durch seine direktesten und sichtbarsten Folgen bemessen - Tod und Verwundungen durch den Konflikt. Zwischen 7.800 und 9.600 irakische Zivilsten und 394 Kämpfer der Koalition sind auf diese Weise ums Leben gekommen. Schätzungen der Opfer auf Seiten des irakischen Militärs liegen zwischen 13.500 und 45.000. Doch ohne offizielle Zählung der Todesopfer wird die Gesamtzahl wahrscheinlich niemals abschließend bekannt sein. Zudem erlitten tausende von Kämpfern auf beiden Seiten, wie auch Zivilisten, schwere Verletzungen, einschließlich Amputationen und Traumata, die zu psychiatrischen Störungen führen. Wie der Bericht belegt, wurden viele dieser Todesfälle und Verletzungen durch den Einsatz von Waffen strittiger Legalität zugefügt.

Die gesamte Auswirkung des Krieges zeigt sich jedoch auf weniger direkte aber potentiell gleichermaßen tödliche Art. Dann werden die Todesfälle und die Krankheiten in Zehntausenden gezählt. Jedoch werden diese Fälle aufgrund fehlender akkurater Daten, fehlender funktionierender Gesundheitsinformationssysteme, fehlender Verbindlichkeit beim Sammeln und Aufbereiten der Daten und in Abwesenheit allgemein anerkannter Modelle der Berechnung von Gesundheitsfolgen in Konflikten nie als sicher gelten.

Der Bericht versucht die Auswirkung des Krieges auf entscheidende Faktoren einzuschätzen, wie dem der Gesundheit, einschließlich dem eingeschränkten Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäreinrichtungen; dem der Armut und Sicherheit der Lebensmittelversorgung der Haushalte; dem der Verschlechterung der Umwelt; dem der Störung des sozialen Systems und der öffentlichen Dienste, einschließlich der Gesundheitsversorgung; und der Störung des sozialen Gefüges. Bei all diesen entscheidenden Faktoren hat es Verschlechterungen gegeben. Der Gesundheitszustand der irakischen Bevölkerung ist generell schlechter als vor dem Krieg. Und wie der Vorgängerbericht "Kollateralschaden" vom November 2002 dokumentierte, war der Gesundheitszustand im internationalen Vergleich bereits schlechter; es war zu erwarten, dass jeder erneute Konflikt erwartungsgemäß zumindest in der kurz- bis mittelfristigen Perspektive zu einer weiteren Verschlechterung beitragen würde.

Zudem werden die Folgen des Krieges für die Umwelt des Irak dokumentiert. Das schließt die extensive Vergiftung des Bodens, des Meeres, der Flüsse und der Atmosphäre mit ein, die auch auf benachbarte Länder übergegriffen haben kann. Brennende Ölquellen führten zu Ölverseuchungen und giftigem Rauch. Truppenbewegungen zerstörten die empfindliche Wüstenökologie. Explosive Überbleibsel des Krieges und Landminen töteten und verletzten Menschen und Tiere und verseuchten die Landschaft. Bombardierungen zerstörten sowohl die Ackerkrume und kultur- und weidefähiges Land als auch die Infrastruktur wie Gebäude, Straßen, Bahnstrecken, Elektrizitätswerke, Abwasserwerke und Telekommunikation.

Der Bericht analysiert die Nachkriegsokkupation und den Wiederaufbau des Irak aus dem Blickwinkel der Gesundheit. Während alle Bemühungen um die Bereitstellung zügiger gesundheitlicher Nothilfe und die Wiederherstellung des angeschlagenen Gesundheitssystems anerkannt werden, wird zugleich betont, dass langfristige Gesundheit und Wohlbefinden von der Wiederherstellung der Sicherheit abhängen, der Wiederbelebung der Wirtschaft und dem Wiederaufbau all jener Dienste, die einen Einfluss auf die Gesundheit und die Regeneration des Gesundheitssystems haben.

Der Bericht befürwortet zudem die Notwendigkeit, die Langzeitfolgen des Krieges auf die mentale und psychische Gesundheit zu untersuchen, ein international vernachlässigtes Thema - trotz der fortwährenden Anwesenheit von Konflikten auf der Welt, deren massive Gesundheits- und menschlichen Kosten selten umfassend gezählt werden.

Zum Abschluss empfiehlt der Bericht den Aufbau eines irakischen Gesundheitssektors auf der prinzipiellen Grundlage, dass Gesundheit und Gesundheitsversorgung ein fundamentales soziales Recht sind. Der notwendige Wiederaufbau des Gesundheitssystems bietet die Möglichkeit, vergangene Fehler in der Organisation des Gesundheitsdienstes zu korrigieren. Er kann ein wichtiger Beitrag zum Aufbau der Nation sein und gesunde internationale Beziehungen und im Land fördern, durch die, wie die WHO unterstreicht, Gesundheit als eine Brücke zum Frieden wirken kann.

Continuing Collateral Damage: the health and environmental costs of war on Iraq wird am 11. November 2003 in London von der globalen Gesundheitsorganisation Medact, der britischen Mitgliedsorganisation der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) - Trägerin des Friedensnobelpreises 1985, herausgegeben. Der Bericht wird zeitgleich in Boston, Massachusetts, durch den IPPNW-Weltverband und in 12 weiteren Ländern durch IPPNW-Mitgliedsorganisationen vorgestellt.

Der Bericht liegt in Englisch, Arabisch und Italienisch auf den Internetseiten von Medact unter www.medact.org und www.ippnw.org vor.

Quelle: www.ippnw.de

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