Nach Saddam Husseins Sturz
Das dicke Ende kommt noch
Von Reiner Bernstein
Niemand weint Saddam Hussein eine Träne nach. Der Despot und seine Kamerilla haben das irakische Volk mehr als zwei Jahrzehnte schikaniert, ihre Willkür hat Hunderttausenden das Leben gekostet, und noch mehr haben unter den UN-Sanktionen gelitten, während die Produzenten von Mord und Totschlag in Saus und Braus lebten.
Völkerrecht hin oder her, die Legitimationsdebatten der vergangenen Monate über den amerikanisch-britischen Aufmarsch haben sich erledigt. Der Kriegserfolg scheint jenen Recht zu geben, die von vornherein auf den Einsatz militärischer Mittel setzten; die Drohkulisse seit November letzten Jahres war nicht mehr als ein Schleier diplomatischer Künste, hinter dem längst gefällte Entscheidungen verborgen werden sollten. Wieder einmal macht die altgriechische Binsenwahrheit von den vielen Vätern eines Sieges in den westlichen Medien die Runde. Doch kann solche Genugtuung nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit dem Sturz Saddams ein Völkerrechtssystem beiseite gefegt wird, das sich auf eine mehr oder minder verlässliche Effektivität des kooperativen internationalen Rechts stützte, zumal nach dem Kalten Krieg. Von ihm droht nichts mehr übrig zu bleiben. Wenn Gerhard Schröder das bevorstehende Ende des Krieges als "erfreuliches Anzeichen" bezeichnet hat, sollte er über die berechtigte Sorge um die leidende Zivilbevölkerung hinaus ein Stück der politischen Strategie preisgeben, der sich die Bundesregierung verpflichtet sieht. Davon ist jedoch weit und breit nichts zu sehen.
Nachdem George W. Bush in den vergangenen Wochen zunächst die bedingungslose Kapitulation Saddams verlangt hatte, gehört diese Forderung seit dem 18. März der Vergangenheit an. Mit dem völkerrechtlichen Verbot, eine Staatsdiktatur von außen zu stürzen, hat Washington vollständig gebrochen. Donald Rumsfelds triumphalistische Geste, die Saddam in eine Reihe mit Hitler und Stalin rücken wollte, führt bewusst in die Irre: Während Nazi-Deutschland nach der Unterwerfung halb Europas von einer alliierten Kriegskoalition niedergerungen und die Hauptschuldigen in Nürnberg vor Gericht gestellt wurden, ging die Terrorherrschaft Stalins nach dessen Tod zu Ende. Es folgte das Siechtum der Sowjetunion, das schließlich in sich zusammenbrach, ohne Blutvergießen.
War die unerbittliche Jagd nach Osama Bin-Laden verständlich und stieß sie weltweit auf breite Sympathien, so befinden wir uns im Falle Saddams auf einem anderen Spielfeld. Die systematischen Bombardierungen seiner Paläste und Schlupfwinkel zielten und zielen nicht nur auf seinen gewaltsamen Tod, sondern Washington schließt das Regime eines Staates als Unterzeichner eines Waffenstillstandes oder gar eines künftigen Friedensvertrages wie selbstverständlich aus. Der Tyrann und seine Umgebung sind keines politischen Blickes und keines Gerichtsverfahrens würdig, es sei denn es unterläge der amerikanischen Kontrolle; Den Haag ist ein unbekannter Ort. Damit zeigt sich eines: Die Asymmetrie in den geleugneten zwischenstaatlichen Beziehungen hat sich in der amerikanischen Waffentechnologie ebenso bewährt, wie sie ihren Niederschlag in der vollständigen Delegitimierung Saddams und seiner Herrschaft finden soll. Indem das amerikanische Militär der Bilderstürmerei, den Plünderungen und der Anarchie auf den Straßen der eroberten Städte keinen Einhalt gebietet, legt es die Hilflosigkeit gegenüber Gesetzesbrechern als Teil einer Strategie darauf anlegt, die Erinnerung an die völkerrechtlich verbriefte Integrität eines souveränen Staates und seiner Regierung von Grund auf auszulöschen.
Mit dem 11. September, so Charles Krauthammer, Kolumnist der "New York Times" und anderer großer Blätter, müsse der bislang geübte "teuflische Deal" des amerikanischen Appeasement und der Abschreckung mit der Überschrift "Ihr gebt uns Öl, dafür mischen wir uns nicht in eure Angelegenheiten ein" einer aggressiven Politik des vorbeugenden Angriffs weichen. In diesem Szenario, dem pragmatische Vorstellungen einer friedlichen Transformation auf dem Weg zu demokratischen Verhältnissen fern liegen, kommt nach Auffassung Krauthammers der amerikanischen Präsenz im Irak eine zentrale Rolle als erster Station für den gesamten nah- und mittelöstlichen Raum zu. Wenn also der Sieg über Saddam tatsächlich die Erwartungen Washingtoner Strategen erfüllt, die Stellung Amerikas in der Welt für die kommende Generation zu erweitern, dann werden künftig andere Regierungen im Nahen und Mittleren Osten an ihrem politischen Wohlverhalten gemessen. Dieses einzig auf das nationale Interesse bedachte Konzept dürfte, wenn es sich durchsetzt, beängstigende Folgen für die Geltung der internationalen Rechtsordnung haben. Kein Kabinett und keine Bevölkerung, die sich ihm widersetzen und damit dem automatischen Verdacht unterliegen, zur "Achse des Bösen" zu zählen, könnten unter Verweis auf nationale Souveränität und politische Selbstbestimmung vor einer gewaltsamen Intervention sicher sein. Nicht umsonst lässt sich die Administration auf keine Definition ein, was sie unter einer bedeutsamen Rolle der Vereinten Nationen im Rahmen einer Nachkriegsordnung versteht. In Belfast sprach Bush von Nahrungsmitteln und medizinischen Hilfsgütern.
Ein besonders verhängnisvolles Gewicht würde jener militärisch vermittelte Unilateralismus auf den Jahrhundertkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern ausstrahlen. Bushs Zusage vom Februar, dass die USA nach dem Sturz Saddams auf eine dauerhafte Zweistaatenlösung hinarbeiten, wird ebenso schnell in Vergessenheit geraten, wie es Colin Powells Ankündigung einer Friedenskonferenz im vergangenen Sommer erging. Nach dem ausführlich gefeierten Schlussstrich unter das irakische Schreckensregime werden sich die Palästinensern weniger denn je des Generalverdachts erwehren können, ein Kollektiv von Terroristen und Gewalttätern zu sein, das keinen eigenen Staat verdient - es sei denn unter israelischem Patronat. Auf die Ursachen der Selbstmordattentate braucht man keinen Gedanken zu verschwenden. Damit ist auch die "Road Map" des Quartetts aus den USA, Russland, der Europäischen Union und dem UN-Generalsekretär schon vor ihrer förmlichen Veröffentlichung vom Tisch, zumal da Joschka Fischer die Marschrichtung von Condoleezza Rice bestätigt hat, dass Washington weiterhin der Platz auf dem Fahrersitz gebührt.
Die deutsche Bundesregierung ist mit ihrem Willen zur Entwicklung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik drauf und dran, den Anspruch Europas, auf friedliche Verhältnisse im Nahen Osten hinzuwirken, diplomatisch kampflos zu untergraben und die Briten zu entmutigen, sich aus der amerikanischen Umklammerung als Juniorpartner in der Region zu befreien. So erübrigt sich binnen kurzem Fischers Ausruf, die transatlantischen Beziehungen seien nicht das Problem zuviel Amerika, sondern zu wenig Europa. Das Feld bleibt wiederum jenen Politikern überlassen, die für die deutsche Wirtschaft auf ein kräftiges Stück des Wiederaufbaukuchens im Irak drängen. In der Vergangenheit lautete dieser Satz europaweit: Wir wollen uns damit begnügen, durch wirtschaftliche und infrastrukturelle Maßnahmen die andernorts in die Wege geleiteten politischen Schritte für den Nahen Osten abzustützen - "payer, not player".
In den vergangenen Tagen kam aus der Azhar-Universität in Kairo eine Erklärung, wonach der Djihad zur Pflicht jedes erwachsenen Muslim werde, wenn der ungläubige Feind sein Land besetze. Es bedarf keiner prognostischen Fähigkeiten für die Voraussage, dass der irakische Jubel über den Sturz des Diktators schnell verklingen wird, wenn Washington als wohlwollender Hegemon mit einer aus Exilanten gebildeten und schon heute als teilweise korrupt verschrienen Übergangsregierung oder gar mit einem amerikanischen "Vizekönig" antritt. Das anfängliche Vertrauen vieler Iraker, ein Symbol ihrer neuen Freiheit, dürfte der Ernüchterung über die Invasoren weichen. Auf den israelisch-palästinensischen Konflikt bezogen wird sich herausstellen, wer in diesem Ringen die Oberhand behält, die gesamtarabische Solidarität oder ihr Gegenstück, die "jüdische Lobby". Krauthammer schloss seine strategischen Überlegungen mit der Ahnung, wenn Amerika diesen Kampf verliere, seien die Konsequenzen katastrophal. Dieser Hypothese ist nichts hinzuzufügen.
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