Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

US-Umgruppierung: Aus Irak nach Afghanistan

Bushs letzte Kommandierungen – Obama fordert noch mehr Einsatz am Hindukusch

Von René Heilig *

US-Präsident George W. Bush will bis zum Ende seiner Amtszeit 8000 Soldaten aus Irak abziehen. Das ist weniger, als die Administration in Washington bislang angekündigt hatte. Doch Bush verkündete zugleich, die US-Truppen in Afghanistan um etwa 4500 Soldaten zu verstärken.

Bush folgt angeblich einer Empfehlung seiner Kommandeure vor Ort. Falls sich die Lage weiter stabilisiert, sind zusätzliche Truppenabzüge in der ersten Hälfte 2009 möglich. Doch diese Entscheidung obliegt dann Bushs Nachfolger, der Ende Januar das Präsidentenamt antreten wird.

Vorgesehen ist bislang, dass in den nächsten Monaten schrittweise 3400 Soldaten aus rückwärtigen Einheiten abgezogen werden. Im November sollen tausend Marineinfanteristen in die USA zurückkehren. Für den Februar 2009 ist der Rückzug einer Heeresbrigade von 3500 bis 4000 Mann geplant.

Zur Zeit sind etwa 146 000 US-Soldaten in Irak stationiert und die reichen angeblich aus, um die Lage zu beherrschen. Bush wies stolz darauf hin, dass die Gewalt das niedrigste Niveau seit Anfang 2004 erreicht habe. Die irakischen Streitkräfte hätten, so ergänzen US-Militärs, inzwischen ein hohes Niveau der Bereitschaft erreicht. Wie es scheint, ist also Irak das kleinere Problem der USA.

Die »zentrale Front im Krieg gegen den Terrorismus« verläuft nicht in Irak, sondern in Afghanistan und in Pakistan. Das meint auch der demokratische Präsidentschaftskandidat, Barack Obama. Er bestreitet, dass Bush und sein republikanischer Präsidentschaftskandidatenkonkurrent, John McCain, die Situation begriffen hätten. Wahlkampfgetöse, denn: »Klar, dass wir noch mehr tun müssen«, hat im Abschnitt Afghanistan am Dienstagabend auch in Bushs Redemanuskript gestanden.

Die USA haben derzeit fast 31 000 Soldaten am Hindukusch stationiert und es ist geplant – parallel zur Verringerung des US-Truppenkontingents in Irak –, rund 4500 Soldaten zusätzlich nach Afghanistan zu schicken. Der afghanische Staatschef Hamid Karsai hat verhalten auf diese Pläne reagiert. Zusätzliche Soldaten seien willkommen, solange sie »wirksam gegen den Terrorismus« vorgingen, sagte Karsai am Dienstag unter Anspielung auf mutmaßliche Stellungen islamistischer Kämpfer im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan. Wichtiger sei jedoch auf »lange Sicht« der »Aufbau staatlicher afghanischer Einrichtungen«. Dies, so hatte die Bundesregierung gleichfalls klargemacht, sei eine wesentliche Aufgabe, der sich Deutschland verpflichtet fühle.

So wie US-Befehlshaber befürchtet Karsai für den kommenden Winter verstärkte Angriffe von Aufständischen. Die USA hatten Anfang des Jahres bereits zusätzliche Marines in die Provinz Helmand verlegt. Sie sollten britische Kräfte, die eine wichtige Nord-Süd-Straße schützten, entlasten. Man konnte den Gegner zurückdrängen. Es ist allerdings fraglich, ob die britische Armee das Gebiet nun halten kann.

* Aus: Neues Deutschland, 11. September 2008

Mitreißender Obama

Von René Heilig **

Es ist ja verständlich und durchaus sympathisch, dass weltweit so viele Menschen Hoffnungen auf Barack Obama setzen. Doch Vorsicht, wer ihn allzu sehr in die Nähe der Kennedys und von Martin Luther King rückt, wird vermutlich enttäuscht. Kandidat Obama fährt einen knallharten Kriegskurs gegen Afghanistan. Mit mehr Soldaten, mit mehr Einsatz will er endlich den Sieg erringen über – ja, über wen eigentlich?! Da überholt er glatt den noch amtierenden Bush. Und das will etwas heißen!

Wenn Obama mehr Soldaten in den Kampf um Afghanistan schicken will, dann meint er nicht nur US-Truppen. Erinnern wir uns: Obama stellte sich vor die Berliner Siegessäule und die meisten Kommentatoren bescheinigten ihm danach, eine mitreißende Rede gehalten zu haben. Mitreißend? Vielleicht, wenn man akzeptiert, dass er Deutschland noch tiefer in den Afghanistan-Strudel ziehen wollte. Nicht ohne Not entwarf die Bundesregierung danach ihr angeblich neues Afghanistan-Konzept. Darin versucht man, noch bevor Obamas Forderungen (die von McCain würden kaum anders lauten) zwingend werden, die Rolle Deutschlands im Krieg am Hindukusch festzuschreiben. Erneut verspricht man, die Obergrenze für deutsche Soldaten in Afghanistan von 3500 auf 4500 hochstimmen zu lassen.

Man mag einwenden, dass in dem Berliner Konzept auch 1,1 Milliarden Euro für rein zivile Hilfe angeboten werden. Stimmt: 1,1 Milliarden in neun Jahren – also gut 120 Millionen pro Jahr. Die Bundeswehr verschlingt in Afghanistan pro Jahr 450 Millionen Euro. Das ist viel, sehr viel – und viel zu wenig, um Obama oder McCain zu beeindrucken.

** Aus: Neues Deutschland, 11. September 2008 (Kommentar)



Militäroffensive im Norden Iraks

Angriffe auf Tel Afar / Viele Tote / Tausende Familien auf der Flucht

Von Karin Leukefeld ***

Einen Tag nach Beginn der Offensive in Tel Afar war die Lage in der nordirakischen Stadt dramatisch. Tausende Familien sind auf der Flucht. USA-Truppen und die irakische Armee hatten am Sonnabend (6. Sept.) in der Rebellenhochburg 50 Kilometer vor der syrischen Grenze einen großangelegten Angriff begonnen und – wie es hieß – über 150 »Aufständische« getötet.

»Wir haben ein demokratisches Klima, es gibt Dialoge, Diskussionen, unterschiedliche Ideen und Ansichten. Aber alles in allem ist die irakische Gesellschaft vereint.« Die Verhältnisse in der nordirakischen Stadt Tel Afar kann Iraks Präsident Dschalal Talabani nicht gemeint haben, als er sich kürzlich vor Journalisten in Washington äußerte. Seit Sonnabendmorgen, 2 Uhr, herrscht in Tel Afar offiziell Krieg. Er habe die irakischen Truppen beauftragt, »die Stadt von allen verbliebenen terroristischen Elementen zu säubern. Die Truppen werden von den multinationalen Streitkräften unterstützt«, hieß es in der Erklärung von Ministerpräsident Ibrahim al-Dschafari, die im Staatsfernsehen Al-Iraqia von Verteidigungsminister Sadun al-Dulaimi verlesen wurde. Auch in Ramadi, Khaim, Rawa und Samara seien Angriffe geplant. Militärangaben zufolge sollen in Tel Afar bisher mehr als 150 »Aufständische« getötet worden sein.

Einwohner, wie Kasim Omer von der Irakisch-Turkmenischen Demokratischen Partei, sprachen von 213 getöteten Zivilisten. Das zentrale Krankenhaus sei von USA-Truppen besetzt worden. Die Stadt, in der rund 200 000 Menschen leben, darunter viele sunnitische Turkmenen, sei vom Militär umstellt. An den Kontrollpunkten würden fliehende Familien auseinander gerissen. Während Frauen und Kinder zu einem Flüchtlingslager des Irakischen Roten Halbmonds durchgelassen werden, würden viele Männer festgenommen.

Die Vereinigung der Muslimgelehrten verurteilte die Militäroffensive als »konfessionsbedingten Hass«, von dem die politische Führung Abstand nehmen müsse. »Die terroristischen Elemente wollen den Bürgern von Tel Afar ihre Zukunft in einem demokratischen und friedlichen Irak verweigern«, hieß es hingegen in der Erklärung des Ministerpräsidenten Dschafari. »Wir wollen diese Rechte garantieren. Genau deswegen werden diese Operationen durchgeführt.«

Seit Monaten werden Städte entlang Grenze zu Syrien als »Hochburgen der Al Qaida« angegriffen. Die Vereinten Nationen übten in ihrem letzten Zweimonatsbericht über die »Lage der Menschenrechte in Irak« deutlich Kritik: »Spezielle Sicherheitsoperationen, (...) besonders in der Al- Anbar-Provinz und in Tel Afar, haben zur Vertreibung der Bevölkerung geführt«, heißt es in dem Report vom 8. September. Angeblich würden Scharfschützen und geächtete Waffen eingesetzt. Die Verantwortlichen dafür müssten Auskunft geben und den Gebrauch solcher Waffen einstellen, forderte die UNO.

Unterdessen wurde der nördlichste von drei Grenzübergängen zu Syrien bis auf weiteres geschlossen. Das bestätigte der Direktor der syrischen Zollbehörde, Faisal Ibrahim. Die Schließung des Übergangs Al-Rabia im Norden Iraks steht im Zusammenhang mit der Offensive der USamerikanischen und irakischen Truppen in der Stadt Tel Afar.

In Südirak wurde ein britischer Soldat bei einem Bombenanschlag getötet. Drei weitere Militärs erlitten Verletzungen.

*** Aus: Neues Deutschland, 11. September 2008


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