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Tschüs, Irak!

Von Robert Dreyfuss *

Wie David Letterman festgestellt hat, könnten wir die letzten US-Truppen, die den Irak diesen Monat verlassen, bitten, die Lichter auszuschalten, was aber unnötig wäre, da es im Irak keine Elektrizitätsversorgung mehr gibt.

Heute trifft sich Präsident Obama mit dem Premierminister Nouri al-Maliki, um in einer offiziellen Zeremonie das Ende des Krieges zu verkünden. Nach achteinhalb Jahren hinterlassen die USA eine durch den fehlgeleiteten und illegalen Krieg völlig zerstörte Nation und Gesellschaft. Hunderttausende Iraker sind tot, und eine ganze Generation von Kindern vom Krieg gezeichnet und traumatisiert. Die Infrastruktur und Industrie des Irak wurden zerstört. Und an die Stelle von Saddam Hussein ist Maliki getreten, ein schiitischer religiöser Fundamentalist – mit engen Beziehungen zum Iran – der dabei ist, schnell ein autoritäres Regime aufzubauen.

Aber das reicht den Neokonservativen und vielen Republikanern noch nicht, die den Krieg und die US-Präsenz dort fortsetzen und noch ausdehnen wollen.

Wie die Washington Post am Wochenende berichtete, empfinden die Iraker nicht gerade innige Gefühle für die Vereinigten Staaten. Die Folgen der religiösen und ethnischen Massaker durch US-Truppen wirken da noch nach. Der Artikel der Post „Tötung von Zivilisten schuf unüberwindliche Hindernisse für Fortsetzung der US-Truppenpräsenz im Irak“ beleuchtete das entsetzliche Massaker in Haditha, bei dem US-Marinesoldaten in einer Orgie von Barbarei neunzehn Zivilisten töteten, darunter zehn Frauen und Kinder. Ferner heißt es dort :

„Hinsichtlich dieser Fakten stimmen die Berichte der USA und der Iraker überein. In praktisch allen anderen Punkten – warum es passierte, ob es gerechtfertigt war und wie es abschließend gelöst wurde – gibt es jedoch keine Übereinstimmung.“

"Und diese einander widerstreitenden Wahrnehmungen der Tötungen in Haditha und anderswo im Land zerstörten die Hoffnungen des US-Militärs auf Aufrechterhaltung einer langfristigen Präsenz hier. Als die Entscheidung über die Zukunft der US-Truppen im Irak anstand, bildete die Forderung der irakischen Politiker nach einer Beendung der Gewährung von Immunität zum Schutz von im Dienst agierenden US-Soldaten vor irakischen Gerichten ein unüberwindliches Hindernis für ein Abkommen."


Im Christian Science Monitor erinnert uns Scott Peterson bei seiner Beschreibung der Erlebnisse der Khafaji Familie an die beinahe unvorstellbaren Verluste, die die Iraker erlitten, wobei viele den USA die Schuld an ihrem Trauma geben, selbst wenn einige der Tode durch Iraker, etwa auch Aktionen des Widerstands, verursacht wurden.

Das fragile soziale Gewebe des Iraks ist praktisch zerfetzt worden durch Dinge wie Bombenanschläge, Tötungen, Folter und Umwälzungen, die wie die Khafaji Familie auch viele andere Iraker trafen, sei es durch Sunni-Extremisten wie Al-Kaida , schiitische Milizen oder US- oder irakisches Militär. Während die USA über 4500 Soldaten verloren – und beinahe 1 Billionen Dollar ausgaben – sind die menschlichen Verluste auf Seiten der Iraker nicht quantifizierbar und unvorstellbar hoch, mit Schätzungen zur Anzahl von Menschen, die in den Jahren des Aufstands und des religiösen Bürgerkriegs ums Leben kamen, die in die Hunderttausende gehen.

Fred und Kim Kagan weisen in einem Kommentar in der Post zutreffend darauf hin, dass Maliki derzeit seine Macht vergrößert durch zwangsweises Ausheben von Sunniten und angeblichen Baathisten, während er sich zur gleichen Zeit weigert, seinen Zugriff auf das Innen- und das Verteidigungsministerium aufzugeben. Aber die Autoren gehen zu weit, wenn sie die Obama-Regierung dafür kritisieren, nicht in stärkerem Maße bei der Ausgestaltung irakischer Politik und Sicherheitsangelegenheiten zu amerikanischer Zufriedenheit eingegriffen zu haben.

Die Politik der US-Regierung geht davon aus, dass Maliki im Allgemeinen die US-Interessen teilt und diese auch ohne signifikante amerikanische Unterstützung verfolgen wird. Wenn das zuträfe würde Maliki amerikanisches ziviles und Botschaftspersonal massiv schützen, das von dem Geistlichen Muqada al-Sadr bedroht und kürzlich in einer Weise angegriffen wurde, dass die Botschaft beschloss, dessen Bewegungsfreiheit im Land stark einzuschränken. Maliki würde Sicherheitskräfte anweisen, gegen vom Iran unterstützte Milizen im Irak vorzugehen. Anstatt sich bei der Abstimmung zu enthalten, hätte er den Beschluss der Arabischen Liga, die Mitgliedschaft Syriens auszusetzen, unterstützt. Er würde sich darum kümmern, dass Ali Mussa Daqduq, das für die Exekution amerikanischer Soldaten 2007 in Kerbala verantwortliche libanesische Hisbollah-Mitglied, den USA überstellt oder im Irak vor Gericht gestellt und für seine Verbrechen bestraft wird. Er würde einen für das Parlament akzeptablen ständigen Verteidigungs- und Innenminister ernennen, anstatt diese Macht in seinem Büro zu konzentrieren.

Fakt ist, den Irak führt Maliki und nicht die USA. Er ist dort, weil die USA ihn und eine Gruppe anderer Exilanten – viele von denen mit engen Bindungen zum Iran – 2003 an die Macht katapultiert haben. Heute gibt es nur wenig oder gar nichts, das die USA tun können oder auch sollten, um sich in irakische Politik einzumischen. Mit ein bisschen Glück wird sich der irakische Nationalismus im Angesicht des Irans zu behaupten wissen, und Irak wird sich zukünftig wahrscheinlich auf Geldmittel, Investitionen und Technologie aus Ländern des Westens und der arabischen Golfstaaten verlassen wollen. Wenn aber nicht, und der Iran beginnt, Irak in einen abhängigen Staat und Verbündeten umzuwandeln, dann sei es eben so!

Der Fall von Daqduq ist deshalb besonders besorgniserregend, weil viele Neokonservative und Republikaner wollen, dass Obama ihn aus dem Land schmuggeln und nach Guantanamo schaffen soll, auch wenn dies illegal wäre und eine gravierende Verletzung der nationalen Souveränität Iraks darstellte. Aber wie die Times erklärt, das alles ist eben Politik:

Die Republikaner allerdings wollen ein anderes Bild von dem Abzug zeichnen, nämlich dass Mr. Obama die nationale Sicherheit gefährdete durch einen zu frühzeitigen Abzug aus dem Irak; er hätte stattdessen die Iraker überreden sollen, den US-Truppen zu erlauben, über den von der Bush-Regierung vor drei Jahren vereinbarten Abzugstermin hinaus im Land bleiben zu können. Eine Erhöhung der tatsächlichen Bedeutung von Mr. Daqduq, und ein Herausstellen eines nicht zufriedenstellenden Ausgangs seines Falls, könnte ferner Bestrebungen unterstützen, die die Resultate von Obamas Irak Politik in einem negativen Licht erscheinen lassen wollen.

Jetzt aber ist die Zeit das Ende des Krieges im Irak zu feiern, eines Krieges, der nicht gut verlaufen ist, und Präsident Obama daran zu erinnern, dass die Zeit auch für ein Ende des Krieges in Afghanistan gekommen ist.

* Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken.

Der Originalartikel erschien in „The Nation“, gepostet in der Internetausgabe am 12. Dezember 2011; Titel: „Goodbye, Iraq“



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