Amerikas Anti-Terrorkrieg: Jetzt aussteigen
Europa sollte endgültig absagen
Von Reinhard Mutz*
Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus einem Artikel, den der Friedensforscher Reinhard Mutz am 6. September 2002 im "Freitag" veröffentlichte.
...
Kanzler Schröder hat richtig entschieden,
die deutsche Beteiligung am
nächsten Golfkrieg - sei es mit Truppen,
sei es mit Geld - auszuschließen.
Für das Vorhaben gibt es nur fragwürdige
Gründe. Konsequenterweise
müsste nun auch die logistische Hilfe
entfallen. Frankfurt und Ramstein
dürfen nicht wieder wie 1990/1991 die
Drehkreuze für Nachschub und
Versorgung werden. Das Zusatzabkommen zum
NATO-Truppenstatut
beschränkt die Nutzungsrechte auf den
Verteidigungsfall und auf
UN-Missionen.
In den weltweiten Anti-Terrorkrieg ist die
Bundesrepublik bereits tief
verstrickt. Sie unterhält Truppen und
Stützpunkte in Afghanistan,
Usbekistan, Kuwait, Kenia und Dschibuti. Am
Horn von Afrika lässt sie
einen Flottenverband patrouillieren. Was
genau die deutschen Soldaten
dort tun, wird angesichts einer porösen
Informationspolitik immer
undurchsichtiger. Ein unprovozierter Krieg
gegen einen souveränen Staat
jedoch wäre ein völlig anderes Kaliber. Mit
den ursprünglich erklärten Zielen
der Anti-Terror-Allianz hätte es nichts
mehr zu tun.
In Deutschland stand am Anfang der Suche
nach einer politisch
angemessenen Antwort auf den 11. September
das Kanzlerwort von der
uneingeschränkten Solidarität - die spontan
über den Atlantik gesandte
Botschaft der Verbundenheit. Zu Abenteuern
sei die Bundesrepublik
gleichwohl nicht bereit, so der
abschwächende Nachsatz. Doch wo die
Solidarität endet und das Abenteuer
beginnt, versteht sich nicht von selbst.
Die Grenze hätte schärfer markiert werden
können. Schon eine Woche
nach den Anschlägen folgte die Regierung
dem Drängen der Opposition,
die Solidaritätsbekundung als ein
ausdrücklich auch militärisch gemeintes
Beistandsangebot zu qualifizieren. ...
Am 16. November 2001 beschloss der
Bundestag die Teilnahme der
Bundeswehr an den Militäroperationen
Enduring Freedom. Ob die
präzedenzlose Entscheidung den Auflagen des
Verfassungsgerichts zur
parlamentarischen Mitwirkungspflicht bei
Auslandseinsätzen entsprach,
kann bezweifelt werden. Nichts wurde den
Abgeordneten mitgeteilt über Ort
und Zeit denkbarer Einsätze, nichts über
die Ziele, nichts über den zu
bekämpfenden Gegner. Die im Kern politische
Frage, ob militärische
Maßnahmen überhaupt geeignet sind,
terroristische Gefährdungen
abzuwenden, konnten die Volksvertreter
nicht beurteilen.
... Im Herbst 2001 schien es,
als werde die
Bündnissolidarität zum ausschließlichen
Maßstab deutscher
Sicherheitspolitik erhoben. Die
Bereitschaft klang an, konformes Verhalten
wider bessere Einsicht zu üben. Schröder
empfahl den Abschied von alten
Bedenken und die "Enttabuisierung des
Militärischen".
Ende 2001 waren die Taleban von den Hebeln
der Macht verdrängt. Eine
Brutstätte terroristischer Aktivität hatte
aufgehört zu existieren. Zumindest
diesen Erfolg konnte sich die militärische
Anti-Terrorkampagne an die
Fahnen heften. Aber um welchen Preis?
Mittlerweile gilt als gesichert,
dass die Zahl der getöteten afghanischen
Zivilisten die der Opfer des 11.
September in den USA deutlich übersteigt.
Tausende von Streubomben
sind nicht explodiert - eine furchtbare
Kriegsfolge mit Langzeitwirkung.
Immer krasser wird das Missverhältnis von
Munitionsaufwand und
Trefferquote. Für die Hightech-Waffen gibt
es keine lohnenden Ziele mehr.
Warum den leer laufenden Krieg nicht
einfach einstellen? Stattdessen ist
das nächste Angriffsziel angepeilt, die
Kameras sind umgeschwenkt von
Kabul nach Bagdad. Es lohnt sich, die
Argumente näher unter die Lupe zu
nehmen. Wer immer noch fordert, den
militärischen Druck auf den Irak
aufrecht zu erhalten, um wieder
Waffeninspekteure ins Land zu bringen,
übersieht, dass Präsident Bush längst nicht
mehr Rüstungskontrolle will,
sondern den Kopf des Diktators. ...
Mit Bushs Erfindung der "Achse des Bösen"
hat sich die Zielrichtung des
Antiterrorkrieges grundlegend verändert.
Nichts weist auf eine Verbindung
zwischen dem Regime in Bagdad und radikalen
Islamisten hin. Für
Kernwaffen bedrohlicher Reichweite in der
Hand Saddam Husseins fehlt
jeder belegkräftige Anhalt. Die Führung in
Washington stört das nicht, ihr
Gestus bleibt selbstherrlich: "Was denn,
der Irak hat gar keine
Massenvernichtungswaffen? Um so besser,
dann kommen wir ja gerade
noch rechtzeitig."
Dahinter steckt der unbegrenzte Anspruch
auf Definitionsmacht. Wer
Freund und wer Feind ist, bestimmt das
freie Ermessen. Kann sich Europa
dem anschließen? Die Haltung der USA
gleicht einem Ausstieg aus
vereinbarten Regelsystemen wie dem
Völkerrecht, auf denen das
transatlantische Werteverständnis beruht.
Soll das Qualitätsprädikat
"Westen" noch irgendeinen Sinn haben, dann
darf die westliche Welt ihrer
Vormacht auf diesem Weg nicht folgen. Wo
der Zweck die Mittel nicht
heiligt, schänden die Mittel den Zweck.
* Der Autor ist Vizedirektor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in
Hamburg.
Aus: Freitag 37, 6. September 2002
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