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Bürgermeister, Senatoren und Minister gegen Irak-Krieg

Eine interessante Initiative aus dem Osten

In den 80er Jahrern machten - beginnend in Kassel - Städte und Gemeinden Furore, die sich zu "atomwaffenfreien Zonen" erklärten und damit auf ihre Weise gegen die Stationierung neuer US-Atomraketen auf deutschem Boden protestierten. Heute versuchen nicht nur örtliche Mandatsträger wie Bürgermeister und kommunale Abgeordnete, sondern sogar richtige Länderminister und Senatoren ein ähnliches Signal gegen die drohenden Kriegsgefahr auszusenden. Der Unterschied: Die Bewegung in den 80er Jahren war auf die Bundesrepublik (alt) beschränkt, die Bewegung heute kommt aus dem Osten. Ob sie auf diese Landesteile beschränkt bleibt, bleibt abzuwarten. Aus friedenspolitischer Sicht wäre eine Nachahmung im Westen wünschenswert.
Im Folgenden dokumentieren wir einmal den "Prignitzer Appell" mitsamt Unterzeichnern und zum anderen den Brief der Minister und Senatoren an den Bundeskanzler "Frieden ist unser aller Gut!" [Ein Dankeschön an Sybille für den Hinweis auf die Fundstelle.]


Prignitzer Appell: "Frieden ist nicht alles. Aber ohne Frieden ist alles nichts."

Offener Brief kommunaler Abgeordneter an den Bundeskanzler (6. Dezember 2002)

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Gerhard Schröder,
im öffentlichen Verständnis sind kommunale Abgeordnete für die Probleme vor Ort zuständig - in den Gemeinden, Städten oder Kreisen - und die Bundesregierung für das "große Ganze", wozu auch die Außenpolitik gehört. In den letzten Jahren haben wir jedoch immer mehr die Erfahrung gemacht, dass diese Arbeitsteilung so nicht stimmt, dass Entscheidungen, die oben getroffen werden, in vielfacher Hinsicht kommunale Belange direkt berühren. Dies gilt für die Steuer- und Finanzpolitik, die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik und vieles mehr.

Wir kommunalen Abgeordneten haben uns jetzt vorgenommen, uns nunmehr auch in das "große Ganze", auch in die Außenpolitik einzumischen und uns dafür das Motto Ihres namhaften sozialdemokratischen Vorgängers im Amt, Willy Brandt, zu eigen gemacht: "Frieden ist nicht alles. Aber ohne Frieden ist alles nichts."

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
Sie haben im Wahlkampf unmissverständlich klar gestellt:
Deutschland wird sich an einem Krieg gegen den Irak nicht beteiligen. Viele von uns gehören der älteren Generation an und wissen aus eigenem Erleben, was Krieg bedeutet. Und auch den Jüngeren stehen die täglichen Fernsehbilder von Krieg, Gewalt und Not vor Augen. Deshalb waren wir - unabhängig der parteipolitischen Orientierung - durch Ihre Aussage beruhigt. Nun lesen wir täglich, welch hoher Druck von amerikanischer Politik auf Deutschland ausgeht und wissen, dass auch CDU und FDP es gern sehen würden, dass die Bundesregierung von dieser Aussage abrückt. Wir bitten Sie, dies nicht zu tun und Deutschland nicht - auch nicht indirekt - in einen Krieg hinein ziehen zu lassen.

Wir sind kommunale Abgeordnete in den neuen Bundesländern, die Mehrheit von uns ist in diesem Teil Deutschlands aufgewachsen. Deswegen werden Sie verstehen, dass neben dem Grundgesetz für uns der Zwei-plus-Vier-Vertrag eine besondere Bedeutung hat. In diesem Vertrag, der die Einheit und volle Souveränität Deutschlands im September 1990 besiegelte, bekräftigten beide deutschen Staaten die Erklärung, "dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird."

Prignitzer Appell

Wir, die UnterzeichnerInnen, appellieren an die Bundesregierung,

den Vereinigten Staaten für den Fall eines Krieges gegen den Irak keine Überflugrechte für Militärflugzeuge über deutsches Territorium zu gestatten und ebenfalls nicht zuzulassen, dass amerikanische Militärbasen in Deutschland für den Krieg genutzt werden.

Der Artikel 26 des Grundgesetzes, der Zwei-plus-Vier-Vertrag und ebenso die Charta der Vereinten Nationen begründen dieses rechtliche Verständnis.

ein deutliches Zeichen gegen den Krieg zu setzen und die ABC-Spürpanzer aus dem Kuwait zurück zu ziehen.

Thomas Domres (MdL), SVV Perleberg;
Karl-Heinz Brüdigam, SVV Wittenberge;
Manfred Löchel, SVV Pritzwalk;
Horst Maudrey, SVV Perleberg;
Rainer Mattstedt, SVV Putlitz;
Gisbert Rosenau, SVV Wittenberge;
Anke Brandes, SVV Lenzen;
Angelika Riesen, SVV Lenzen;
Manuela Rumsch, SVV Lenzen;
Hans-Otto Rülker, SVV Perleberg;
Ralf Pomorin, KT Prignitz;
Lutz Behrendt, KT Prignitz;
Klaus Herpich, SVV Perleberg;
Margrit Puls, KT Prignitz;
Wolfgang Strutz, KT Prignitz;
Roland Weber, KT Prignitz;
Harri Schulz, Bürgermeister Wolfshagen;
Dietrich Rupertus, GV Gumtow;
Hans-Otto Düwert, Ortsbeirat Karstädt;
Siegfried Kramke, SVV Wittenberge;
Manfred Pawelka, SVV Putlitz;
Rainer Ramin, SVV Perleberg;
Manfred Tiede, SVV Meyenburg/KT Prignitz;
Herbert Fuchs, skE SVV Pritzwalk;
Sieglinde Paris, SVV Pritzwalk;
Marita Linack, SVV Pritzwalk;
Manfred Specht, SVV Pritzwalk;
Hartmut Winkelmann, skE SVV Pritzwalk;
Helga Winterfeldt, SVV Wittenberge;
Gerhard Plack, GV Falkenhagen;
Ulrich Kirschnick, SVV Wittenberge;
Barbara Raatz, SVV Perleberg;
Reiner Janek, GV Breese;
Manfred Riske, GV Retzin;
Renate Klickow, skE KT Prignitz;
Erich Lüffe, OBeir. Dannenwalde;
Ingeborg Fischer, OBeir. Demerthin;
Manfred Großmann, Bürgermeister Kemnitz;


Presseerklärung vom 11.12.2002

Frieden ist unser aller Gut!

Brief von Wolfgang Methling, Harald Wolf, Marianne Linke, Heidi Knake-Werner, Helmut Holter und Thomas Flierl an Gerhard Schröder

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Deutschland hat mit seinem Nein zu einem möglichen Krieg gegen den Irak dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit immer wieder auf diplomatische Schritte zu lenken. In diesem Sinne hoffen wir - wie viele Menschen in unserem Lande - dass die Mission der UNO-Waffeninspekteure erfolgreich verläuft. Die Gewissheit, dass der Irak nicht über Massenvernichtungswaffen verfügt und die Verhinderung eines Krieges, zu dem die USA entschlossen sind, wären für die Sicherheit, die Stabilität und für eine zivile, demokratische Entwicklung ein großer Fortschritt.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Ihre Klarstellung, dass Deutschland sich nicht an einem Krieg gegen den Irak beteiligen wird, war für zahlreiche Bürgerinnen und Bürger bei der Bundestagswahl ein ausschlaggebendes Motiv für ihre Stimmabgabe. Auch daraus resultiert eine hohe Verantwortung.

Unabhängig von unterschiedlichen parteipolitischen Präferenzen bleibt die strikte Einhaltung des Grundgesetzes, internationaler Vereinbarungen und Verträge, besonders des 2+4-Vertrages und der Charta der Vereinten Nationen, Grundlage einer völkerrechtlich konformen und berechenbaren Außenpolitik unseres Landes. Dem Druck auf die deutsche Politik, in dieser Frage ihre Haltung zu ändern, ist, wie allen Versuchen, das deutsche Nein aufzuweichen, zu widerstehen. Dabei können Sie mit unserer Unterstützung rechnen.

Gerade deshalb sprechen wir auch offen an, dass Ihre Feststellung, den USA bei der Nutzung ihrer Militärbasen in Deutschland "freie Hand zu geben" und den deutschen Luftraum nicht zu sperren, Deutschland nicht aus einem Krieg heraushalten würde, sondern dies ebenso wie die weitere Stationierung der ABC-Spürpanzer in Kuwait unser Land in den Krieg hineinziehen könnte. Deshalb erwarten wir von Ihnen, Ihre Entscheidungen, was die Nutzung des deutschen Luftraumes und der US-Militärbasen in Deutschland angeht, zu überdenken.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, selbstverständlich ist für die Außenpolitik der Bund zuständig und soll es auch bleiben. Unser Appell als Senatoren bzw. Minister in den Landesregierungen Berlin und Mecklenburg-Vorpommern an Sie, soll daran nichts ändern. In der Frage Krieg oder Frieden gibt es eine über diesen Grundsatz hinausgehende Verantwortung, der wir gerecht werden wollen. Wir sprechen nicht für die Landesregierungen, denen wir angehören. Wir sprechen für uns, und wir hoffen für viele Bürgerinnen und Bürger und auch für die Partei, die uns für unsere Ämter nominiert hat.

Wir wollen einen Beitrag für eine innenpolitische Allianz des Friedens leisten, die von einer größeren Bedeutung sein kann, um das deutsche Nein zu verteidigen. Dies wird aber nur dann der Fall sein, wenn diese deutsche Position nicht aufgeweicht wird.

(Die Unterschriften der MinisterInnen und SenatorInnen.)


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