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Der Irak-Kongress im Spiegel der Presse

Viel Aufmerksamkeit für Scott Ritter - aber auch viel Unverständnis

Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über eine Reihe von Artikeln, die in der überregionalen Presse zum Irak-Kongress (1./2. November 2002 in Berlin) erschienen sind. Einen weiteren Bericht können Sie auf einer gesonderten Seite lesen: "Weg und Ziel"


"Alternativen zu Embargo und Krieg", hieß die Überschrift zu einem etwas ausführlicheren Bericht in der Frankfurter Rundschau, verfasst von Rolf Paasch. Der Seitenhieb gegen die Friedensbewegung wegen ihrer angeblichen "Einseitigkeit" ist unverständlich, hatte doch u.a. die Generalsekretärin von amnesty international, Barbara Lochbihler, bei der Auftaktveranstaltung die zahllosen Menschenrechtsverletzungen des Irak-Regimes gebrandmarkt. Auch in anderen Reden (von Scott Ritter, von Jan Oberg, von Ulrich Gottstein) wurde immer wieder darauf aufmerksam gemacht. Allerdings: Die Kritik an den USA wegen des von ihnen vorbereiteten völkerrechtswidrigen Angriffskriegs überwog. Und das war auch gewollt und legitim. Dass Rolf Paasch am Ende des Artikels ausgerechnet vom irakischen Botschafter Kritik an seiner Regierung anmahnt, mutet schon etwas weltfremd an.

... Wohl selten haben Mitglieder der deutschen Friedensbewegung einem US-Elitesoldaten so applaudiert wie am Wochenende im Berliner Rathaus Schöneberg. Scott Ritter ist kein Pazifist, sondern ein Ex-Marine, der 1991 gegen Saddams Husseins Truppen kämpfte. Danach wurde er UN-Waffeninspektor und würde Irak auch wieder bombardieren, wenn sich das Regime weiteren UN-Inspektionen widersetzt. Aber bis dahin widerspricht Ritter allen Bestrebungen der Regierung von US-Präsident George W. Bush, die Auflagen zur nötigen Entwaffnung Iraks in ein Mandat für den "Regimewechsel" umzuwandeln.

Damit wird Ritter zu einer Figur, dem selbst der Beifall von Mitgliedern der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) oder des Kasseler Friedensratschlags sicher ist. ...

Und noch eine Person mit der Autorität eines ehemaligen Amtes trat vor den rund 150 Friedensbewegten im Schöneberger Rathaus auf. Hans von Sponeck, ehemaliger UN-Koordinator für Irak, kann wie kein Zweiter über die Motive und Folgen der verfehlten Embargo-Politik gegen Irak berichten. Von Sponeck beschrieb den dramatischen Anstieg der Kindersterblichkeit und die rapide Verbreitung verschiedener Armutskrankheiten. Zuvor hatte die österreichische Ärztin Eva Maria Hobiger mit Dias von ihrer jüngsten Irak-Reise im Saal für Entsetzen gesorgt: Missgebildete und dahinsiechende Kinder als Folgen von US-amerikanischer Uran-Munition und UN-Embargo. Die Krebsspezialistin erzählte, dass die durchaus heilbare Kinder-Leukämie in Irak nicht behandelt werden könne, weil sich der US-Vertreter im UN-Sanktionsausschuss immer wieder mit dem Argument des "dual use" - einer kriegswirtschaftlichen Verwendung also - gegen die Einführung benötigter medizinischer Geräte sperrt.

Von Sponeck sieht darin eine "Bestrafungsmentalität der US-Regierung". Der deutsche Ex-Diplomat ist ein Verteidiger des UN-Systems und baut weiter auf Dialog als Alternative zum Krieg. Direkte Gespräche zwischen den USA und Irak, Gespräche mit der Arabischen Liga, Gespräche zwischen Bagdad und den irakischen Kurden im Norden des Landes müssten die "eklatanten Einmischungen des Westens" ersetzen, empfahl er als Alternative.

Es sei die "Beendigung des Dialogs, die uns den Krieg bringt", sagte auch Mudhafar A. Amin, seines Zeichens irakischer Botschafter in London. Fazit seiner allerdings einseitigen Klage über die Verfehlungen westlicher Politik: "Wir haben genug gelitten." Kein Wort über die Brutalität des von ihm vertretenen Regimes, nicht einmal ein vorsichtiger Hinweis auf die doppelte Dimension irakischen Leidens. Der Moderator Peter Strutynski vom Kasseler Friedensratschlag zog aus diesem Vortrag den Schluss, "wie richtig es war", den irakischen Botschafter einzuladen. Die nicht anwesenden Vertreter von Iraks Exil-Opposition aber hätten nach dem Beifall für den Vertreter Saddam Husseins wohl eher ihre Vermutung bestätigt gesehen, "dass die Kongress-Veranstalter den Irak-Konflikt auf die Frage des Embargos und des drohenden Kriegs reduzieren".

Frankfurter Rundschau, 4. November 2002

Die Süddeutsche Zeitung brachte bereits am 2. November in der Online-Ausgabe zwei Beiträge: Einen kurzen Bericht zum Kongress sowie ein Interview mit Scott Ritter. Aus letzterem zitieren wir ein paar Sentenzen. (Das Interview führte Simone Mir Haschemi):

sueddeutsche.de: Warum kämpfen Sie als überzeugter Golfkriegs-Veteran so vehement gegen George W. Bushs Kriegspläne?

Scott Ritter: Wir haben die Charta der UNO unterzeichnet, die sehr genau besagt, unter welchen Bedingungen Staaten Krieg führen sollen. Gründe wären etwa die Selbstverteidigung oder Situationen, in denen die internationale Sicherheit bedroht ist. Das ist im Moment nicht der Fall. Warum also sollten die USA einen Krieg führen?

sueddeutsche.de: Was treibt Bush dann?

Ritter: Der Irak-Krieg ist nicht dazu gedacht, die USA oder die internationale Sicherheit zu verteidigen. Der Irak ist die erste Schlacht in einem fortdauernden Krieg amerikanischer imperialistischer Aggression. Ich werde nicht für mein Land kämpfen, um amerikanischen Imperialismus zu verteidigen.
...
sueddeutsche.de: Welche Alternativen gibt es, um Saddam Hussein loszuwerden?

Ritter: Wenn Saddam Hussein ein Kriegsverbrecher ist und die Menschenrechte verletzt, müssen wir es beweisen und ihn auf internationaler Basis anklagen. Es gibt immer eine Alternative zum Krieg.

sueddeutsche.de: 1996 stellten die UN-Waffeninspektoren fest, dass der Waffenbestand im Irak zu 90 bis 95 Prozent abgerüstet sei. Ist diese Zahl auch heute noch realistisch?

Ritter: Über 90 bis 95 Prozent der Waffen konnte Bericht erstattet werden, über den Rest nicht. Aber das bedeutet nicht notwendigerweise, dass der Irak auch noch soviel besitzt. Die Inspekteure müssen in das Land gehen, um herauszufinden, was damit passiert ist.
...
sueddeutsche.de: Warum sind die Inspektoren noch nicht im Irak?

Ritter: Weil die USA die Inspekteure als Bedrohung für ihren Krieg gegen den Irak ansehen. Die USA wollen keine Inspekteure im Irak. Zumindest wollen sie sicher gehen, dass sie den Ausgang der Untersuchungen so manipulieren können, dass ihr militärischer Schlag gerechtfertigt wird.
...
sueddeutsche.de: Sie haben gesehen, wie die Position der Bundesregierung von der amerikanischen Seite aufgenommen wurde.

Ritter: Deutschland muss sich entscheiden, ob es ein souveräner Staat mit einer Flagge sein will, die Deutschland repräsentiert, oder ob es seine Flagge gegen die amerikanische tauschen will und sagen: „Wir sind eine amerikanische Kolonie“.

sueddeutsche.de: Wann werden die Amerikaner zuschlagen?

Ritter: Sobald wir Flugzeugträger-Kampfeinheiten im Persischen Golf haben, werden wir sie nicht als Ziele herumschwimmen lassen, sondern sie benutzen. Meiner Einschätzung nach wird das Mitte, Ende Dezember der Fall sein.

Aus: Sueddeutsche-Online, 2. November 2002

Die Berliner Lokalsausgabe der taz befasste sich am 2. November ausführlicher mit dem Kongress - und mit den Versuchen oppositioneller Gruppen, den Kongress als Propagandaveranstaltung des Saddam-Regimes hinzustellen. Dazu hatten sie mit Hilfe der "Gesellschaft für bedrohte Völker" am 1. November eine Pressekonferenz einberufen, über die in den Medien ähnlöich breit berichtet wurde wie über den Irak-Kongress. Die taz-Berlin (Autor: Peter Nowak) schrieb unter der Überschrift "Gegen die 'Achse der Desinformationen'" u.a.:

... Ein Krieg im Irak: In Berlin findet dieser Konflikt schon an diesem Wochenende statt, gedanklich - und als Konkurrenz zweier Konferenzen, die gestern ihr Programm vorstellten.

Im Gewerkschaftshaus war die Aussage klar: eine Warnung vor einem militärischen Angriff auf den Irak. "Es ist schon eine seltsame Kombination, die einen US-Offizier und einen UN-Beamten zusammenführt. Doch das ist der ernsten Lage geschuldet", sagte der ehemalige UN-Koordinator im Irak, Hans von Sponeck, der sich in dieser Frage mit dem früheren UN-Waffeninspekteur Scott Ritter verbunden sah.

"Krieg ist eine viel zu ernste Angelegenheit, um ihn auf der Grundlage von Spekulationen zu beginnen", betonte Ritter. Er kenne keine überzeugenden Beweise, die belegen würden, dass der Irak nach dem Abzug der Inspekteure erneut mit dem Bau von biologischen, chemischen und nuklearen Waffen begonnen habe. Hans von Sponeck wurde noch deutlicher: "Es gibt in Sachen Irak eine Achse der Desinformationen, die mitten durch das US-amerikanische und das britische Außenministerium geht." So würden dort angebliche Produktionsstätten von Waffen aufgeführt, die er bei einem Irakbesuch vor einigen Monaten als völlig zerstörte Ruinen vorgefunden habe. Ritter und von Sponeck forderten Verhandlungen und die Rückkehr der Waffeninspekteure. Doch Ritter glaubt, dass die USA dem nicht zustimmen werden. "Der Bush-Administration geht es nicht um die Abrüstung, sondern um einen Regimewechsel im Irak."

Das ist auch das erklärte Ziel der in der "Koalition für einen demokratischen Irak" zusammengeschlossenen Exilpolitiker, die zwei Stunden im Haus der Bundespressekonferenz ihre Sicht zum Irakkonflikt darlegten. Sowohl Latif Rashid von der Patriotischen Union Kurdistan als auch Safaa Mahmoud vom Islamischen Widerstand und Raid Fahin von der Kommunistischen Partei im Irak sprachen über die jahrelangen schweren Menschenrechtsverletzungen des irakischen Regimes. Auch hier der Tenor: Niemand will einen Krieg. Doch wenn er kommt, sei Saddam Hussein dafür verantwortlich. Mit dem Verweis auf Bosnien und das Kosovo zeigte zumindest Latif Rashid, dass er einer militärischen Zerschlagung des Hussein-Regimes nicht ablehnend gegenübersteht. ...

Hans Branscheidt von Medico International und Tilman Zülch von der Gesellschaft für bedrohte Völker warfen sowohl der Bundesregierung als auch großen Teilen der Friedensbewegung Ignoranz gegenüber der irakischen Oppositionsbewegung vor. In diese Kritik ist auch der Internationale Irak-Kongress einbezogen, auf dem im Schöneberger Rathaus nach "Alternativen zu Embargo und Krieg" gesucht werden soll. Neben Scott Ritter und Hans von Sponeck werden daran auch Peter Strutynski vom Bundesausschuss des Friedensratschlags, der britische Labour-Abgeordnete George Galloway und der Friedensforscher Reinhard Mutz teilnehmen. Auch der irakische Botschafter in London, Mudhafar Amin, wird sich an der Debatte beteiligen. ...

Auf einer Veranstaltung an der Technischen Universität positionierte sich die antideutsche Linke schon am Freitagabend unter dem plakativen Motto "Gegen das Bündnis von Friedensbewegung und Baath-Regime" gegen den Irak-Kongress. Als Referent tritt dort auch Thomas von Osten-Sacken auf. Er war es, der am Vormittag die Pressekonferenz der irakischen Oppositionellen moderierte.

Aus: taz-Berlin, 2. November 2002

Ebenfalls vom 2. November ist der Bericht der Berliner Zeitung, den wir gekürzt wiedergeben (Autor: Maxim Leo).

... Scott Ritter, ehemaliger Chef der UN-Waffeninspektoren im Irak, und Hans von Sponeck, früherer UN-Koordinator für humanitäre Hilfe im Irak, wurden am Freitag auf einer Pressekonferenz in Berlin sehr deutlich. Beide sprachen sich vehement gegen einen Militärschlag gegen den Irak aus. "Alles spricht für eine politische und nichts für eine militärische Lösung", sagte von Sponeck. Und Scott Ritter rief die Deutschen auf, sich "gegen Bush und seine Kriegspläne zu wehren".

Ritter betonte, dass vom Irak keine Gefahr für die internationale Gemeinschaft ausgehe, wie die amerikanische Regierung behauptet. "Der Irak stellt kein Kriegsrisiko dar, weil er gar nicht über das Bedrohungspotenzial verfügt", sagte Ritter. Er erklärte, dass nie biologische Waffen im Irak gefunden wurden. Auch Kernwaffen könnten von Saddam Husseins Regime wenn überhaupt nur in kleinen Mengen produziert werden. "Ich bin auch besorgt, dass es dort Waffen gibt. Deshalb müssen die Waffeninspektoren auch umgehend ihr Arbeit wieder aufnehmen...."

Ähnlich äußerte sich Hans von Sponeck, der zudem beklagte, dass die USA in ihrer Einschätzung der Gefährlichkeit von bestimmten Ländern unterschiedliche Standards ansetze. "Der Irak erlaubt Inspektionen und es gibt keine Beweise für die Produktion von Atomwaffen. Nordkorea hat zugegeben, Atomwaffen zu entwickeln und lässt keine Inspektoren rein. Wer ist denn nun gefährlicher und warum wollen die USA nicht Nordkorea angreifen", fragte von Sponeck.

Der ehemalige Koordinator für humanitäre Hilfe warf den USA vor, systematisch ein Bild vom Irak zu schaffen, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun habe. So würde in Washington behauptet, dass El-Kaida-Kämpfer im Irak frei operieren. Richtig sei, dass sich lediglich etwa ein Dutzend El-Kaida-Kämpfer im kurdischen Teil Iraks aufhalten. "Dies zu einem institutionellen Beziehungsgeflecht zu stilisieren ist eine Manipulation", sagte von Sponeck.
...
Aus: Berliner Zeitung, 2. November 2002

Am 2. November erschien auch ein längerer Artikel in der jungen Welt zur Irak-Frage ("Psychokrieg um Irak"), in dem es u.a. auch um den Irak-Kongress ging:

... Ehemalige Mitarbeiter der UNO gehen in ihrer Kritik an der US-Regierung weiter. Am Freitag warfen sie den USA und Großbritannien vor, bewußt Falschinformationen weiterzugeben, um einen neuen Golfkrieg zu legitimieren. Die sogenannten Beweise dafür, daß Bagdad Massenvernichtungswaffen produziere, seien nicht stichhaltig und zweifelsfrei, sagte der Exkoordinator des humanitären Hilfsprogramms für Irak, Hans von Sponeck, in Berlin. In der Hauptstadt begann im Schöneberger Rathaus ein zweitägiger internationaler Irak-Kongreß, auf dem über Alternativen zu Krieg und Embargo beraten werden soll. Das Bild einer "immanenten Bedrohung durch Irak" sei eine "Fehldarstellung", betonte von Sponeck. Er habe erst im Juli zwei Anlagen im Irak besichtigt, in denen westlichen Geheimdiensten zufolge biologische Kampfstoffe produziert werden sollen. Bei der Besichtigung habe er mit eigenen Augen gesehen, daß beide Anlagen noch immer zerstört seien. Von Sponeck warf der US-Regierung "Psychokriegsführung" vor.

Der ehemalige Chef einer UN-Waffeninspekteureinheit, Scott Ritter, bestätigte, es gebe bis heute keinen eindeutigen Beweis dafür, daß Irak den Bau biologischer, chemischer und nuklearer Waffen wieder aufgenommen habe. "Das sind alles unbewiesene Hypothesen, die um so gefährlicher sind, als sie von Washington als angeblich bewiesene Wahrheiten verbreitet werden." Er und seine Kollegen hätten bis 1996 zwischen 90 und 95 Prozent der irakischen Programme für Massenvernichtungswaffen zerstört, sagte der US-Amerikaner. Allein für das Atomwaffenprogramm müßte Bagdad mehrere Milliarden Dollar investieren, um auf den Stand von 1991 zurückzukehren. Das würde leicht entdeckt werden.

Aus: junge Welt, 2. November 2002

Das "Neue Deutschland" interviewte bereits im Vorgriff auf den Irak-Kongress Scott Ritter und veröffentlichte am 1. November nachfolgenden Artikel (Auszüge):

Wenig Zeit, den Krieg zu stoppen

ND sprach mit dem früheren leitenden UN-Waffeninspektor Scott Ritter

Von Martin Schwarz, Wien

... Viel Zeit bleibt den Gegnern eines Angriffs auf Irak wohl nicht mehr, um einen Krieg zu verhindern: "Wir haben bis Ende November Zeit, um diesen Militärschlag zu stoppen. Danach sind die Vorbereitungen in der Golf-Region so weit gediehen, dass es kein Zurück mehr gibt", ist Scott Ritter, ehemaliger leitender UN-Waffeninspektor und nunmehr Kriegsgegner, im Gespräch mit ND überzeugt. Die Chancen, einen USA-Militärschlag gegen Irak und Saddam Husseins Regime zu verhindern, werden von Tag zu Tag kleiner, was nach Ritters Meinung nicht zuletzt an der untertänigen Haltung von Chef-Waffeninspektor Hans Blix liege. "Wenn er ständig nach Washington zu Vertretern der Bush-Regierung pilgert und dann in Pressekonferenzen fordert, eine neue UN-Resolution müsse den Irakis ›ernsthafte Konsequenzen‹ androhen, wenn sie nicht mit den Waffeninspektoren kooperieren, dann überschreitet er sein Mandat. Er ist UN-Diplomat und nicht Erfüllungsgehilfe amerikanischer Forderungen", sagt Ritter. Blix hätte nach den Wiener Verhandlungen über die Rückkehr der Inspektoren vor einem Monat eigentlich schon die Inspektionen beginnen können.

Ähnliche Kritik kam am Mittwoch (30. Oktober, webmaster) aus Bagdad: Das Treffen von Hans Blix und dem Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed El Baradei, mit George W. Bush und Vizepräsident Richard Cheney lasse eine "unzulässige Einflussnahme" der USA auf die Vereinten Nationen befürchten. ...

Im Gespräch mit ND sieht Ritter aber auch noch andere Gefahren, sollte sich die UN auf diese Weise von Washington politisch kastrieren lassen. "Das wäre ein Signal an die Vereinigten Staaten, dass sie mit ihrer neuen Doktrin präventiver Militärschläge fortfahren können. Internationales Recht wird beseitigt, die Welt hat sich dann für amerikanische Expansionspolitik entschieden", warnt Ritter. Dass die USA ohnehin nicht fanatisch eine Rückkehr der UN-Inspektoren möchten, ist unterdessen für ihn klar: "Es geht ihnen einzig und alleine um den Regimewechsel. Zeigen Sie mir mal die UN-Resolution, die einen aus dem Ausland gesteuerten Putsch erlauben würde!"

Freilich: An Sanktionen gegen Saddam Husseins Regime im Falle einer Nicht-Kooperation soll auch nach Ritters Meinung nicht gerüttelt werden: "Wenn er nicht kooperiert, geht der Hammer eben runter. Es gibt schon eine UN-Resolution mit Strafandrohung, die muss reichen, um dieses Regime kooperativ zu machen." Schon alleine die Bedingungen, die den UN-Inspektoren auferlegt würden, zeugen davon, dass die USA die Inspektoren auch als Spionage-Einheit nutzen möchten. So sollen die USA den Inspektoren Empfehlungen geben dürfen, welche Objekte inspiziert werden sollten. Eine Regelung, die sogar nach dem Geschmack Hans Blix' zu weit führt, weil dies den Verdacht der Spionage nähre. Und Blix muss es wissen: Die bis 1998 in Irak tätige UNSCOM hat sich als Schlapphut-Regiment teilweise missbrauchen lassen. "Die Informationen, die damals gesammelt wurden, gingen an die USA, und als die Ende 1998 Irak mit Raketen angriffen, wurden die UN-Informationen zur Zielauswahl benutzt", erinnert sich Ritter.

Europa allerdings habe nun eine einmalige Chance, sich zu emanzipieren und "die amerikanischen Freunde darauf aufmerksam zu machen, dass sie auf dem falschen Weg sind. Im Weißen Haus sitzt ein Präsident, der betrunken vor Macht ist und vor Arroganz", meint Ritter. Eine ähnliche Emanzipation ohne platten Anti-Amerikanismus fordert Hans von Sponeck, früher in Irak für das UN-Programm "Öl für Nahrungsmittel" verantwortlich: "Ich wünschte mir, dass es eine gemeinsame Erklärung der EU und der Arabischen Liga zu Irak gibt und damit die USA auf den richtigen Weg geleitet werden." Ritter denkt im Falle eines USA-Angriffs auf Irak an weit drastischere Schritte: "Wenn die USA alleine losschlagen, muss Schröder deren Truppen in Deutschland zum Abzug zwingen und die Militärbasen schließen. Deutschland ist ein souveränes Land, es hat das Recht dazu."

Neues Deutschland 01. November 2002


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