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Irak: Chronik wichtiger Ereignisse

Dezember 2010


Mittwoch, 1. Dezember, bis Sonntag, 12. Dezember
  • Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat bei einem Besuch im Irak (4. Dezember) für eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit geworben. In Gesprächen mit irakischen Spitzenpolitikern in Bagdad zeigte er sich zudem über die Gewalt gegen Christen besorgt, wie AFP aus seiner Delegation erfuhr. Überschattet wurde der Besuch von Anschlägen, bei denen in Bagdad mindestens 14 Menschen starben.
  • Bei einem Selbstmordanschlag vor einem Regierungsgebäude der irakischen Stadt Ramadi sind mindestens 17 Menschen getötet und 23 verletzt worden. Der Attentäter zündete am 12. Dezember in der Hauptstadt der Provinz Anbar, etwa 115 Kilometer westlich von Bagdad, eine Autobombe. Unter den Toten waren Behördenangaben zufolge sechs Polizisten, zudem Frauen und ältere Menschen, die sich bei der Behörde ihre Sozialhilfeunterstützung abholen wollten. Die Behörden machten umgehend die Al-Kaida für den Anschlag verantwortlich. Anbar ist eine ehemalige Hochburg von Al-Kaida-Kämpfern und sunnitischen Aufständischen. Ein Verkehrsstau habe den Selbstmordattentäter daran gehindert bis an die Tore des Geländes heranzufahren. Zeugen sagten aus, die Bombe sei etwa 200 Meter von dem Gebäude entfernt explodiert und habe einen mehrere Meter tiefen Krater hinterlassen. Die Polizei fand auf einem angrenzenden Parkplatz eine weitere Bombe, die in sicherer Entfernung zur Explosion gebracht wurde. Der Gebäudekomplex beherbergt auch das Polizeihauptquartier und das Büro des Gouverneurs.
  • Der mutmaßliche Selbstmordattentäter von Stockholm hatte angeblich Verbindungen zu Al-Kaida-Terroristen im Irak. Dafür gibt es Hinweise auf verschiedenen Websites islamistischer Extremisten. Doch die Details über den Lebenslauf des 28 Jahre alten Irakers deuten darauf hin, dass er nicht in der Heimat seiner Eltern für den Kampf gegen «Ungläubige» indoktriniert wurde, sondern in Islamisten-Zirkeln in Europa. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass die von Lobpreisungen begleiteten Fotos des Terrorverdächtigen, die auf zahlreichen Islamisten-Websites nach dem versuchten Anschlag auftauchten, nicht von irakischen Al-Kaida-Terroristen dort publiziert wurden, sondern von Trittbrettfahrern, die diese Fotos von der inzwischen gesperrten Facebook-Seite des Irakers geklaubt haben, so die Presse am 12. Dezember.
Montag, 13. Dezember, bis Sonntag, 19. Dezember
  • "Die Verfolgung von Christen im Irak ist inakzeptabel. Es ist unsere moralische Verpflichtung, die christliche Minderheit im Nahen Osten und der gesamten islamischen Welt zu verteidigen und zu schützen." Dies forderte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments Hans-Gert Pöttering anlässlich eines heutigen Gesprächs mit einer hochrangigen Delegation christlicher Religionsvertreter aus dem Irak und dem Libanon im Europäischen Parlament in Straßburg. "Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn sich Christen gezwungen sehen, aus Angst um ihr Leben ihr Land zu verlassen. Dies ist auch nicht im Sinne ihrer muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die von einem toleranten Zusammenleben ebenfalls profitieren", so Hans-Gert Pöttering am 14. Dezember.
  • Ohne Gegenstimmen hat der UN-Sicherheitsrat am 15. Dezember eine Reihe von Sanktionen gegen den Irak aufgehoben, die noch aus der Zeit der Herrschaft von Saddam Hussein stammten. Das Votum des Rats in New York beendete offiziell die Gültigkeit einer Resolution aus dem Jahr 1991, die dem Irak bei Strafandrohung den Erwerb, Bau und Besitz von Massenvernichtungswaffen untersagte. Die USA hatten 2003 ihre Invasion im Irak mit dem Verstoß gegen dieses Verbot begründet. Derartige Waffen wurden aber nie gefunden.
  • Nach dem blutigen Angriff auf eine Kirche in Bagdad Ende Oktober verlassen tausende Christen den Irak. Das teilte das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) in Genf am 17. Dezember mit. Es handle sich geradezu um einen "Exodus" irakischer Christen.
  • Die umstrittene US-Privatsicherheitsfirma Xe, die früher unter dem Namen Blackwater firmierte, hat einen neuen Besitzer (17. Dezember). Eine Investorengruppe kaufte das Unternehmen von seinem Gründer, dem früheren Marineangehörigen Erik Prince, wie das New Yorker Investmentunternehmen USTC Holdings mitteilte. Prince werde aus der Firma ausscheiden. Zum Kaufpreis wurden keine Angaben gemacht. Xe und sein Vorgänger Blackwater zählten zu den bekanntesten privaten Sicherheitsdienstleistern, welche die US-Armee bei ihren Einsätzen im Irak und in Afghanistan einsetzte.
  • Das US-Repräsentantenhaus hat am 17. Dezember für das Jahr 2011 Ausgaben von fast 160 Milliarden Dollar (121 Milliarden Euro) für die Kriege im Irak und in Afghanistan genehmigt. Das Verteidigungsministerium ist bei der Verwendung der Gelder an keine besonderen Einschränkungen bezüglich der Art der Operationen gebunden. Die Zustimmung wurde am 17. Dezember erteilt, nachdem sich die Demokraten zum Verzicht auf mehrere Klauseln bereit erklärt hatten, unter anderem auf eine Regelung, die es Soldaten erlaubt hätte, im Dienst offen zu Homosexualität zu stehen. Es wurde erwartet, dass auch der Senat in seiner letzten Sitzung vor Jahresende noch die Zustimmung zu dem Budget erteilen würde.
  • Das irakische Parlament hat ein Verbot gegen drei ranghohe sunnitische Politiker aufgehoben, die von der Wahl im März ausgeschlossen worden waren. Die Abgeordneten sprachen sich am 19. Dezember mit 109 zu 61 Stimmen für die Aufhebung aus. Damit beseitigten sie ein weiteres Hindernis bei der Bildung einer Einheitsregierung und machten den Weg frei für eine umfassendere sunnitische Regierungsbeteiligung. Mit dem Votum ist es nun dem früheren Abgeordneten Saleh al Mutlak und zwei weiteren sunnitischen Politikern wieder erlaubt, für politische Ämter zu kandidieren. Es wurde erwartet, dass Al Mutlak, ein scharfer Kritiker des schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki, einen Regierungsposten übernehmen wird. Al Mutlaks Partei Front für den Nationalen Dialog gehört zur Irakija-Koalition, die bei der Wahl im März stärkste Kraft wurde.
Montag, 20. Dezember, bis Sonntag, 26. Dezember
  • Mehr als neun Monate nach der Parlamentswahl im Irak hat das Parlament in Bagdad eine neue Regierung gewählt. An der Spitze der Koalition steht der amtierende Ministerpräsident Nuri al-Maliki. Im künftigen Kabinett sollen alle Parteien vertreten sein. Der schiitische Politiker Al-Maliki hatte am 20. Dezember seine Kabinettsliste vorgelegt. Darauf stehen 42 Namen von Ministern und anderen ranghohen Regierungsmitgliedern. Allerdings gibt es noch Unstimmigkeiten über die Verteilung einzelner Posten. Daher wird fast ein Drittel der Kabinettsmitglieder nur kommissarisch eingesetzt. Vor seiner Wiederwahl sagte Al-Maliki, die schwierigste Aufgabe bleibe die Aufstellung einer Regierung der nationalen Einheit, in einem Land mit solch einer Fülle an ethnischen, religiösen und politischen Fraktionen. Er versprach, den Terrorismus zu bekämpfen, konfessionelle Gräben zu überwinden und Brüche mit den sunnitisch geprägten Nachbarländern zu kitten. Bundesaußenminister Westerwelle begrüßte die Regierungsbildung. "Damit endet nach fast 300 Tagen das politische Vakuum in Irak", sagte Westerwelle am 21. Dezember. Der Minister versprach eine enge Kooperation der Bundesregierung mit der neuen irakischen Regierung.
  • Die Krefelder Polizei hat einen millionenschweren Verkauf von bis zu 5.000 Jahre alten Artefakten verhindert. Bei den Stücken handelt es sich um Rollsiegel, Steinfiguren und Kunstgegenstände aus dem Irak, sagte der Leiter der Ermittlungskommission "Orient", Oliver Knorre, am 22. Dezember. Unter den 15 Objekten seien zwei Fälschungen. Da den vier Tatverdächtigen türkischer und irakischer Abstammung kein Diebstahl oder Raub nachgewiesen werden konnte, wurde das Verfahren wegen gewerbsmäßiger Hehlerei eingestellt.
  • Bei zwei Anschlägen im Irak sind am 24. Dezember sieben Menschen getötet worden. Bei Iskandaria, 50 Kilometer südlich von Bagdad, sprengten Aufständische laut Polizei mit Dynamit zwei Häuser schiitischer Familien. Fünf Menschen wurden getötet. Das Gebiet, in dem Schiiten und Sunniten zusammenleben, war bis 2008 eine Hochburg des Terrornetzwerkes El Kaida. Zwei Polizisten starben bei einem Überfall in der Stadt Samarra, 110 Kilometer nördlich von Bagdad. Das Fahrzeug der Beamten sei mit automatischen Waffen beschossen und darauf in Brand gesetzt worden.
Montag, 27. Dezember, bis Freitag, 31. Dezember
  • Bei zwei aufeinanderfolgenden Selbstmordanschlägen sind am 27. Dezember in der irakischen Stadt Ramadi mindestens sechs Menschen getötet worden. 45 weitere erlitten Verletzungen, berichtete die Nachrichtenagentur Aswat al-Irak unter Berufung auf Sicherheitskreise. Der erste Attentäter hatte sich vor dem Sitz der Provinzregierung mit seinem Fahrzeug in die Luft gesprengt. Wenig später näherte sich der zweite Terrorist zu Fuß der Explosionsstelle und zündete seinen Sprengstoffgürtel.
  • Drei Selbstmordattentäter sind am 29. Dezember im nordirakischen Mossul in ein Polizeikommando eingedrungen und haben dabei neun Beamte getötet. Zwei der Attentäter zündeten ihren Sprengstoffgürtel. Der Dritte wurde erschossen, bevor er sich in die Luft sprengen konnte. Das Kommandogebäude des 1. Sonderbataillons der irakischen Polizei in der Provinz Ninive stürzte infolge der Explosionen ein, berichtete die Nachrichtenagentur Aswat al-Irak unter Berufung auf Sicherheitskreise. Unter den Trümmern könnten weitere Opfer verschüttet worden sein, hieß es.
  • Die US-Armee im Irak hat am 29. Dezember den irakischen Behörden die Kontrolle über das ehemalige Gefängnis Camp Bucca in der Südprovinz Basra übergeben. Der Gouverneur von Basra, Schaltadsch Abbud, kündigte in einer Erklärung an, das Gelände zu einem Gewerbegebiet umzuwandeln, um "die Region zu entwickeln". Camp Bucca war zeitweise das größte US-Gefängnis im Irak. Bis zu 22.000 Gefangene wurden dort gleichzeitig festgehalten, insgesamt mehr als 100.000 Häftlinge in sechs Jahren durch seine Zellen geschleust. Im September 2008 wurde das Gefängnis geschlossen, fortan nutzen die US-Streitkräfte und die irakische Armee Camp Bucca als Stützpunkt.
  • Die Zahl der im Irak getöteten Zivilisten ist 2010 nach Angaben einer internationalen Organisation auf den niedrigsten Stand seit dem US-Einmarsch im Frühling 2003 gesunken. In diesem Jahr seien bis zum 23. Dezember 3976 Zivilisten gewaltsam ums Leben gekommen, erklärte die in Großbritannien ansässige Organisation Iraq Body Count (IBC) am 30. Dezember. Dies seien 15 Prozent weniger zivile Todesopfer als im Vorjahr, als laut IBC 4680 Zivilisten getötet worden waren. Die Organisation zeigte sich dennoch besorgt. Der Ende 2007 eingesetzte Rückgang der Zahl ziviler Todesopfer verlangsame sich zusehends. Schließlich habe er 2008 noch 63 Prozent und 2009 50 Prozent betragen.
  • Im Irak sind erneut mehrere Anschläge auf Christen verübt worden, bei denen mindestens zwei Menschen getötet wurden. Innerhalb von nur zwei Stunden seien am 30. Dezember in der Hauptstadt Bagdad sechs Angriffe auf Häuser von Christen verübt worden, sagte ein Vertreter des Innenministeriums der Nachrichtenagentur AFP. Dabei seien auch mindestens zwölf Menschen verletzt worden. Der schwerste Anschlag ereignete sich den Angaben zufolge gegen 20.00 Uhr Ortszeit (18.00 Uhr MEZ) im Zentrum von Bagdad. Bei der Explosion eines Sprengsatzes seien zwei Christen getötet und drei weitere verletzt worden.


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