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Irak: Chronik wichtiger Ereignisse

März 2010


Montag, 1. März, bis Sonntag, 7. März
  • Großbritannien hat mit der Auslieferung zweier irakischer Häftlinge an den Irak gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Zu diesem Urteil kam am 2. März der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in Straßburg. Die beiden Kläger seien einer unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung ausgesetzt gewesen sowie der ernsten Gefahr «schweren und irreparablen Leids», erklärten die Richter. Die Gefangenen hatten geltend gemacht, ihnen habe nach der Auslieferung an die irakische Justiz die Todesstrafe gedroht. Geklagt hatten die beiden Sunniten Faisal Attijah Nassar Chalaf Hussain Al Saadoon und Chalef Hussain Mufdhi. Sie werden derzeit im Rusafa-Gefängnis in der Nähe von Bagdad festgehalten. Al Saadoon und Mufdhi waren nach Beginn des Irak-Kriegs im März 2003 von den britischen Truppen festgenommen worden. Ihnen wurde vorgeworfen, in die Ermordung zweier britischer Soldaten im Südirak am 23. März 2003 verwickelt gewesen zu sein.
  • Sicherheitskräfte im Irak haben eine große Menge Waffen und Sprengstoff beschlagnahmt, die möglicherweise für Anschläge während der bevorstehenden Parlamentswahl bestimmt waren. Insgesamt wurden zehn Waffenlager ausgehoben, wie Militärsprecher Generalmajor Kassim al Mussawi am 2. März mitteilte. Dem Geheimdienst lägen Informationen vor, wonach am Wahltag (7. März) Terroranschläge geplant seien. Er sei jedoch zuversichtlich, dass diese vereitelt werden könnten, sagte der Sprecher.
  • Mitgliedstaaten der EU dürfen Flüchtlinge wieder in ihre Heimatländer zurückschicken, wenn nach Ansicht der Behörden die Bedrohung dort nicht mehr besteht. Um dies zu entscheiden, müssen die staatlichen Stellen aber nachweisen, dass die Gefahr einer «ernsten Verletzung fundamentaler Menschenrechte» deutlich zurückgegangen sei und dass im Heimatland eines Flüchtling derartige Fälle inzwischen angemessen verfolgt würden, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 2. März. Damit präzisierte der EuGH die Rechtslage für einen deutschen Richter, der im Berufungsverfahren von fünf Irakern zu entscheiden hatte, denen in den Jahren 2001 und 2002 Flüchtlingsstatus gewährt worden war. 2005 wurde der Status wieder aufgehoben. Die deutschen Behörden begründeten dies damit, dass die Iraker nicht länger verfolgt würden, wie dies unter dem Regime des 2003 gestürzten Machthabers Saddam Hussein der Fall gewesen sei. Zur aktuellen Lage im Irak äußerte sich das Gericht nicht.
  • Karl Rove, früherer Berater von Ex-US-Präsident George W. Bush, hat den Irak-Krieg verteidigt. Der Beginn des Krieges vor sieben Jahren sei «die richtige Entscheidung» gewesen, schreibt Rove in seinen am 9. März erscheinenden Memoiren «Courage and Consequence». Darin räumt der Ex-Stratege aus dem Weißen Haus allerdings ein, die Glaubwürdigkeit der damaligen Regierung sei erheblich beschädigt worden, weil im Irak keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden seien. Bush habe die Öffentlichkeit aber nicht wissentlich über die vermeintliche Gefahr des Iraks getäuscht. Dass er selbst dies nicht klar genug betont habe, sei einer seiner größten Fehler als Bush-Berater gewesen, so die Presse am 3. März.
  • Am 3. März haben Terroristen im Irak ein verheerendes Blutbad angerichtet. Nach Angaben der Polizei starben durch eine Serie von Bombenanschlägen in der Stadt Bakuba 32 Menschen, 45 wurden verletzt. Diesen Ein Polizeisprecher sagte, es seien binnen kürzester Zeit vier Bomben explodiert. Zuerst zündete ein Selbstmordattentäter eine Autobombe neben einer Polizeiwache, dann zündeten die Terroristen in einem geparkten Auto im Stadtzentrum einen zweiten Sprengsatz. Als die Helfer dann die Verletzten in das allgemeine Krankenhaus von Bakuba brachten, zündete ein Selbstmordattentäter mitten unter ihnen einen Sprengstoffgürtel. Dabei wurde unter anderem der Direktor des Krankenhauses verletzt. Der Attentäter hatte ungehindert in das Gebäude eindringen können, weil er die Uniform eines Polizeioffiziers trug. Eine weitere Autobombe entdeckte die Polizei in der Nähe einer Straßensperre des Zivilschutzes. Die Beamten räumten das Gebiet rund um das Auto, bevor sie die Bombe aus sicherem Abstand zündeten. Am Mittag wurde in Bakuba eine Ausgangssperre verhängt.
  • In der nördlichen Stadt Mossul starb am 3. März ein Polizist, als eine Haftbombe an seinem Fahrzeug detonierte. Im Norden Bagdads kam nach Angaben der Nachrichtenagentur Aswat al-Irak ein Soldat durch eine Sprengstoffattacke ums Leben.
  • Drei Tage vor den Parlamentswahlen hat im Irak die Stimmabgabe für bestimmte gesellschaftliche Gruppen begonnen: Soldaten und Angehörige der Sicherheitskräfte, Kranke und Häftlinge dürfen seit heute (4. März) ihre Stimme abgeben. Insgesamt betrifft die Ausnahmeregelung mehr als 800.000 Wahlberechtigte. Die entsprechenden Wahllokale öffneten am Morgen des gleichen Tages (4. März).
  • Ab Freitag (5. März) wählen die Exil-Iraner in 16 verschiedenen Ländern, darunter auch in Deutschland.
  • Der britische Premierminister Gordon Brown hat am 5. März die Beteiligung seines Landes am Irakkrieg verteidigt: Die britische Unterstützung des US-Einmarsches in den Irak im März 2003 sei "die richtige Entscheidung" gewesen, die "aus den richtigen Gründen" getroffen worden sei, sagte Brown zu Beginn seiner Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss zum Irakkrieg in London. Internationale Zusammenarbeit müsse nach dem Ende des Kalten Krieges weitreichender sein, als sie bisher war. «Wir müssen aus den Fehlern lernen», sagte Brown. «Globale Probleme verlangen nach globalen Lösungen und ich will damit auch auf die Wichtigkeit der stärkstmöglichen Beziehungen zwischen Europa und Amerika aufmerksam machen.» Brown wolle diese künftig weiter auf- und ausbauen. Der Regierungschef habe immer bedauert, «nicht in der Lage gewesen zu sein, die Amerikaner stärker auf Pläne für einen Wiederaufbau zu drängen». Brown habe angeboten, den Amerikanern ein Papier mit entsprechenden Plänen zuzuschicken. «Daraus haben wir gelernt: Wenn wir nicht mit dem Volk kooperieren, werden wir eine Besatzerarmee statt eine Befreiungsarmee.» Vor dem Ausschuss zollte der Premier außerdem den im Irak gefallenen Soldaten sowie den Opfern der irakischen Bevölkerung Tribut. «Jeder Verlust eines Lebens ist etwas, was uns sehr traurig macht», sagte Brown. Blair hatte auf solche Beileidsbekundung im Beisein von Angehörigen der Opfer verzichtet, auch auf Nachfrage des Ausschussvorsitzenden John Chilcot. Brown war beim Einmarsch in den Irak Finanzminister unter dem damaligen Regierungschef Tony Blair. Vor dem Kongresszentrum, wo der Untersuchungsausschuss tagt, versammelte sich eine Gruppe Demonstranten. Der heutige Premierminister hatte die Entscheidung für den Irak-Einsatz in der Vergangenheit offiziell immer mitgetragen. Allerdings hatte er auch erkennen lassen, dass er dies eher aus Loyalität denn aus Überzeugung tat. Sein Amtsvorgänger Blair war vor gut vier Wochen vor dem Ausschuss befragt worden.
  • Der Ableger des Terrornetzwerks El Kaida im Irak hat am 5. März im Internet ein "Ausgehverbot" für Sonntag (Tag der Wahl; 7. März) erklärt, um die Parlamentswahl zu behindern. Wie das auf Überwachung islamistischer Webseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am 5. März in Washington mitteilte, drohte die Organisation allen Wählern mit dem "Zorn Gottes und den Waffen der Mudschahedin". Das "Ausgehverbot" solle von 06.00 Uhr bis 18.00 Uhr (Ortszeit) dauern. Das Verbot gelte "im ganzen Irak und insbesondere in sunnitischen Gegenden", zitierte SITE aus der Internetmitteilung. Die Gruppe rief den Angaben zufolge dazu auf, sich für den Wahltag mit Proviant einzudecken.
  • Am 6. März sind sie wieder zurückgekehrt, die schiitischen Milizionäre, die den Irak schon einmal an den Rand eines Bürgerkriegs gebracht haben. Viele Sunniten fürchten nun, dass die Gewalt wieder zunimmt. Aus Angst vor Übergriffen haben viele ihre Wohnungen zumindest vorübergehend verlassen.
  • Bei einem Anschlag auf schiitische Pilger sind in der Stadt Nadschaf im Irak drei Menschen getötet worden, darunter zwei Iraner. Es gab nach Angaben von Ärzten zudem 54 Verletzte, darunter 33 iranische Pilger, nachdem die Autobombe am 6. März 500 Meter entfernt vom Mausoleum des Imams Ali gezündet worden war. Ein Bus brannte aus. Der Anschlag erfolgte einen Tag vor der Parlamentswahl im Irak, für die erhöhte Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden.
  • In einem tödlichen Bomben- und Granathagel sind die Iraker am 7. März rege zur Wahl gegangen, um über die politische Weichenstellung sieben Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins zu entscheiden. Blutigen Anschlägen vor allem in Bagdad fielen bis zum Nachmittag mindestens 26 Menschen zum Opfer. Vom Ergebnis der Parlamentswahl hängt ab, ob sich der Irak dem schiitischen Iran zuneigt oder eine gemäßigte Regierung der nationalen Versöhnung unter Schiiten, Sunniten und Kurden gebildet werden kann. Die Aufstandsbewegung sunnitischer Extremisten hatte für den Wahltag Terror angedroht. «Diese Taten werden den Willen des irakischen Volkes aber nicht untergraben», sagte Regierungschef Nuri al-Maliki nach seiner Stimmabgabe. Er tritt mit seiner Dawa-Partei für einen Mittelweg zwischen säkularer und religiös beeinflusster Politik ein. Bedrängt wird seine Koalition von der Iran-freundlichen radikalschiitischen Irakischen Nationalallianz (INA). Sie wird angeführt vom Obersten Islamischen Rat Iraks (SIIC), aber auch eine Partei des antiamerikanischen Mullahs Muktada al Sadr gehört dem Bündnis an. Auf der anderen Seite steht das Irakija-Bündnis unter der gemeinsamen Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Ajad Allawi, einem Schiiten, und des sunnitischen Politikers Saleh al Mutlak. Aussagekräftige Umfragen gab es vor der Wahl nicht.
  • US-Präsident Barack Obama hat die Parlamentswahl im Irak als "wichtige Etappe" bezeichnet, zugleich aber vor "sehr schwierigen" künftigen Zeiten für das Land gewarnt. "Wir wissen, dass der Irak sehr schwierige Tage zu bewältigen haben wird und dass es wahrscheinlich noch mehr Gewalt geben wird", sagte Obama am 7. März in Washington. "Aber wie jedes andere souveräne und unabhängige Land muss der Irak die Freiheit haben, seinen eigenen Weg zu wählen." Zugleich würdigte er den Mut der Iraker, sich trotz der Drohungen und Anschläge an der Wahl zu beteiligen.
Montag, 8. März, bis Sonntag, 14. März
  • Nach der Parlamentswahl im Irak stehen jetzt langwierige und komplizierte Koalitionsverhandlungen an. Es gibt drei große arabische Fraktionen, die alle die Regierung bilden wollen: Die Rechtsstaat-Koalition von Ministerpräsident Nuri al-Maliki, die religiöse Schiiten-Allianz von Ammar al-Hakim und das reformorientierte Bündnis Al-Irakija unter dem säkularen Schiiten Ijad Allawi, das gestärkt aus der Wahl hervorgeht. Die Bundesregierung sieht nach der Wahl in Irak die Voraussetzungen für eine demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung in dem Land verbessert. Nun werde es darauf ankommen, eine stabile Regierung zu bilden und die demokratischen Institutionen weiter aufzubauen, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am 8. März in Berlin. Das vorläufige offizielle Wahlergebnis werde frühestens am kommenden Donnerstag (11. März) verkündet, sagte der Chef der Wahlkommission, Farradsch al-Haidari, am 8. März in Bagdad. Die Wahlkommission erklärte, die Kandidaten und Parteien hätten am Vortag «Dutzende von Beschwerden» eingereicht, die erst noch geprüft werden müssten. In dem noch amtierenden Kabinett von Al-Maliki hatten die religiösen Schiiten-Parteien zusammen mit den Kurdenparteien KDP und PUK den Ton angegeben.
  • Großbritannien untersucht Vorwürfe, wonach Soldaten im Südirak vor sechs Jahren bis zu 20 Zivilpersonen gefoltert und getötet haben sollen. Nach Darstellung von Irakern fanden die Misshandlungen 2004 in der britischen Kaserne Abu Nadschi in der Provinz Maysan statt. Der Onkel eines 19 Jahre alten Opfers hat gemeinsam mit fünf weiteren Irakern das britische Verteidigungsministerium verklagt. Die Streitkräfte haben erklärt, die Iraker seien bei Gefechten getötet worden. Die von einem pensionierten Richter geleitete Untersuchung begann am 9. März mit einer Voranhörung.
  • Nach der Parlamentswahl im Irak sind bei der Wahlkommission rund 1.000 Beschwerden eingegangen. Nähere Angaben zu den Beanstandungen machte das Gremium am 11. März nicht. Ersten Teilergebnissen zufolge liegt der Block des amtierenden Ministerpräsident Nuri al-Maliki in zwei überwiegend schiitischen Provinzen im Süden des Landes in Führung. Das Bündnis unter Führung des früheren Regierungschefs Ajad Allawi führt in zwei ehemaligen Hochburgen sunnitischer Aufständischer nördlich von Bagdad, wie die Wahlkommission weiter mitteilte. In der Provinz Erbil konnte sich demnach die Kurdische Allianz durchsetzen. Die vorläufigen Zahlen kommen aus fünf von insgesamt 18 Provinzen. Endgültige Resultate werden erst in einigen Tagen erwartet.
  • Das US-Außenministerium hat in seinem Jahresbericht Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan und im Irak angeprangert. Die Sicherheitslage am Hindukusch habe sich im vergangenen Jahr drastisch verschlechtert, und unter der Gewalt habe vor allem die Zivilbevölkerung zu leiden, heißt es in dem am 11. März vorgestellten Bericht. Fast ein Drittel Afghanistans ist demnach von dem bewaffneten Konflikt betroffen. Die Regierung im Irak machte das Ministerium für mutmaßliche willkürliche Tötungen verantwortlich. Obwohl sich die Sicherheitslage im Land grundsätzlich verbessere, komme es immer noch zu Rechtsverletzungen, beklagt der Bericht für das Jahr 2009.
  • Nach der Parlamentswahl im Irak hat das Wahlbündnis des früheren Regierungschefs Ijad Allawi am 12. März schwere Betrugsvorwürfe erhoben. Bei der Stimmabgabe und bei der Auszählung der Stimmen habe es "unverhohlenen Betrug" zugunsten von Ministerpräsident Nuri el Maliki gegeben, erklärte Allawis schiitisch-sunnitisches Bündnis Irakija. Es seien Zahlen "manipuliert und geändert" worden, um das Ergebnis von Malikis Rechtsstaatsallianz zu verbessern, sagte die Kandidatin Intissar Allawi, eine Vertraute Allawis. In der nordirakischen Provinz Kirkuk seien Stimmzettel zugunsten des Allawi-Bündnisses in Mülleimern gefunden worden. Ein Vertreter der Wahlkommission wies die Vorwürfe zurück und wertete sie als politisch motiviert. Die Behörden leiteten aber bereits eine Untersuchung ein, wie Ijad El Kinani der Nachrichtenagentur AFP sagte. Ein Vertreter der Wahlkommission hatte von etlichen Beschwerden gesprochen, die bislang bei der Behörde eingegangen seien.
  • Am 14. März, eine Woche nach der Parlamentswahl im Irak liegt die bisherige Regierung nach ersten Teilergebnissen vorn. Demnach konnte sich das Bündnis von Ministerpräsident Nuri al-Maliki etwas absetzen von der Irakija-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Ajad Allawi. Auf dem dritten Platz liegt die schiitische Irakische Nationalallianz (INA), wie die Wahlkommission am 13. März mitteilte. Landesweit erhielt Al-Malikis Bündnis mit der Bezeichnung Rechtsstaat nach dem bisherigen Auszählungsstand mehr als 357.000 Stimmen. Auf die Irakija entfielen 295.400 und auf die INA 280.500 Stimmen. Die Irakija erneuerte ihren Vorwurf des Wahlbetrugs und verlangte eine genaue Untersuchung. Nach Angaben der Wahlkommission gingen mittlerweile mehr als 2.000 Beschwerden ein. Wann das Endergebnis der Wahl feststeht, ist noch nicht abzusehen. Die 325 Abgeordneten des neuen Parlaments wählen den Ministerpräsidenten.
Montag, 15. März, bis Sonntag, 21. März
  • Die irakische Wahlkommission hat nach eigenen Angaben erst rund 60 Prozent der Stimmzettel ausgewertet, die bei der Parlamentswahl am 7. März abgegeben wurden. Das hält die Allianzen, die nach den bisherigen Hochrechnungen die ersten vier Plätze belegt haben, aber nicht davon ab, bereits informelle Koalitionsgespräche zu führen. Die Allianz der Kurden-Parteien KDP und PUK wird bisher am stärksten als möglicher Koalitionspartner umworben. Die Wahlkommission teilte am 15. März mit, das vollständige Ergebnis der Parlamentswahl werde noch einige Tage auf sich wartenlassen. In der Stadt Falludscha im Westen des Landes kamen acht Menschen ums Leben, als eine Autobombe im Stadtzentrum explodierte. Es war der erste größere Terroranschlag im Irak seit den Parlamentswahlen. Wie die Polizei berichtete, wurden durch die Bombe, die sich nach Einschätzung der Polizei gegen eine Armeepatrouille gerichtet hatte, 13 Menschen verletzt. In der nördlichen Stadt Mossul töteten Aufständische zwei Polizisten, so die Presse am 15. März.
  • Der weltgrößte Stahlhersteller, ArcelorMittal, will im Nordirak ein Stahlwerk aufbauen. Der Konzern habe dazu mit dem türkischen Unternehmen Dayen eine Vereinbarung unterzeichnet, teilte ArcelorMittal am 16. März mit. Das Werk für Baustahl soll demnach in Suleimanija im autonomen Kurdengebiet entstehen und Ende kommenden Jahres die Produktion aufnehmen. Geplant sei zunächst eine Kapazität von 250.000 Tonnen pro Jahr. ArcelorMittal und Dayen wollen 100 bis 130 Millionen Dollar (73 bis 95 Millionen Euro) in ihr Gemeinschaftsunternehmen investieren.
  • Der britische Premierminister Gordon Brown hat eine Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss zum Irak-Krieg zugegeben. Bei seiner wöchentlichen Fragestunde im britischen Unterhaus räumte Brown am 17. März ein, falsche Angaben zur finanziellen Ausstattung der britischen Truppen während des Irak-Kriegs gemacht zu haben. Beim Verteidigungsbudget habe es, anders als im Ausschuss angegeben, in "ein oder zwei Jahren" keinen realen Zuwachs gegeben, sagte er. Brown kündigte an, den Ausschussvorsitzenden John Chilcot schriftlich über die Korrektur zu informieren.
  • Auch zehn Tage nach der Parlamentswahl im Irak ist noch völlig offen, welche Parteien in Bagdad künftig den Ton angeben werden. Nachdem es zunächst so aussah, als wäre die Rechtsstaat-Koalition des schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki die stärkste Fraktion geworden, zeichnet sich nun ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Al-Maliki und dem Bündnis des säkularen Schiiten Ijad Allawi ab. Fattah al-Scheich, ein Kandidat von Allawis Al-Irakija-Liste, sagte am 17. März der Deutschen Presse-Agentur dpa: «Wir haben aus der Wahlkommission um Mitternacht Informationen erhalten, wonach die Al-Irakija-Liste nach der Auszählung von 79 Prozent der Stimmen vor allen Mitbewerbern liegt.» Dass die Wahlkommission die Ergebnisse nur langsam und häppchenweise veröffentlicht, sorgt inzwischen auch im Lager von Al- Maliki für große Nervosität. Fallah Abdullah, ein Mitstreiter des Regierungschefs, sagte: «Das ganze Prozedere zerrt ganz schön an den Nerven.» Es wäre besser gewesen, die Kommission hätte gewartet und dann nur das Endergebnis verkündet. Abdullah warf der Kommission vor, sie habe mit ihrer Vorgehensweise für Konfusion gesorgt: «Jetzt sind alle durcheinander, die Politiker, die Öffentlichkeit und auch die Medien».
  • Zum siebten Jahrestag des Irak-Kriegs sind am 20. März Tausende Aktivisten zu einer Demonstration in Washington erwartet worden. Der Protestmarsch sollte in der Nähe des Weißen Hauses starten und durch die Innenstadt führen. Zu den prominenten Teilnehmern gehört unter anderem die Friedensaktivistin Cindy Sheehan. 2006 und 2007 waren am Jahrestag jeweils Zehntausende Menschen die Straße gegangen. Die Bewegung erhalte inzwischen aber Zulauf wegen der Entscheidung von US-Präsident Barack Obama, die Truppen in Afghanistan aufzustocken, erklärten die Organisatoren.
  • Angesichts des sich abzeichnenden äußerst knappen Wahlausgangs im Irak hat der irakische Regierungschef Nuri el Maliki eine Neuauszählung der Stimmen gefordert. Maliki habe die Wahlkommission aufgerufen, sich zu den Forderungen der politischen Parteien im Land zu äußern, die Stimmzettel von Hand neu auszuzählen, hieß es in einer am 21. März in Bagdad veröffentlichten Erklärung des Ministerpräsidenten. Ob die Neuauszählung nur in bestimmten Provinzen oder im ganzen Land stattfinden sollte, blieb zunächst offen.
Montag, 22. März, bis Sonntag, 28. März
  • Im Süden des Iraks ist nach Behördenangaben ein Massengrab von Anfang der 90er Jahre entdeckt worden. Arbeiter, die ein Bewässerungsprojekt der Regierung vorbereiteten, seien in einer landwirtschaftlich genutzten Gegend in der Provinz Majsan auf das Grab gestoßen, sagte der Sprecher des Ministeriums für Menschenrechte, Kamil Amin, am 23. März. Etwa 20 Leichen seien exhumiert worden. Bis zur vollständigen Bergung aller Leichen seien die Arbeiten an dem Bewässerungsprojekt ausgesetzt worden. Seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 wurden im Irak zahlreiche Massengräber gefunden. Nach Saddam Husseins Niederlage im Ersten Golfkrieg kam es im Süden des Landes 1991 zu einem Aufstand von Schiiten, der blutig unterdrückt wurde. Schätzungen zufolge kamen hunderttausende Menschen ums Leben.
  • Die Lufthansa fliegt erstmals seit 20 Jahren wieder ein Ziel im Irak an. Wie der Luftfahrtkonzern am 24. März in Frankfurt am Main mitteilte, wird ab dem 25. April eine Direktverbindung zwischen Frankfurt am Main und der nordirakischen Stadt Erbil aufgenommen. Die Strecke wird demnach viermal in der Woche beflogen. Eingesetzt werden sollen Maschinen des Typs Airbus A319 mit 132 Sitzplätzen in Business und Economy Class.
  • Iraker können von Deutschland grundsätzlich wieder in ihre Heimat abgeschoben werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof veröffentlichte am 24. März drei Urteile, wonach bei einer Rückkehr nach Bagdad, Mossul oder Kirkuk nach derzeitiger Sicherheitslage kein Grund für die Gewährung von Abschiebungsschutz wegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte zuvor die Anerkennung dreier Iraker als Flüchtlinge widerrufen. Danach änderte der Bundestag aber das Aufenthaltsgesetz gemäß einer Richtlinie der EU. Das Bundesverwaltungsgericht verwies die laufenden Verfahren deshalb zurück an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Dieser kam nun zu dem Urteil, dass die Gefahrendichte in Bagdad, Mossul oder Kirkuk derzeit nicht so hoch sei, dass praktisch jede Zivilperson alleine aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Revision wurde zugelassen.
  • Kurz vor der erwarteten Bekanntgabe der Wahlergebnisse im Irak sind bei einem Bombenanschlag in der Kleinstadt Chalis mindestens 42 Menschen (am 27. März bereits 57 Tote) getötet worden. Der Nachrichtensender Al-Arabija berichtete am 26. März, Dutzende von Menschen hätten zudem Verletzungen erlitten, als kurz hintereinander zwei Sprengsätze auf einem Markt in der nördlich von Bagdad gelegenen Stadt detonierten.
  • Fünf Jahre nach dem Tod von 24 Kindern, Frauen und Männern in der irakischen Stadt Haditha muss sich ein amerikanischer Unteroffizier deswegen vor einem Militärgericht verantworten. Ein Militärrichter lehnte am 26. März den Antrag von Frank Wuterich ab, die Klage gegen ihn fallenzulassen. Zur Begründung sagte Richter David Jones in Camp Pendleton, es gebe keine Belege für Unregelmäßigkeiten bei den Ermittlungen. Der 30-jährige Wuterich ist der letzte von einst acht Angeklagten in diesem Fall. Einer wurde freigesprochen, gegen sechs andere wurde die Anklage fallengelassen. Der Prozess gegen Wuterich soll am 13. September beginnen. Die Anklage lautet auf Totschlag in neun Fällen. Zurzeit ist Wuterich in der Verwaltung von Camp Pendleton tätig. Die Einheit Wuterichs ging im November 2005 gegen Bewohner von Haditha vor, nachdem ihr Militärkonvoi auf einen Sprengsatz gefahren war. Zunächst wurden fünf Männer aus einem Fahrzeug heraus erschossen. Danach gingen die Marineinfanteristen von Haus zu Haus und töteten 19 Bewohner.
  • Das oppositionelle Wahlbündnis des früheren irakischen Regierungschefs Ijad Allawi hat laut offiziellem Endergebnis die Parlamentswahl Anfang März gewonnen. Das schiitisch-sunnitische Bündnis Irakija sei aus der Abstimmung als stärkste Kraft hervorgegangen, teilte die Wahlkommission am 26. März in Bagdad mit. Es eroberte demnach 91 der 325 Sitze im Parlament; das rivalisierende Wahlbündnis von Regierungschef Nuri el Maliki kam auf 89 Mandate.
  • Nach dem knappen Sieg bei der Parlamentswahl im Irak hat das bisherige Oppositionsbündnis von Ex-Ministerpräsident Ijad Allawi Gespräche zur Bildung einer Regierung aufgenommen. Seine laizistische Allianz Irakija werde "mit allen Seiten zusammenarbeiten", sagte Allawi am 27. März vor Journalisten in Bagdad. Der Irak brauche eine starke Regierung, die dem Volk diene und dem Land Frieden und Stabilität bringe. Er beauftragte den scheidenden sunnitischen Vize-Ministerpräsidenten Rafa el Essawi, der auch seinem Bündnis angehört, die Verhandlungen zu leiten.
  • Bei einer Serie koordinierter Bombenanschläge sind in der irakischen Stadt Kaim mindestens fünf Menschen getötet und 26 weitere verletzt worden. Die Sprengsätze explodierten am 28. März in der Nähe des Hauses eines bekannten sunnitischen Politikers, der bei der Parlamentswahl am 7. März kandidiert hatte. Nach Angaben eines Polizeisprechers detonierte die erste Bombe am Morgen auf einer Baustelle. Als sich Schaulustige versammelten, gingen vier weitere Sprengsätze hoch.
Montag, 29. März, bis Mittwoch, 31. März
  • Nach der Parlamentswahl im Irak will ein Kontrollkomitee sechs siegreiche Kandidaten wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Baath-Partei von Saddam Hussein disqualifizieren. Unter ihnen sind vier Politiker der Liste des früheren Ministerpräsidenten Ajad Allawi, wie das Gremium am 29. März mitteilte. Ausgeschlossen werden sollen außerdem ein Kandidat von der schiitischen Allianz von Amtsinhaber Nuri al-Maliki sowie ein kurdischer Kandidat. Sollte ein Gericht der Empfehlung des Komitees stattgeben, könnte das die Mehrheitsverhältnisse nach der Wahl von 7. März ändern. Allawis Bündnis hat die Al-Malikis Allianz mit nur zwei Parlamentssitzen Vorsprung geschlagen. Seine Irakija-Partei sprach am 29. März von einer politisch motivierten Entscheidung. Alle sechs Politiker seien von der Wahlkommission zugelassen worden.
  • Der UN-Sicherheitsrat hat alle politischen Parteien im Irak aufgerufen, das Ergebnis der Parlamentswahl von Anfang März zu respektieren. In einer nicht-bindenden Erklärung forderte das Gremium am 31. März zudem die politischen Führer des Irak auf, "aufrührerische Reden und Aktionen" zu unterlassen. Die 15 Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates lobten demnach den Ablauf der Wahl vom 7. März, die internationale Beobachter im Großen und Ganzen als rechtmäßig eingestuft hatten.


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