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Irak: Chronik wichtiger Ereignisse

Oktober 2008


Mittwoch, 1. Oktober, bis Sonntag, 5. Oktober
  • Die Sicherheitslage in Irak ist nach Ansicht des US-Verteidigungsministeriums "sensibel und zerbrechlich". Zwar habe es in den vergangenen drei Monaten Fortschritte gegeben, heißt es im Quartalsbericht des Pentagons an den Kongress in Washington. So sei die Zahl der Gewalttaten im Vergleich zur entsprechenden Periode des Vorjahres um mehr als 70 Prozent gesunken. Doch diese Entwicklung sei keineswegs gesichert und "nicht umumkehrbar", warnte das Pentagon. Noch immer kämpften in Irak verschiedene Gruppierungen "um Macht und Einfluss", daher sei das eigentliche Grundproblem weiter vorhanden, so die Presse am 1. Oktober. Gleichzeitig haben die US-Streitkräfte in Irak am 1. Oktober mit der Kommandoübergabe an die run 100 000 sogenannten Sahwa Kämpfer begonnen. Die Sahwa-Brigaden bestehen vorwiegend aus ehemaligen sunnitischen Aufständischen, die sich den US-amerikanischen Truppen im Kampf gegen das terroristische Netzwerk Al Quaida angeschlossen haben.
  • Die türkische Regierung will nach dem jüngsten Angriff der PKK den Streitkräften mehr Befugnisse im Kampf gegen den Terrorismus geben. Ministerpräsident Erdogan erwägt auch eine neue Militäroffensive im Nordirak. "Die PKK wolle die Türkei polarisieren, zu einer Großoffensive im Nordirak verführen, um dadurch das Verhältnis Ankaras zu den USA und zur EU zu stören", so Hugh Pope, politischer Analyst bei der Internationalen Crisis Group (Konfliktforschung) am 2. Oktober in den Nachrichten. Die türkische Regierung sei in Gefahr, tatsächlich in diese Falle zu laufen.
  • Die US-Armee hat nach eigenen Angaben die Nummer Zwei der Al Quaida-Terroristen in Irak getötet. Das Oberkommando meldete, ein am 5. Oktober während einer Razzia in der Stadt Mossul getöteter Terrorist sei nun zweifelsfrei identifiziert worden. Es handelt sich den Angaben zufolge um einen Marokkaner mit dem Kampfnamen Abu Kaswarah, der vom Terrornetzwerk Al Quaida in Afghanistan an der Waffe ausgebildet worden sein soll. Abu Kaswarah habe den Zustrom ausländischer Terroristen nach Nordirak organisiert. Diese hätten anschließend Selbstmordanschläge in den Städten Tel Afar und Mossul verübt.
Montag, 6. Oktober, bis Sonntag, 12. Oktober
  • Die Regierung in der Türkei hat am 8. Oktober mit den Stimmen aller Fraktionen außer der prokurdischen Partei für eine demokratische Gesellschaft die Verlängerung des Mandates für einen Einmarsch der türkischen Armee in Irak um ein Jahr verlängert. Die Erlaubnis, die Separatisten von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auch in ihrem Rückzugsgebiet in Nordirak anzugreifen, wäre am 17. Oktober ausgelaufen. Nach mehreren Anschlägen der PKK auf türkisches Militär löste größte Bestürzung im Land aus. Seit dieser Abstimmung darf das türkische Militär nun auch ohne gerichtliche Beschlüsse Hausdurchsuchungen im Rückzugsgebiet der Kurden vollziehen. Seit der Erteilung des Einmarscherlaubnis im Jahr 2007 haben die türkischen Streitkräfte zahlreiche Bombardements auf irakischem Gebiet durchgeführt und im Febrauer 2008 mit mehreren tausend Soldaten die Grenze überschritten, um grenznahe PKK-Verstecke auszuheben. In dem Konflikt starben nach Angaben der türkischen Armee im Laufer der "Demokratisierung" und EU-Annäherung mindestens 35 000 Menschen.
  • Die rot-grüne Bundesregierung hat den Bundesbürger offenbar belogen, als sie behauptete, Deutschland beteilige sich nicht an dem völkerrechtswidrigen Angriff der USA, so namhafte Zeitungen am 8. Oktober. Man übermittelte nicht nur Koordinaten für die US-Luftwaffe, sondern beteiligte sich auch mit zahlreichen Informationen am "urban warfare" (dt.: "Häuserkampf") der verbündeten Bodentruppen. So wurde aufgeklärt, dass die Iraker wichtige Tigris-Brücken nicht zur Sprengung vorbereitet hatten und dass die damaligen ausgehobenen Gräben rund um die Hauptstadt nicht wie angedroht mit Oel gefüllt waren, das man beim Angriff der US-Bodentruppen hätte entzünden können. Ein Mitglied aus der BND-Auswertung vermutut, dass bis hinauf zum Kanzler, alle Bescheid wussten.
  • Kurdische Politiker kritisieren die fortwährende Präsenz türkischer Streitkräfte auf irakischem Boden, zur Bekämpfung der PKK. Sollten die Türken nicht einen Rückzug anvisierung und irakisches Territorium verlassen, sei dies ein Problem, das nicht die kurdischen Sicherheitskräfte zu lösen hätten, sondern die nationale Armee des Iraks, sagte Dschabar Jawa am 10. Oktober gegenüber der Nachrichtenagentur Aswat al-Irak.
Montag, 13. Oktober, bis Sonntag, 19. Oktober
  • Die UNO hat die eskalierende Gewalt gegen Christen im Nordirak scharf verurteilt. Der Anstieg der Gewalttaten gegen christliche Gläubige vor allem in der Stadt Mossul sei beunruhigend, heißt es in einer am 13. Oktober in Bagdad veröffentlichten Erklärung des UNO-Sondergesandten Staffart de Mistura. Die Ermordung von Zivilisten werde scharf verurteilt. "Diese Taten ziehen darauf ab, Spannungen zu schüren und die Instabilität in einem kritischen Moment zu erhöhen", erklärte de Mistura weiter. Mossul war in den vergangenen Tagen Schauplatz einer Gewaltwelle gegen die dort lebenden Christen. Nach Angaben der Behörden wurden binnen zwei Wochen mindestens zwölf Christen von Unbekannten ermordet; fast tausend Familien flüchteten aus der Stadt in umliegende Dörfer. Das Innenministerium beorderte zum Schutz der Christenviertel und Kirchen rund 900 Polizisten nach Mossul. Mossul gilt als einer der gefährlichsten Regionen des Landes.
  • Das von der irakischen Führung angestrebte langfristige Sicherheitsabkommen mit den USA über die Präsenz US-amerikanischer Truppen ist vor der Fertigstellung. Präsident Talabani und Regierungschef al- Maliki kamen am 14. Oktober in Bagdad zu entsprechenden Beratungen über den beinahe fertigen Entwurf zusammen. Darin wird festgehalten, dass sich die US-Streitkräfte bis Ende Juni 2009 aus den irakischen Städten in ihre Stützpunkte zurückziehen und das Land bis 2011 verlassen, darauf folgten eine von dem Besatzungsgegner und Prediger Sadr organisierte Großdemonstration irakischer Zivilisten in Bagdad, die einen sofortigen Abzug der USA und aller ausländischen Truppen forderten und zugleich ein "überdenken" des beschlossenen Sicherheitsabkommens verlangen.
Montag, 20. Oktober, bis Freitag, 31. Oktober
  • Washington ist davon überzeugt, dass viele der Attentäter im Irak Nachbarländer als Basis für iher Terroraktiväten nutzen. Das Training findet beispielsweise im Libanon statt, meist in bewaldeten Gebieten, um nicht von Spionageflugzeugen entdeckt zu werden. Vorallem die Hisbollah-Trainer kämen besser weg, weil sie arabisch sprechen und auf die Iraker besser eingehen könnten, so ein Experte am 25. Oktober gegenüber der Frankfurter Rundschau. Nach Einschätzung der US-Militärs haben die Angriffe schiitischer Special Forces auf die Koalitionstruppen in den letzten Monaten nachgelassen. Sie rechnen jedoch mit einer neuen Anschlagswelle, im Zeitraum der Regionalwahlen 2009 im Irak.
  • Die Attacke der US-Luftwaffe auf syrisches Gehöft bei Abu Kamal nahe der Grenze zum Irak hat nach Angaben der Regierung in Bagdad Extremisten gegolten. Aufständische hätten von dort aus Vorstöße über die Grenze unternommen, sagte am 27. Oktober der irakische Regierungssprecher al-Dabbagh. Damaskus sprach dagegen von einem Kriegsverbrechen und einem Verstoß gegen das Völkerrecht und kündigte eine Beschwerde beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an. Das Weiße Haus und das Pentagon schwiegen am selbigen Tag. Durch diesen militärischen Schlag steht der irakische Regierungschef al-Maliki vor einem Scherbenhaufen, nachdem vor kurzem erstmals seit Monaten wieder ein syrischer Botschafter nach Bagdad eingeladen wurde.
  • In Bagdad erschossen US-Soldaten nach Angaben des Militärkommandos fünf "Kriminelle", die sie an einer Straßensperre attackiert hatten. Ebenfalls in der Hauptstadt starben drei Zivilisten durch einen Sprengstoffanschlag. Die Nachrichtenagentur Anwar al-Irak meldete, fünf weitere Menschen seien verletzt worden, als der Sprengsatz im Amin-Viertel im Osten der Stadt neben einem Auto explodierte. Unterdessen verglich der chaldäische Bischof Rabban al Kas, die derzeitige Lage mit den Christenverfolgungen der frühen Jahrhunderte. Selbst gemäßigte Muslime wagten aus Angst vor Racheakten nicht mehr, christliche Nachbarn und Bekannten Schutz zu gewähren. Tausende Christen befänden sich derzeit auf der Flucht, so der Bischof am 28. Oktober weiter. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) hat Kanzlerin Merkel aufgefordert, sich für die verfolgten Christen im Irak stark zu machen und Asyl in Deutschland oder in anderen EU-Staaten zu gewähren.
  • Ein Iraker ist wegen der Ermordung von zwei US-Soldaten am 29. Oktober zum Tode verurteilt worden. Die Soldaten waren am 16. Juni 2006 nach einem Angriff auf eine Straßensperre südlich von Bagdad, bei der ein dritter Soldat getötet wurde, von Aufständischen verschleppt worden. Drei Tage später fand man auch ihre Leichen. Zwei weitere Iraker wurden vom Vorwurf der Beihilfe freigesprochen. Der zum Tode voerurteile Iraker kann innerhalb von 30 Tagen Berufung einlegen.
  • Durch einen Sprengstoffanschlag am 30. Oktober ist in Bagdad ein Teil des Trinkwassernetzes schwer beschädigt worden. Mehre Ortsteile waren komplett ohne Wasser und hunderttausende Bewohner von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten, wie die US-Armee in der irakischen Hauptstadt mitteilte.
  • Aus Angst vor dem Iran und angelockt vom Oel (Verkauf unter Weltmarktpreis) und Wiederaufbau-Verträgen eröffnen im Irak reihenweise neue Botschaften, so die Frankfurter Rundschau in ihrer Ausgabe vom 30. Oktober. Jahrelang war Bagdad ein weißer Fleck auf der diplomatischen Landkarte. Die europäischen und asiatischen Staaten, aber auch die arabischen Nachbarn hatten ihre Botschaften vor Jahren geschlossen und das Personal aus Sicherheitsbedenken abgezogen.


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