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Die fünfte Woche: 17. bis 23. April 2003

Irak: Kriegschronik

Alle Angaben stehen unter dem Vorbehalt, von uns nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden zu können.

Donnerstag, 17. April
  • US-Spezialeinheiten fassten nach Hinweisen aus der Bevölkerung am Donnerstag in Bagdad einen zweiten Halbbruder des entmachteten Präsidenten Saddam Hussein, Barsan Ibrahim el Tikriti. Auf der US-Fahndungsliste steht er an 52. Stelle.
  • Ahmad Chalabi, Leiter des Irakischen Nationalkongresses (INC), kehrte am Donnerstag nach mehr als 40 Jahren im Exil nach Irak zurück. Er gilt als möglicher Chef einer Übergangsregierung in Bagdad und wird von den USA unterstützt.
  • Syriens Außenminister Faruk el Schara lehnte einseitige ausländische Inspektionen zur Suche nach Chemiewaffen in seinem Land ab. Er begrüßte den angekündigten Besuch von US-Außenminister Colin Powell. Dieser hatte angekündigt, bald nach Damaskus zu reisen, um "kritische Probleme" zu klären.
  • Die EU hat auf ihrem Gipfeltreffen in Athen eine Erklärung verabschiedet, in der gefordert wird, dass die UN eine "zentrale Rolle" spielen müsse, "auch beim Prozess, der zu einer eigenen Regierung für das irakische Volk führt". Doch von Einigkeit in der EU in der Irakfrage kann immer noch keine Rede sein. Der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen sprach am Rande des GipfelsRegierungen an, die den USA am nächsten stehen, um sie für eine Friedenstruppe für den Irak zu gewinnen. Spanien, Italien und Polen sagten bereits zu. Die baltischen Staten signalisierten Interesse.
  • Die US-Luftwaffe hat am Donnerstag im Irak Stützpunkte der bewaffneten iranischen Oppositionsgruppe der Volksmudschaheddin bombardiert. Nach einer Meldung der New York Times habe zu den bombardierten Zielen auch das militärische Hauptquartier der iranischen Regimegegner im Lager Aschraf 100 km nördlich von Bagdad gehört. Die Volksmudschaheddin versuchen seit einigen Jahren, mit mehreren Tausend Kämpfern vom Irak aus die islamische Führung in Teheran zu stürzen. In den Augen der US-Führung gelten die Volksmudschaheddin aber als verlängerter Arm des Regimes von Saddam Hussein. Die iranische Exilgruppe steht auf der US-Liste der Terror-Organisationen.


Eine statistische Bilanz (Stand: 15. April)

Im Irakkrieg, der am 20. März begann, sind bisher Tausende Menschen ums Leben gekommen. Aus unterschiedlichsten Quellen, die oft nur Schätzungen nennen, ergibt sich folgendes Bild des Krieges in vorläufigen Zahlen:

Tote, Verwundete, Kriegsgefangene
  • Kriegsallianz: mindestens 149 Soldaten getötet, 495 Verwundete; darunter sind Tote bei der Explosion von Munition und versehentlichem Beschuss durch eigene Truppen ("friendly fire");
  • Irak: mindestens 2.300 Soldaten getötet (US-Schätzung);
    mindestens 1.200 Zivilisten getötet (irakische Schätzung);
    mindestens 7.300 irakische Kriegsgefangene (US-Angaben)
  • Medien: mindestens 10 Journalisten getötet
Streitkräfte
  • Alliierte: rund 300.000 Soldaten in der Region, darunter 255.000 Amerikaner, 45.000 Briten und 2.000 Australier;
  • Irak: rund 380.000 Soldaten, zusätzlich zwischen 500.000 und 650.000 Reservisten
Eingesetzte Waffen
  • Etwa 15.000 "Präzisionsbomben",
  • etwa 8.000 ungesteuerte Sprengkörper,
  • etwa 800 Tomahawk Flugkörper
bei rund 30.000 Einsätzen

Kriegskosten
  • bisher über 25 Milliarden Dollar
[USA: 79 Milliarden Dollar für Irak-Krieg und Folgen (darin 62,6 Millarden reine Kriegskosten); Briten: 3 Milliarden Pfund (4,5 Milliarden Euro) für Irak-Krieg]

Kriegsschäden
  • Kultur: Irakisches Nationalmuseum und Nationalbibliothek beraubt;
  • Infrastruktur: Wasser- und Stromversorgung teils zerstört, unter anderem Krankenhäuser und öffentliche Gebäude geplündert;
  • Umwelt: wenige Ölquellen wurden in Brand gesteckt;
  • Geschätzte Kosten für den Wiederaufbau des Iraks mindestens 100 Milliarden Dollar
Flüchtlinge
  • das UN-Flüchtlingshilfswerk schätzt 30.000 irakische Flüchtlinge im eignen Land an der Grenze zu Iran
Quelle: www.yahoo.de; 15. April 2003


Freitag, 18. April
  • Rund 3.000 iranische paramilitärische Kämpfer sind in dieser Woche nach Angaben iranischer Oppositioneller in den Irak eingedrungen, um gegen die dort im Exil lebenden iranischen Volksmudschahedin zu kämpfen. Am Mittwochmorgen und Donnerstagabend seien rund 3.000 Revolutionswächter (Pasdaran) nach Irak eingedrungen, sagte Pari Bakschai, ein hochrangiges Mitglied der Volksmudschahedin, am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. Die Kämpfer seien in gepanzerten Fahrzeugen in der nordöstlich von Bagdad gelegenen Provinz Dijala angekommen.
  • Im Norden Bagdads greifen US-Truppen am Freitag ein Flugfeld an und nehmen 30 Kämpfer von paramilitärischen Einheiten fest. Auf Aufnahmen von Aufklärungsflugzeugen war nach Angaben des US-Oberkommandos zu sehen, wie Munition auf Lastwagen geladen wurde.
  • Das US-Zentralkommando in Katar gab am Freitag bekannt, dass kurdische Kämpfer mit Ex-Ölminister Samir Abdel Asis el Nadschim den US-Truppen einen der 55 meistgesuchten Männer in Irak übergeben hätten.
  • Der Mangel an sauberem Trinkwasser hat zu einer raschen Ausbreitung von Durchfallerkrankungen unter Kindern im Süden Iraks geführt. Allein im Krankenhaus der Ortschaft El Subair bei Basra werden täglich etwa 200 Kinder unter fünf Jahren wegen Magen-Darm-Erkrankungen wie Durchfall und Erbrechen behandelt, wie der Arzt Schaie el Sukaini am Freitag der Nachrichtenagentur AFP sagte. Die Ärzte in der Rot-Kreuz-Klinik führten die meisten Erkrankungen auf den Mangel an trinkbarem Wasser zurück. Seit Kriegsbeginn vor einem Monat seien bereits 20 Säuglinge in El Subair gestorben.
  • Australische Soldaten haben in Irak 51 getarnte Kampfflugzeuge der irakischen Luftwaffe gefunden. Die Maschinen seien auf einem verlassenen Flugfeld im Westen des Landes aufgespürt worden, sagte der australische Oberstleutnant Mark Elliot am Freitag in Katar. Die Soldaten hätten dort zudem "eine Menge leichter Waffen" gefunden. Sie seien bei der Einnahme des Flugplatzes auf "sehr wenig Gegenwehr" gestoßen, es habe keine Opfer gegeben. Wo sich der Flugplatz befindet, sagte Elliot nicht. In Irak sind derzeit etwa zweitausend australische Soldaten im Einsatz.
  • Bei den Freitagsgebeten im Stadtteil Asamejah verurteilte der muslimische Prediger Scheik Ahmed el Kubaisi die "Besetzung" durch die Alliierten. Die US-Soldaten sollten das Land verlassen, bevor sie von den Irakern vertrieben würden, zitierte ihn der Sender El Dschasira. Im Anschluss an die Gebete zogen Zehntausende Muslime durch die Straßen und riefen "Nein zu Amerika, Nein zu Saddam!". Auf Transparenten stand: "Verlasst unser Land, wir wollen Frieden." Als sich Marineinfanteristen näherten, erhoben die Demonstranten ihre Fäuste. Die US-Soldaten wichen daraufhin zurück.
  • Oppositionsführer Ahmed Tschalabi eröffnet nach 40 Jahren im Exil das erste Büro des Irakischen Nationalkongresses (INC) in Bagdad. Der mögliche Chef einer Übergangsverwaltung fordert von den USA die schnelle Machtübergabe.
  • Washington will eine eigene Truppe mit der Suche nach Massenvernichtungswaffen in Irak beauftragen. Zu der 1.000 Mitglieder zählenden Gruppe, die Washington nach Irak entsenden will, sollen Militärexperten, Geheimdienstleute, zivile Wissenschaftler und private Auftragnehmer gehören. Das berichtete der US-Sender CNN am Freitag unter Berufung auf Beamte des Pentagon. Eine Vorhut halte sich bereits in Irak auf, die gesamte Organisation solle in wenigen Wochen einsatzbereit sein. Die USA gehen davon aus, in Irak verbotene Massenvernichtungswaffen zu finden. Der Chef der UN-Inspektoren in Irak, Hans Blix, forderte dagegen die Wiederaufnahme der Waffenkontrollen durch eine von der UN legitimierte Spezialistentruppe. Andernfalls könnte bei Waffenfunden "deren Echtheit angezweifelt werden", sagte er dem Nachrichten-Magazin Spiegel.
  • Die USA haben nach Syrien nun auch Libanon gewarnt, irakische Regierungsmitglieder aufzunehmen. Dies habe der US-Botschafter in Beirut, Vincent Battle, dem libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri mitgeteilt, hieß es am Freitag aus dem Umfeld des libanesischen Außenministeriums. Die USA würden die Aufnahme von hochrangigen Irakern in Libanon als "feindlichen Akt" betrachten, warnte Battle demnach. Erst am Donnerstag hatte Hariri eine neue Regierung gebildet. Sie gilt als die Syrien-freundlichste Regierung seit mehr als zehn Jahren. Damaskus nimmt erheblichen politischen Einfluss auf Beirut.
  • Die Außenminister der sechs irakischen Nachbarstaaten sowie Bahrains und Ägyptens haben zum Auftakt ihrer Gespräche über die politische Zukunft Iraks die Drohungen der USA gegen Syrien verurteilt. "Wir weisen die jüngsten Drohungen gegen Syrien kategorisch zurück", sagte der saudiarabische Außenminister, Prinz Saud el Faisal, zur Eröffnung des Treffens am Freitag in Riad. Diese würden "nur zu einem neuen Kreislauf von Unruhe und Gewalt in der Region führen". Die USA müssten mit Syrien den Dialog aufnehmen, forderte Faisal vor Beginn der Gespräche hinter verschlossenen Türen.
  • Der arabische Sender Abu Dhabi strahlte am Freitag ein Video und eine Rede Saddam Husseins aus. Video und Tonband seien am 9. April in Bagdad entstanden, als die USA die Hauptstadt einnahmen, teilte der Sender mit. Die Filmaufnahmen zeigen den irakischen Herrscher inmitten einer jubelnden Menge in Uniform. Auf dem Tonband ruft er sein Volk zum Widerstand auf und sagt, er sei noch an der Macht. Sollten die Aufnahmen echt sein, müsste Saddam Hussein einen Bombenangriff auf seinen vermuteten Aufenthaltsort im Stadtteil Mansur am 7. April überlebt haben. Die USA machten noch keine Angaben über die Echtheit des Materials.
  • Die USA haben einen ersten Großauftrag zum Wiederaufbau des Iraks vergeben. Er ging an die kalifornische Baufirma Bechtel. Sie soll unter anderem bei der Reparatur des Stromnetzes und der Flughäfen helfen. Der Auftrag hat ein Anfangsvolumen von fast 35 Millionen Dollar, kann aber bis auf 680 Millionen Dollar ausgeweitet werden, wenn der Kongress zustimmt. Die "New York Times" hatte berichtet, die Gesamtkosten für den Wiederaufbau würden auf 25 bis 100 Milliarden Dollar geschätzt.
Samstag/Sonntag, 19./20. April
  • Die sechs Nachbarstaaten des Irak haben die Alliierten zum sofortigen Rückzug ihrer Truppen aufgefordert. Nach dem Treffen der Außenminister in Riad hieß es: Die Iraker hätten das Recht auf die freie Wahl der Regierung. Eine von US-Experten geführte Übergangsadministration lehnten sie ab.
  • Die Plünderungen in irakischen Museen gehen nach Angaben von Kunstexperten weitgehend auf das Konto professioneller Banden. Die Plünderer seien im Auftrag einer internationalen Kunstmafia vorgegangen, sagte der Direktor des Islamischen Museums auf der Berliner Museumsinsel, Claus-Peter Haase, der Deutschen Presse-Agentur (dpa) am Samstag. Auch der israelische Archäologie- Professor Dan Bahat geht davon aus, dass die wichtigsten Stücke von professionellen Banden gestohlen wurden. An der jordanisch-irakischen Grenze wurden unterdessen 42 Gemälde sichergestellt, die vermutlich bei den Plünderungen gestohlen worden waren.
  • In Bagdad traf am Samstag unter Aufsicht der Vereinten Nationen ein erster Hilfsgüterkonvoi ein. Elektrizität gab es für die fünf Millionen Einwohner nach wie vor nicht. Die Lage in der Hauptstadt beruhigte sich weiter, nach Angaben amerikanischer Marine-Infanteristen kommt es nur noch selten zu vereinzelten Kämpfen.
  • Irakische Polizisten haben am Samstag in Bagdad den Finanzminister des gestürzten Staatschefs Saddam Hussein festgenommen. Die Polizei habe Hikmat Misban Ibrahim el Assaui den US-Truppen übergeben, erklärte das US-Oberkommando Mitte in Katar. El Assaui war auch stellvertretender Ministerpräsident. Zudem stellte sich ein irakischer Giftgas-Experte den amerikanischen Behörden, wie aus Regierungskreisen in Washington verlautete. In Bagdad traf ein erster Hilfsgütertransport ein.
  • In Bagdad forderten am Samstag rund 500 Demonstranten den Abzug der US-Streitkräfte, in Kut protestierten Hunderte gegen das Treffen eines US-Offiziers mit Stammesführern. Die Demonstranten unterstützten einen Geistlichen, der zuvor das Rathaus besetzt und erklärt hatte, die Stadt stehe unter seiner Kontrolle.
  • Der oberste US-Vertreter in Nordirak hat am Sonntag vor der Nationalversammlung Kurdistans versichert, dass sein Amt für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe (OHRA) keine provisorische Regierung darstelle. General a.D. Bruce Moore sagte in Irbil weiter, das Amt werde bald eine beratende Funktion übernehmen und schließlich wieder abziehen. "Die Verwaltung der grundlegenden Zivilversorgung wird so bald wie möglich an Irak übergehen", sagte Moore den Vertretern der autonomen kurdischen Region. Zunächst müssten Strom, Gesundheitsversorgung und die Auszahlung der Gehälter der öffentlichen Bediensteten sicher gestellt werden. Die verschiedenen Volksgruppen und Anhänger unterschiedlicher Religionen müssten ihre Differenzen überwinden, um einen neuen und demokratischen Irak aufzubauen, erklärte Moore unter dem Beifall der Delegierten weiter. Der 1992 gewählten Nationalversammlung gehören Abgeordnete der Patriotischen Union Kurdistans (PUC), der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) sowie der christlichen Minderheit Nordiraks an. Moore betonte, die USA würden es keiner Gruppierung erlauben, sich der natürlichen Ressourcen des Landes zu bemächtigen. Alle Iraker müssten von den Einkünften aus der Erdölförderung profitieren.
  • Die USA wollen nach den Worten des Ex-Generals Jay Garner eine demokratische Regierung für Irak, aber weder deren Form noch deren Zusammensetzung "diktieren". Garner soll die Übergangsverwaltung in Irak leiten. Washington wolle die Einsetzung einer Regierung, die dem Willen des irakischen Volkes entspreche, sagte Garner der US-Zeitung "Washington Post" am Sonntag. Die Art der Regierung und des gesamten Prozesses müssten die Iraker aber selbst wählen. "Wir werden das machen, wozu sie uns auffordern." Es gebe keinen festen Zeitplan für eine Machtübergabe an die Iraker. Diese werde stattfinden, wenn die Iraker dazu bereit seien. Garner, der derzeit noch in Kuwait ist, will am Montag mit einem Stab von 400 Mitarbeitern seine Arbeit in Bagdad aufnehmen.
  • Ein selbst ernannter "Gouverneur" von Bagdad richtete nach eigenen Angaben 22 Gemeinderäte ein. Diese hätten jeweils ein bestimmtes Aufgabengebiet und sollten die irakische Hauptstadt verwalten, sagte Mohammed Mohsen Subeidi. Zu den Zuständigkeitsbereichen gehörten Wasser, Bildung, Gesundheit, Verkehr, Verteidigung und Äußere Angelegenheiten. Zugleich dementierte Subeidi jegliche Absichten, eigenständig eine irakische Regierung aufzubauen. Subeidi ist nach eigener Darstellung von einer Versammlung von Bagdader Würdenträgern und Geistlichen gewählt worden. Die US-Armee erkennt ihn jedoch nicht an.
  • Nach einem Bericht der "New York Times" vom Sonntag wollen die USA mit der künftigen Regierung eine Militärkooperation eingehen. Damit solle gewährleistet werden, dass die US-Armee auf lange Sicht Zugang zu mehreren irakischen Luftwaffenstützpunkten habe. Bei den von den USA beanspruchten Basen handele es sich um den internationalen Flughafen von Bagdad, eine Basis nahe Nassirijah, eine weitere in der Wüste im Westen des Landes sowie den Stützpunkt Baschur im Kurdengebiet. Eine langfristige US-Militärpräsenz werde in Syrien "spürbar" sein und durch die Kombination mit US-Truppen in Afghanistan ein "Spinnennetz" rund um Iran bilden, schrieb die "NYT".
  • EU-Außenkommissar Chris Patten hat sich für eine Rückkehr der UN-Waffeninspektoren nach Irak ausgesprochen. Es sei im Interesse aller, in einer Nachkriegssituation so viel internationale Legitimation wie möglich zu schaffen, sagte Patten in einem in Australien ausgestrahlten Fernseh-Interview am Sonntag. Wenn Inspektoren der Alliierten in Irak Waffen fänden, sei dies in arabischen Ländern weniger glaubhaft, als wenn UN-Mitarbeiter Waffen fänden, sagte Patten, der sich zu Ministergesprächen in Australien aufhielt. Der australische Außenminister Alexander Downer unterstützte die Forderung nach der Rückkehr der UN-Inspektoren. Dies würde mehr Vertrauen in der internationalen Gemeinschaft schaffen, sagte er. Es bedürfe jedoch zunächst noch einiger Klärungen mit dem UN-Sicherheitsrat. Eine Erklärung zur Entsendung der Inspektoren müsse "den richtigen Ton" treffen. Darüber führe seine Regierung bereits Gespräche mit Großbritannien und den USA. Australien unterstützt die Verbündeten im Irak-Krieg.
  • Nach dem weitgehenden Ende des militärischen Kampfs in Irak wollen die Alliierten in den kommenden Tagen offiziell ihren Sieg verkünden. Die USA, Großbritannien und Australien feilten derzeit am genauen Wortlaut der Siegeserklärung, sagte der australische Außenminister Alexander Downer am Sonntag. "In rechtlicher Hinsicht muss der Text absolut akkurat sein. Er muss den richtigen politischen Ton treffen."
  • Den US-geführten Streitkräften in Irak ist mit dem früheren Erziehungs- und Forschungsminister Homam Abd el Chalek Abd el Gafur ein weiteres gesuchte Mitglied der entmachteten irakischen Führung ins Netz gegangen. Gafur sei schon am Samstag festgenommen worden, sagte ein Sprecher des US-Zentralkommandos am Sonntag auf dem US-Stützpunkt El Sailijah in Katar. Nähere Angaben über die Umstände der Festnahme machte der Sprecher nicht. Gafur steht auf der US-Liste der 55 meistgesuchten Iraker an vorletzter Stelle. Außerdem stellte sich nach Angaben des irakischen Oppositionsdachverbandes Irakischer Nationalkongress (INC) in Syrien der Schwiegersohn des entmachteten irakischen Machthabers Saddam Hussein, Dschamal Mustafa Abdullah Sultan. Er soll den Alliierten in Irak vom INC übergeben werden.
  • Syrien will mutmaßlichen irakischen Kriegsverbrechern kein Asyl gewähren. Dies sicherte Präsident Baschir el Assad zwei US-Kongressabgeordneten nach deren Angaben in einem Gespräch am Sonntag zu. Der demokratische Abgeordnete Nick Rahall und sein republikanischer Kollege Darrell Issa erklärten in Damaskus, Assad habe darüber hinaus zugesagt, Gesuchte wieder auszuweisen. Syrien verfüge über eine Liste mutmaßlicher Kriegsverbrecher, die länger sei als die von den USA vorgelegte. Das zweistündige Gespräch der Kongressabgeordneten habe dazu gedient, das Klima zwischen beiden Staaten vor dem geplanten Besuch von US-Außenminister Colin Powell in Syrien zu verbessern, erklärten Rahall und Issa.
  • An der westirakischen Grenze warten mehr als tausend Flüchtlinge auf eine Einreiseerlaubnis nach Jordanien. Wie ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Peter Kessler, am Sonntag in Amman mitteilte, erhöhte sich die Zahl innerhalb von 24 Stunden um mehrere hundert. Die meisten der Flüchtlige seien iranische Kurden. Sie harrten im Niemandsland aus, viele von ihnen bräuchten medizinische Hilfe. Die Menschen seien vor den Bedrohungen durch die irakische Bevölkerung geflohen. Auch immer mehr Palästinenser würden an der jordanischen Grenze ankommen. Die Einheimischen hätten ihnen zu verstehen gegeben, dass sie in Irak nicht mehr erwünscht seien. Das UNHCR verhandelte dem Sprecher zufolge mit Amman über die Aufnahme der Flüchtlinge.
  • Papst Johannes Paul II. hat bei der Ostermesse in Rom unter dem Beifall zehntausender Gläubiger zum Frieden im Irak aufgerufen. Zugleich mahnte er die Weltgemeinschaft, sich für einen "solidarischen Wiederaufbau" des zerstörten Iraks einzusetzen. Mit Sorge äußerte er sich zum Verhältnis zwischen Christentum und Islam. Es müsse unbedingt verhindert werden, dass der Krieg zu einem "dramatischen Konflikt zwischen den Kulturen und den Religionen" beiträgt, sagte der Kirchenführer auf dem Petersplatz. Anschließend spendete er den Segen "Urbi et Orbi" (Der Stadt und dem Erdkreis).
  • Zu Ostern haben deutsche Kirchenvertreter US-Präsident George W. Bush davor gewarnt, sich beim Kriegführen weiter auf Gott zu beziehen. "Niemals darf man sich bei Gewaltanwandung auf ihn berufen", sagte Kardinal Karl Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, am Sonntag während seiner Osterpredigt im Hohen Dom zu Mainz. Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche (EKD), Manfred Kock, forderte mehr Engagement gegen die Instrumentalisierung der Religion. "Wir müssen den Diskurs führen, damit nicht religiöse Floskeln benutzt werden, um wieder Gewalt anzuwenden", sagte er.
  • An den traditionellen Ostermärschen haben sich am Samstag bundesweit mehr als 10.000 Kriegsgegner in rund 60 Städten beteiligt. Allein in Stuttgart versammelten sich laut Polizei 2.500 Anhänger der Friedensbewegung; in Konstanz, Düsseldorf und München waren es je 1.000. Zentrales Anliegen der Demonstranten war die Ächtung des Golfkriegs, wie das Ostermarschbüro in Frankfurt am Main erklärte.
Montag, 21. April
  • Die britische Armee hat in der Nacht zum Montag in der Nähe der südirakischen Stadt Basra die Leichen zweier britischer Soldaten entdeckt. Wie eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums in London sagte, handelt es sich um zwei Soldaten, die nach einem irakischen Angriff Ende März vermisst worden waren. Der Fernsehsender El Dschasira zeigte die Leichen der Soldaten in der Nähe ihres umgestürzten Geländewagens. Der britische Premierminister Tony Blair warf dem arabischen Sender deshalb besondere Grausamkeit vor.
  • Der US-Verwalter für den Irak, Jay Garner, hat am Montag in der Hauptstadt Bagdad seine Arbeit zum Wiederaufbau des Landes begonnen. Priorität sei, die Versorgung des Landes mit Wasser und Energie "sobald wir können" wiederherzustellen, sagte Garner. Nach Gesprächen mit Militärvertretern besuchte er zunächst ein Krankenhaus, das geplündert worden war. Garner nannte zum Auftakt seines viertägigen Besuchs keinen festen Zeitrahmen für seine Arbeit, sagte aber: "Wir werden hier bleiben, solange es nötig ist, und wir werden recht schnell wieder gehen." Der ehemalige US-General leitet die Behörde für den Wiederaufbau und humanitäre Hilfen (OHRA) und ist dem Befehlshaber für die US-Truppen im Land, General Tommy Franks, unterstellt. Seine in Kuwait ansässige Behörde soll dem Willen der US-Regierung zufolge das Land verwalten, bis eine irakische Übergangsregierung die Aufgaben übernimmt. Garners Team im Irak soll sich in den nächsten Tagen auf 450 Mitglieder vergrößern.
  • In Bagdad hat sich ein ehemaliger Exilant zum Gouverneur der Stadt ernannt und angekündigt, Irak bei einem Treffen der Erdöl exportierenden Länder (Opec) in Wien in der kommenden Woche durch seinen Vize vertreten lassen zu wollen. Die US-Verwaltung lehnte am Montag eine Zusammenarbeit mit ihm ab. "Wir anerkennen ihn nicht. Es gab keinen Auswahlprozess", sagte Barbara Bodine, die für Zentralirak zuständig ist.
  • Die USA inhaftierten am Montag mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Muhammad Hamsa el Subajdi das bislang ranghöchste Mitglied der gestürzten irakischen Führung. Subajdi stand auf Platz 18 der amerikanischen Liste der 55 meistgesuchten Iraker. Die bisherige Oppositionsgruppe Irakischer Nationalkongress (INC) teilte mit, sie habe Subajdi in der Stadt Hillah gefasst. «Er ist einer der meistgehassten Männer des früheren Regimes», sagte INC-Sprecher Haider Ahmed. Subajdi gehörte dem Revolutionären Kommandorat Iraks an. Er wird Kriegsverbrechen beschuldigt und soll maßgeblich an der blutigen Niederschlagung des Schiiten-Aufstands im Jahr 1991 beteiligt gewesen sein.
  • 30 Lastwagen mit Linsen und Zucker sind am Montag von der Türkei aus nach Irak gestartet. Sie sind im Auftrag des Welternährungsprogramms der UN unterwegs und sollen ihre Fracht in den Norden des kriegszerstörten Landes bringen, wie eine UN-Sprecherin mitteilte. Die 625 Tonnen Linsen sollen am Dienstag in Kirkuk eintreffen.
  • Eine Versorgungseinheit der US-Armee mit Hunderten Fahrzeugen hat am Montag die irakische Hauptstadt Bagdad erreicht. Neben Lebensmittel-Transportern sind auch Tankwagen und Baufahrzeuge dabei.
  • Inzwischen nahm eine Ölraffinerie in Bagdad ihre Arbeit wieder auf.
  • Die Plünderungen gehen weiter. Aus einer Bank in der Hauptstadt wurden die letzten Gold-Vorräte gestohlen.
  • Auf der Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak sind nach einem Bericht in der "New York Times" vom Montag US-Experten auf Komponenten für illegale Waffen gestoßen. - Die britische Regierung sieht keinen Grund für eine parlamentarische Untersuchung dazu, dass im Irak bisher noch keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden sind. Verteidigungs- Staatssekretär Lewis Moonie sagte der BBC, er habe "keinen Zweifel" daran, dass solche Waffen noch gefunden würden. Abgeordnete der Labour-Partei hatten in den vergangenen Tagen gefordert, der Geheimdienst- und Sicherheitsausschuss des Unterhauses müsse eine Untersuchung einleiten.
  • Zur Pilgerfahrt hunderttausender Schiiten in die zentralirakische Stadt Kerbela haben religiöse Führer der islamischen Glaubensrichtung zum friedlichen Widerstand gegen die US-Besatzung aufgerufen. Der Protest solle mit "friedlichen Mitteln" Ausdruck finden, ein der Sprecher des Schiitenführers Sajed Muktada el Sadr in Kerbela am Montag der Nachrichtenagentur AFP in der zentralirakischen Stadt. Sollte dies allerdings nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen, sollten andere Formen des Widerstands geprüft werden.
  • Mehrere zehntausend Menschen haben in diesem Jahr bei den traditionellen Ostermärschen der Friedensbewegung gegen den Krieg im Irak demonstriert. Das zentrale Ostermarschbüro in Frankfurt am Main sprach von bis zu doppelt so vielen Teilnehmern wie im Jahr zuvor. Die größten Aktionen waren am Ostermontag in Frankfurt (9.000 Teilnehmer/innen), Berlin (5.000), Hamburg (8.000) und Kassel (2.500). Hauptforderung der Demonstrationen war die Ächtung des Angriffskrieges gegen den Irak.
Dienstag, 22. April
  • Mehrere hunderttausend Muslime schiitischen Glaubens versammelten sich am Dienstag in Kerbela zu der Pilgerfahrt, die ihren Höhepunkt am Donnerstag finden soll. Offenbar um Spannungen aus dem Weg zu gehen, schickten die US-Streitkräfte keine Soldaten nach Kerbela. Mindestens ein führender schiitischer Geistlicher hatte dazu aufgerufen, die Wallfahrt zum Protest gegen die Dominanz der USA zu nutzen.
  • Der von den USA mit dem Wiederaufbau des Landes beauftragte Generalleutnant a.D. James Garner besuchte am Dienstag die Kurdengebiete in Nordirak. Er traf sich mit den Führern der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). PUK-Führer Dschalal Talabani sagte, seine Organisation sei bereit, den Anspruch auf Selbstbestimmung zugunsten eines Lebens in einem demokratischen Irak zurückzustellen.
  • Im UN-Sicherheitsrat zeichnete sich ein Streit über die Rückkehr die Waffeninspekteure nach Irak ab. Ein Sprecher des russischen Außenministeriums erklärte vor einer Sitzung des Gremiums am Dienstag, die UN-Sanktionen gegen Irak können frühestens dann aufgehoben werden, wenn die Rüstungskontrolleure der Vereinten Nationen ihre Arbeit vor Ort abgeschlossen haben. UN-Chefinspektor Hans Blix bekräftigte die Bereitschaft seiner Mitarbeiter zur Rückkehr nach Irak. Die USA sehen derzeit keine Notwendigkeit für eine Wiederaufnahme der UN-Kontrollen und fordern ein sofortiges Ende der Sanktionen. Washington will an Stelle der UN-Inspekteure eigene Experten nach Massenvernichtungswaffen in Irak suchen lassen. Der französische UN-Botschafter Jean-Marc de La Sabliere sprach sich für einen "pragmatischen Ansatz" aus, um die Arbeit der UN-Inspekteure und der US-Teams zu verbinden. - Am Abend hieß es dann: Die UN-Waffeninspekteure kehren vorerst nicht in den Irak zurück. Das teilte Chefinspekteur Hans Blix nach Beratungen mit dem Sicherheitsrat mit. Als Grund nannte er die Sorge um die Sicherheit der Inspekteure. Auch die Sanktionen gegen den Irak könnten schon bald fallen. Frankreich hat dem Weltsicherheitsrat vorgeschlagen, die Sanktionen mit sofortiger Wirkung aufzuheben. Diese neue Position der Franzosen wurde von den USA ausdrücklich begrüßt.
  • In ungewöhnlich scharfer Form hat UN-Chefinspekteur Hans Blix die Fälschung von angeblichen Beweisen für Massenvernichtungswaffen in Irak zur Rechtfertigung des Krieges angeprangert. In einem am Dienstag vorab veröffentlichten Interview mit dem britischen BBC-Fernsehen nannte Blix es "beunruhigend", dass ein Großteil der Dokumente, auf die sich Washington und London gestützt hätten, "derart wenig solide" seien. Als "offenkundiges Beispiel" nannte er die angebliche Einfuhr von 500 Tonnen Uran aus Niger. Für die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sei es "nicht sehr schwer" gewesen herauszufinden, dass der Vertrag dazu "schlicht und einfach gefälscht war".
  • Die US-Regierung will mit einer internationalen Geberkonferenz Geld für den Wiederaufbau Iraks sammeln. Die Konferenz werde stattfinden, wenn Experten der Weltbank die Bedürfnisse des Landes an Ort und Stelle überprüft hätten, sagte der Haushaltschef des Pentagons in Washington, Dov Zakheim, am Dienstag. Dies werde etwa sechs Wochen dauern. Er rechne damit, dass das Interesse an Investitionen in den Wiederaufbau Iraks größer sein werde als im Fall Afghanistans, das lediglich über eine Subsistenzwirtschaft verfüge. Irak sei dagegen einer der wenigen Staaten im Nahen Osten mit einer ausgewogenen Wirtschaft. Eine Reihe von Staaten leiste bereits vor dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen Unterstützung, so lieferten die Vereinigten Arabischen Emirate ein Klärsystem für Bagdad. Deutschland, Frankreich und Russland hätten bislang keine Hilfe angeboten, sagte Zakheim.
    Zu den geschätzten Kriegskosten von bislang 25 Milliarden Dollar hätten die USA 550 Millionen Dollar für den Wiederaufbau zugesagt, Großbritannien werde 330 Millionen bereitstellen, sagte Zakheim. Australien und Japan hätten 100 Millionen Dollar angekündigt, Spanien 56 Millionen, Norwegen und die Niederlande je 21 Millionen.
  • Eine neu gegründete irakische Menschenrechtsgruppe ist in Bagdad auf zehntausende Geheimdokumente über Hinrichtungen, Festnahmen und Verhöre gestoßen. Die Akten würden in Gebäuden und Wohnungen von Mitgliedern der gefürchteten Sicherheitsdienste der entmachteten Regierung von Saddam Hussein sichergestellt, sagte der Gründer des Komitees zur Befreiung Gefangener, Ibrahim el Edrisi, am Dienstag in Bagdad. Die Dokumente könnten Aufschluss über das Schicksal zahlloser Vermisster aus der 24-jährigen Herrschaft Saddam Husseins geben. Zahlreiche Unterlagen seien allerdings von ehemaligen Funktionären oder Anhängern der entmachteten Regierung verbrannt worden.
  • Der Chef der Übergangspolizei in Bagdad hat am Dienstag seine Arbeit aufgenommen. Sabar Abdul Rasak wurde von der US-Armee in das Amt berufen. Er war 30 Jahre im Polizeidienst tätig und schied als Inspektor im Innenministerium aus dem Dienst. In einem Treffen mit US-Oberstleutnant Alan King, dem für zivile Angelegenheiten zuständigen Bataillonskommandeur, kam die Organisation der neuen Polizeibehörde zur Sprache. Dabei stellte King klar, dass die US-Truppen auf absehbare Zeit die oberste Autorität darstellten. "Nach den Genfer Konventionen sind die USA noch immer für Polizeiaufgaben zuständig", sagte King. Irakische Polizisten müssten sich den US-Streitkräften unterordnen, andernfalls drohe ihnen die Festnahme. Rasak erklärte, seine Männer würden mit den US-Truppen zusammenarbeiten. Mehrere hundert Beamte patrouillierten bereits in den Straßen und bewachten Krankenhäuser und Banken. Das Leben in Bagdad normalisiere sich. Immer mehr Läden öffneten, und es komme kaum noch zu Plünderungen. Rasak und King entschieden, dass die Polizisten mit neuen Uniformen ausgerüstet werden sollten. Einige frühere Polizisten hätten ihre alten Uniformen genutzt, um Wohnungen und Geschäfte auszurauben, erklärte Rasak. Dies stelle ein Problem dar, da die Täter kaum von echten Polizisten zu unterscheiden seien.
  • Heftigen Wirbel haben Vorwürfe ausgelöst, wonach ein britischer Labour-Abgeordneter Geld von Saddam Hussein erhalten haben soll. Der Unterhaus-Abgeordnete George Galloway sprach am Dienstag von haltlosen Behauptungen und einer "Schmierenkampagne" gegen Gegner des Irak-Kriegs. Für seine Kampagne gegen den Krieg und gegen Sanktionen gegen Irak habe er "niemals Geld von der irakischen Regierung gefordert oder bekommen", heißt es in einer Erklärung des Politikers. Der Parteivorstand von Labour kündigte allerdings eine Untersuchung der "äußerst schwer wiegenden" Vorwürfe an. Der "Daily Telegraph" berichtete am Dienstag, der Bagdad-Korrespondent des Blattes, David Blair, habe eine für Saddam Hussein bestimmte Aktennotiz des irakischen Geheimdienstes gefunden. Darin hieß es angeblich, Galloway habe über einen Agenten einen beachtlichen Anteil der irakischen Öleinnahmen aus dem Öl-für-Lebensmittel-Programm der UN gefordert. Nach dem Dokument aus dem Jahr 2000 soll Galloway für jedes aus Irak exportierte Fass Rohöl 10 bis 15 Cent (15-20 Euro-Cent) erhalten haben - jährlich wurden drei Millionen Barrel exportiert. Der Abgeordnete soll jedoch der Zeitung zufolge einen größeren Anteil und darüber hinaus außergewöhnliche Handelsverträge mit dem irakischen Regime gefordert haben. Schließlich habe er eine Geschäftsbeziehung zu einem irakischen Ölverkäufer aufgebaut, um Öl auf dem internationalen Markt zu vertreiben. Laut "Daily Telegraph" war die Aktennotiz vom irakischen Geheimdienstchef unterzeichnet. Reporter Blair habe das Blatt und weitere Unterlagen im geplünderten Außenministerium gefunden. Nach Ansicht von Galloway kann es sich nur um Fälschungen handeln. "Ich habe nie ein Fass Öl gesehen, nie eines besessen, keins gekauft und keins verkauft", erklärte der Abgeordnete.
  • Der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohammed ElBaradei, hat sich für eine schnellstmögliche Rückkehr seiner Waffeninspekteure nach Irak ausgesprochen. Die IAEA verfüge als einzige Organisation über die rechtmäßige Befugnis, die Abrüstung des Landes zu überprüfen, hieß es in einer am späten Dienstagabend in Wien veröffentlichten Erklärung ElBaradeis. Seine Behörde warte auf Anweisungen des UN-Sicherheitsrats über die Umstände einer Rückkehr nach Irak.
  • Spanien plant ein neues militärisches Strafgesetzbuch. Es soll auch die Teilnahme an Anti-Kriegs-Protesten gegebenenfalls unter Strafe stellen. Das Verteidigungsministerium betonte am Dienstag, das Vorhaben richte sich jedoch nicht gegen die Massenkundgebungen gegen den Irak-Krieg. "El País" hatte berichtet, das Ministerium wolle in seinem Entwurf Proteste gegen die spanische Beteiligung an einem Krieg als "Defätismus" und "Wehrkraftzersetzung" werten, vorgesehene Höchststrafe sechs Jahre Haft.
Mittwoch, 23. April
  • Die irakischen Ölfelder im Süden des Landes produzieren wieder. Im Rumaila-Ölfeld sei an vier Ölquellen mit einem moderaten Ausstoß begonnen worden, berichtete das "Wall Street Journal" am Mittwoch unter Berufung auf US-General Robert Crear, der für den Wiederaufbau der irakischen Ölproduktion verantwortlich ist. Die Produktion sei für den irakischen Gebrauch gedacht. In den Ölfeldern im Norden des Landes könne das erste Öl noch in dieser Woche wieder fließen. Nach diesen Angaben soll die Produktion im Süden in den nächsten Tagen auf rund 170.000 Barrel (159 Liter) pro Tag hochgefahren werden. Die Lieferungen sind für die irakischen Raffinerien und Kraftwerke gedacht. 800.000 Barrel pro Tag halte Crear in sechs bis neun Wochen für möglich.
  • Die USA haben Iran am Mittwoch davor gewarnt, sich im iranischen Nachbarland Irak einzumischen. "Wir haben Iran klar gemacht, dass wir gegen jede Einmischung in den irakischen Weg zur Demokratie sind", sagte ein Sprecher von US-Präsident George W. Bush. "Sollten Agenten sich unter die schiitische Bevölkerung (Iraks) mischen, würde das eindeutig in diese Kategorie fallen." - Einem US-Zeitungsbericht zufolge sind schiitische Spezialkräfte aus Iran zur Unterstützung ihrer Glaubensgemeinschaft in Südirak eingedrungen.
  • Der irakische Oppositionspolitiker Adnan Paschaschi hat sich gegen eine US-geführte Übergangsverwaltung in Irak ausgesprochen. Die Iraker seien "mit ihrer langen Erfahrung selbst in der Lage, das Land zu führen", sagte der frühere Außenminister am Mittwoch nach einem Treffen mit dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak in Kairo. Paschaschi erneuerte seine Forderung nach einer Irak-Konferenz in Bagdad zur Wahl einer Übergangsregierung und zur Vorbereitung von Wahlen. Der sunnitische Moslem, der von 1965 bis 1967 das irakische Außenamt führte und seit 1970 im Exil lebte, hatte die Teilnahme an einer Übergangsregierung zuletzt ausgeschlossen. Dennoch gilt der 80-Jährige vielen als mögliche führende Integrationsfigur in Irak.
  • Die Suche nach dem gestürzten irakischen Präsidenten Saddam Hussein geht unvermindert weiter. Das sagte der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon am Mittwoch in der südirakischen Stadt Basra. Von Journalisten auf den möglichen Aufenthaltsort Husseins angesprochen, sagte er, dass dieser nach jetzigem Erkenntnisstand wohl noch im Irak sei. Der Minister besuchte bei seinem ersten Irak- Besuch seit Kriegsbeginn in Basra und Umm Kasr britische Soldaten.
  • Eine neu gegründete Widerstandsgruppe hat in Bagdad den bewaffneten Kampf gegen die Alliierten angekündigt. Zugleich drohte die "Irakische Nationale Befreiungsorganisation" damit, den von der US-Regierung eingesetzten Irak-Verwalter Jay Garner zu töten. Das geht aus einer an den arabischen Fernsehsender El Dschasira geschickten Erklärung vom Mittwoch hervor.
  • Zu den Protesten gegen die Anwesenheit von US-Truppen im Irak lagen am Mittwoch zwei doch sehr unterschiedliche Agenturmeldungen vor. Die deutsche Presseagentur dpa berichtete:
    "Indes forderten in der zentralirakischen Stadt Kerbela Demonstranten am Rande des größten Festes schiitischer Pilger seit 25 Jahren den Abzug der Alliierten."
    Die Meldung der französischen Presseagentur AFP lautete:
    "Hunderttausende Schiiten haben begleitet von anti-amerikanischen Protesten ihre Pilgerfahrt in der zentralirakischen Stadt Kerbela fortgesetzt. In der ganzen Stadt waren Parolen gegen die USA zu hören. Auch gegen den von Washington favorisierten Oppositionsführer Ahmed Tschalabi richteten sich die Proteste. Der US-Zivilverwalter für Irak, Jay Garner, sagte hingegen, die meisten Iraker würden die Präsenz der Amerikaner schätzen. Es handele sich nur um einige 'inszenierte Demonstrationen', die Mehrheit der Iraker sei 'froh, dass wir hier sind', sagte Garner bei einem Besuch in Nordirak. Zudem seien Demonstrationen ein Zeichen der Freiheit."
  • UNICEF hat die humanitäre Situation im Süden und der Mitte Iraks als "sehr beunruhigend" bezeichnet. Vor allem in Bagdad, Nassirijah und Bassorah fehle es an Trinkwasser, sagte die Direktorin des UN-Kinderhilfswerks, Carol Bellamy, am Mittwoch in Paris. Die Lage in den Krankenhäusern sei beklagenswert. Viele Schulen seien im Krieg zerstört oder geplündert worden. UNICEF will sich an den Arbeiten zur Instandsetzung der Wasserversorgung für 17 Millionen Menschen und der Krankenhäuser beteiligen. Zudem will die UN-Organisation 4,2 Millionen Kinder und eine Million Schwangere medizinisch versorgen. Bellamy sagte, sie hoffe, dass bis zum Ende dieser Woche ihre Mitarbeiter nach Irak zurückkehren könnten. Wie alle UN-Organisationen verfügt auch UNICEF seit Mitte März nur mehr über irakische Mitarbeiter in Irak. Bellamy appellierte an die USA und Großbritannien, die humanitären Hilfsorganisationen ihre Arbeit tun zu lassen. Seit Ende der Militäraktionen hat UNICEF von Kuwait aus mehr als 200 Tankwagen mit Trinkwasser in den Süden des Landes geschickt.
  • Bagdad feiert in diesen Tagen zwar das langsame Ende des seit mehr als drei Wochen andauernden Stromausfalls. Doch noch liegen in der Nacht weite Teile der Stadt in Dunkelheit. Erst allmählich können Bäckereien wieder Brot backen, und die Kläranlagen laufen nur langsam an. Trotz den Schwierigkeiten zeigt das Leben in der Stadt nach dem Chaos und der Anarchie der vergangenen Wochen aber wieder erste Anzeichen von Normalisierung. Die Straßen sind gefüllt mit zurückströmenden Familien, die vor den Bomben aufs Land geflüchtet waren. Auch Lastwagen, die Obst für die Märkte liefern, sind wieder zu sehen. Doch weiterhin fließt kein sauberes Wasser aus den Wasserhähnen. Ärzte befürchten die Ausbreitung von Cholera und Typhus. Schon gibt es erste Verdachtsfälle in den Krankenhäusern. 50 bis 60 Prozent der kleinen Patienten im El-Iskan-Kinderkrankenhaus leiden unter Austrocknung und Durchfall.
  • US-Außenminister Colin Powell hat Frankreich wegen seiner Anti-Kriegshaltung Konsequenzen angekündigt. Auf die Frage, ob Paris wegen seiner Ablehnung eines Kriegs mit negativen Folgen rechnen müsse, antwortete Powell am Mittwoch im Fernsehsender PBS mit "Ja". Die USA müssten die Beziehungen zu Frankreich "unter allen Aspekten" und im Lichte der Pariser Haltung prüfen, sagte Powell. Welcher Art die "Konsequenzen" sein könnten, erläuterte er nicht. Paris hatte im UN-Sicherheitsrat gedroht, eine den Krieg billigende Resolution notfalls mit einem Veto zu blockieren. Die Verhandlungen über diese Resolution seien ein "schwieriger Moment" gewesen. "Wir denken nicht, dass Frankreich dabei eine nützliche Rolle gespielt hat, das ist kein Geheimnis." Die französische Regierung spielte die Äußerungen herunter. Die von Powell angedeuteten Strafmaßnahmen entsprächen "überhaupt nicht der Realität unserer derzeitigen Beziehungen mit den Vereinigten Staaten", sagte Regierungssprecher Jean-François Copé.
  • Im Streit um die Aufhebung der Irak-Sanktionen konnte der UN-Sicherheitsrat keine Einigung erzielen. Während Frankreich nur eine Aussetzung der Strafmaßnahmen vorschlug, forderten die USA eine Aufhebung. Der französische UN-Botschafter Jean-Marc de La Sabličre betonte nach der Ratssitzung, die Aussetzung könne ein erster Schritt zur vollständigen Aufhebung aller Sanktionen gegen Irak sein. Voraussetzung dafür sei jedoch die Feststellung, dass Irak abgerüstet habe. Paris ging mit seinem Vorschlag offenbar auf Kompromisskurs zur US-Regierung. Moskau bekräftigte hingegen seine Ablehnung einer sofortigen Aufhebung der Sanktionen. Die Bundesregierung wollte sich dagegen nicht festlegen. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte, alle Vorschläge würden in New York geprüft. Es sei generell die Haltung der Bundesregierung, dass sie sich für alles einsetze, was die humanitäre Versorgung in Irak und den Wiederaufbau voranbringe. Vize-Regierungssprecher Thomas Steg fügte hinzu, über eine Aufhebung der Sanktionen könne der Sicherheitsrat erst entscheiden, wenn Chefwaffeninspekteur Hans Blix in einem abschließenden Bericht mitgeteilt habe, dass der Irak frei von Massenvernichtungswaffen sei.
  • Ohne dass bisher die in etliche UN-Resolutionen festgeschriebenen völkerrechtlichen Voraussetzungen geschaffen wurden, haben die USA damit begonnen, erste Verträge für den Wiederaufbau des Iraks zu vergeben. Den größten Zuschlag bekam die der jetzigen US-Regierung nahe stehende Bechtel Group in San Francisco. Mit dem Start der Auftragsvergabe müssen Paris und Moskau befürchten, ihre führende wirtschaftliche Rolle im Irak zu verlieren und keine oder nur sehr dünne Scheiben am "Kuchen", dem Wiederaufbau des zerstörten Landes, überlassen zu bekommen, meldet dpa am Mittwoch.
  • Für den Wiederaufbau Iraks sind nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums bislang rund 1,7 Milliarden Dollar) an internationaler Finanzhilfe, Nahrungsmitteln und Medikamenten eingegangen. Davon hätten die USA mit 541,6 Millionen Dollar am meisten gegeben, wurde der zuständige Pentagon-Beamte Dov Zakheim am Mittwoch von der Tageszeitung "New York Times" zitiert. 400 Millionen Dollar seien im Rahmen eines 2,2 Milliarden umfassenden Hilfsaufrufs der Vereinten Nationen eingegangen. Der Rest sei unabhängig von der UNO nach direkten oder indirekten Anfragen durch die USA geflossen.
  • Die Mehrheit der Deutschen ist nach einem Ende des Irak-Kriegs gegen eine europäische Unterstützung der USA bei einer Neuordnung der Welt. 45 Prozent sind sogar der Ansicht, den USA müsse bei deren "Weltherrschaftsplänen" Einhalt geboten werden. Das ergab eine bundesweite Forsa-Umfrage. Ein Drittel der Befragten fordert von Deutschland und Europa, sich aus dem weiteren Vorgehen der Vereinigten Staaten herauszuhalten. Nur 14 Prozent sind für eine Unterstützung der USA.


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