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Vor der Wahl des kleineren Übels

190 Millionen Menschen bestimmen im größten muslimischen Land der Welt ihr Parlament

Von Alex Flor *

In Indonesien wird am heutigen Mittwoch ein neues Parlament gewählt. Knapp 190 Millionen Menschen sind zur Stimmabgabe aufgerufen.

Zum vierten Mal seit Ende der Diktatur unter Staatschef Suharto von 1967 bis 1998 finden in Indonesien freie Wahlen zum Nationalparlament und zu den Regionalparlamenten statt. Zwölf Parteien stellen sich zur Wahl. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine stabile Mehrparteiendemokratie ist jedoch bei genauerem Hinsehen ein Schaulaufen der politischen und gesellschaftlichen Eliten des Landes. Die breite Bevölkerungsmehrheit nimmt kaum am politischen Geschehen teil und steht zunehmend unter dem Eindruck, dass dieses für ihre täglichen Probleme von untergeordneter Bedeutung ist. Dies spiegelt sich wider in einer stetig sinkenden Wahlbeteiligung.

Tatsächlich machen die Parteien noch nicht einmal den Versuch, mit einem Programm für sich zu werben. Es zählen allein Herkunft und Namen der Politiker. Das Parlament bewegt nur wenig. In der laufenden Legislaturperiode wurde gerade mal ein Drittel der Gesetze verabschiedet, die auf dem Arbeitsplan standen. Die öffentliche Diskussion dreht sich mehr um die Frage, wer in drei Monaten zum neuen Präsidenten gewählt wird.

Präsident Susilo Bambang Yudhoyono darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Seine Demokratische Partei hat wegen zahlreicher Korruptionsskandale abgewirtschaftet. Von der zu erwartenden Wählerwanderung profitieren dürften vor allem die Parteien Golkar, Gerindra und PDI-P. Golkar, die ehemalige Einheitspartei Suhartos, wirbt unverhohlen mit den wirtschaftlichen Erfolgen unter dem System des 2008 gestorbenen Diktators. Spitzenkandidat Aburizal Bakrie, ein schwerreicher Unternehmer, ist nicht sonderlich populär, könnte aber aufgrund der komplizierten Wahlarithmetik noch eine Rolle spielen.

In der öffentlichen Diskussion stehen andere Namen im Vordergrund: da ist zum einen Prabowo Subianto, Schwiegersohn Suhartos. Ihm werden schwerste Menschenrechtsverletzungen in seiner Zeit als General vorgeworfen. Unter anderem war Prabowo verantwortlich für das Verschwindenlassen von Menschen, für Folter und Morde an Studentenvertretern in den Jahren 1997/98.

Nach dem Machtwechsel 1998 ließ er Panzer gegen die neue Regierung von Bacharuddin Jusuf Habibie auffahren. Der Putschversuch wurde im Ansatz erstickt, Prabowo unehrenhaft aus dem Militär entlassen. Das störte ihn allerdings nicht, sich in der Wahlkampagne exzessiv auf seine Militärvergangenheit zu beziehen. Er tritt als Volkstribun auf und vertritt einen ausgeprägten Nationalismus. Polemik gegen ausländische Konzerne kommt bei den Wählern gut an. Mit einer linken Gesinnung hat Prabowo allerdings nichts am Hut.

Monatelang führte Prabowo die Meinungsumfragen an. Erst seit kurzem muss er sich mit dem zweiten Platz zufrieden geben, nachdem Megawati Sukarnoputri die Katze aus dem Sack ließ. Die Chefin der Demokratischen Partei des Kampfes Indonesiens (PDI-P), Tochter des ersten Staatspräsidenten Sukarno und selbst Staatspräsidentin von 2001 bis 2004 erklärte den überaus populären Joko Widodo (Spitzname »Jokowi«) zum Spitzenkandidaten ihrer Partei.

Jokowi wurde erst vor einem Jahr zum Gouverneur von Jakarta gewählt. Er ist das Gegenmodell zu einem Machtpolitiker und der Korruption unverdächtig. Jokowi spricht nicht für die einfachen Menschen auf der Straße, sondern vielmehr mit ihnen. Viel erreichen konnte er in der kurzen Amtszeit als Gouverneur bislang zwar nicht. Immerhin gelang es ihm, zumindest sein Image zu bewahren. Ein politisches Programm hat auch er nicht. Für viele Wähler mag er schlicht das kleinere Übel gegenüber Prabowo darstellen.

Für letzteren könnten die Wahlen trotz eines Stimmenzuwachses gar zu einer Katastrophe werden: Aus eigener Kraft erreicht seine Partei der Bewegung Großes Indonesien (Gerindra) wahrscheinlich nicht die notwendige Zahl an Stimmen bzw. Parlamentssitzen, die vom Wahlgesetz vorgegeben ist, um einen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaft aufstellen zu dürfen.

Megawatis Handicap ist, dass sie Wortbruch begangen hat. Vor fünf Jahren trat sie selbst als Spitzenkandidatin der PDI-P an – mit Prabowo als Vize. Diesmal sollte es umgekehrt sein, hieß es angeblich in einer geheimen Absprache von 2004, wo sie unterlegen war. Doch sie trat auch 2009 an und verlor erneut. Die Hoffnungsträgerin der Nach-Suharto-Ära halbierte sogar fast den Stimmenanteil der PDI-P von 34 Prozent im Jahre 1999 auf 18 Prozent zehn Jahre später. Letztlich war die Nominierung Jokowis eine Chance, die PDI-P wieder aus der Versenkung zu holen, der die Machtpolitikerin Megawati nicht widerstehen konnte.

Doch wieviel Freiraum wird der politisch unerfahrene Jokowi unter der Führung Megawatis haben? Auch sie steht für einen Kuschelkurs mit dem Militär. Unter ihrer Herrschaft wurde in Aceh der Kriegszustand ausgerufen. Und welche parlamentarischen Mehrheiten wird sich Jokowi suchen müssen, um regieren zu können? Bei Golkar? Bei den Islamparteien? Oder letztlich vielleicht gar bei Prabowos Gerindra? Die noch ausstehende Nominierung von Jokowis Vizekandidaten wird eine erste Antwort auf diese Frage geben.

* Unser Autor ist Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation »Watch Indonesia!«

Aus: neues deutschland, Mittwoch, 9. April 2014



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